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Veröffentlicht: Sonntag, 19. August 2018 07:06
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Geschrieben von Klaus Knodt
Skurriler Streit über die „Schloss“-Quadriga beschäftigt sogar die Gremien
Europas Größte oder doch nur irgendein Exemplar unter „ferner liefen“? Die nachgebaute Quadriga auf dem Braunschweiger Kaufschloss entzweit die Kommunalpolitik. Foto: Klaus Knodt
„Es kommt nicht auf die Größe an“ sagen immer diejenigen, die mit dem Zweitgrößten gesegnet sind – und da wollen wir uns gar nicht in schmuddelig-abseitigen Diskussionen verirren. Nein, hier geht es nicht um Kürbisse oder Fortpflanzungsorgane, sondern um die meist bronzenen Abscheulichkeiten, die seit Ewigkeiten gern die Flachdächer hinter klassizistischen, neoklassizistschen oder klassizistisch anmutenden Kapitellen krönen: die Quadrigen.
Vier knackige Rösser, ein Streitwagen, drauf ein Mutterlands-Mix aus Walküre und Jeanne d’Arc mit kokett im Kampfeseifer halbentblösster Brust und gestrenger Miene – so sollten diese immergleich gruseligen Propaganda-Abziehbilder aus Zeiten waffenstarrender Nationaltümelei Volkesehre, Kampfeswillen, Unbesiegbarkeit und ähnlichen Dumpfsinn optisch befeuern. Aufmerksamkeit zuteil wurde ihnen ironischer Weise meist erst dann, wenn man sie eroberte (Brandenburger Tor) oder „rekonstruierte“ (Braunschweig).
Der teure, gefakete Bronzeblechhaufen auf dem gefaketen Braunschweiger „Schloss“ schaffte es jetzt wenigstens mal, Tagesgespräch zu werden: Von der „größten Quadriga Europas“ schwärmte Wirtschaftsdezernent Gerold Leppa öffentlich auf der Homepage des Braunschweiger Stadtmarketing, dessen Geschäftsführer er praktischer Weise in Personalunion gleich auch noch ist. Das durfte nicht unkommentiert bleiben: In London, Brüssel, Italien, ja sogar dem fernen St. Petersburg stünden größere Quadrigen, monierte die BiBS. Kulturdezernentin Dr. Anja Hesse, promovierte Kunsthistorikerin, mischte sich ein: Eine Quadriga, das lasse schon der Name erkennen, könne nur vier Pferde haben. In St. Petersburg seien aber sechs Pferde vorgespannt. Fällt somit raus aus dem (Bronzepferd)-Rennen.
Weiter argumentierte die Stadt listig mit einer Stellungnahme des Oberbürgermeisters, gestützt auf eine Expertise des Historikers Dr. Bernd Wedemeyer: Da die Braunschweiger Quadriga eine „Wagenlenkerin“ mit den Zügeln in der Hand zeige, sei diese immer noch die „größte Quadriga ihrer Art“. Die „Brabantia“ in Brüssel lenke den Wagen nicht allein und falle damit auch aus dem Wettbewerb.
Zu den italienischen Quadrigen: „Keine Zügel und kein Zaumzeug“, so die Braunschweiger Abschätzung. Anscheinend würden die Pferde durch göttlichen Willen gelenkt – schon technisch nicht möglich. Weg damit aus der Rangliste. Bleiben die britischen Zossen auf dem Wellington Arch.
Die gibt Dr. Wedemeyer mit mageren 8,50 Metern Höhe an (28 feet) – und erntet nun aus London Gegenwind. Josephine Oxley, Sprecherin des ‚English Heritage’ (englische Kulturerbestiftung) auf Anfrage der BiBS-Fraktion: „Zur Jahrtausendwende wurde die Londoner Quadriga von der Firma Harris Ltd. restauriert und neu vermessen. Restaurator Rupert Harris gibt sie mit 12 Metern Höhe (40 feet) an.“
Das wären 2,80 Meter mehr als die Braunschweiger Quadriga-Kopie (9,20 Meter) und ein Länderpunkt für England. Dennoch formuliert Josephine Oxley diplomatisch und unterkühlt-britisch: „Ich glaube nicht, dass die exakte Größe einer Skulptur ihr wichtigster Wert ist.“