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Veröffentlicht: Mittwoch, 21. März 2018 15:00
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Geschrieben von Dr. S. Al-Mousllie Zentralrat der Muslime in Deutschland (Niedersachsen)
Braunschweig, 16.3.2018
Sehr geehrte Herr Bundesinnenminister Horst Seehofer,
ich wende mich an Sie mit offenen Worten, wie Sie sich an mich als deutscher Muslim gebürtig in Syrien mit offenen Worten gewandt haben, dass meine Religion nicht zu Deutschland gehöre. Welche Religionen genau zu Deutschland gehören, ist mir nicht bekannt. Sicher ist aber, dass Deutschland kein religiöser Staat ist.
ANERKENNUNG
Als der Bundespräsident Wulff äußerte „der Islam gehört zu Deutschland“, freuten sich viele Muslime in Deutschland, dass ein Politiker dieses Ranges klar die Muslime samt ihrer Religion als vollwertige Bürger dieses Landes betrachtet. Herr Wulff musste viel Kritik aushalten. Allerdings blieb er bei der Aussage, weil er den Menschen im Muslim-sein wahrgenommen hat. Er war nicht naiv, um die multifaktoriellen Missstände in unserer Gesellschaft und der Community zu übersehen. Dennoch sprach er die Anerkennung öffentlich aus - wie auch einige Politiker und Frau Merkel allen voran.
Einige Politiker achten weniger auf ihre Aussagen und vermitteln indirekt die alleinige Verantwortung der Muslime oder muslimischen Gemeinden für die Schieflage in der Integration oder Fehlverhalten mancher muslimischer Bürger.
GENERALVERDACHT
Andere Politiker oder sog. Experten erwähnen Extremismus und die muslimischen Gemeinden in Deutschland in einem Atemzug und fordern sie auf, extremistisches Gedankengut aus ihrer Mitte zu verbannen. Das ist eine Fehlinterpretation der gesellschaftlichen Lage. Die Gründe: erstens würde der Laie bei dieser Aufforderung automatisch daraus schließen, dass die Muslime solches Gedankengut in ihren Gemeinden wahrnehmen, aber bewusst ignorieren !
Zweitens, mit dieser Aussage zerstört man die notwendige Vertrauensbasis und setzt alle Muslime gesellschaftlich unter Druck. Sie, Herr Seehofer, wollen die rechten Ränder-Parteien schwächen, stärken aber mit ihren Aussagen nicht nur die Vorurteile, sondern schüren auch Ängste in der Bevölkerung. Diese Verunsicherung ist Wasser auf den Mühlen der Rechten wie AfD und co. und nicht förderlich für das friedliche Zusammenleben.
ÜBERGRIFFE
Herr Seehofer, Ihre Aussage kommt in einer Zeit, in der leider die verbalen und tätlichen Attacken gegen Muslime und deren Einrichtungen zunehmen und in ihrer Brutalität noch nie da gewesen sind. Leider haben wir von Ihnen als unserem Bundesinnenminister unerwarteterweise keine Worte der Verurteilung dieser Angriffe gehört, aber unerfreulicherweise einen eiligen Widerspruch bei Ihrem Amtseintritt für die Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten. Selbstverständlich darf jeder seine Meinung haben und äußern, Gott sei Dank, ist dies ein Teil unserer Demokratie. Es gibt aber auch Verantwortung in der Freiheit insbesondere in der Öffentlichkeit von dem Innenminister aller Deutschen. Im übrigen mit ihrem Statement haben wir uns endgültig entschlossen, doch eine Alarmanlage anzubringen.
Es spielt eine geringe Rolle, ob Sie als Bundesinnenminister persönlich den Islam als zugehörig zu Deutschland betrachten. Sie sind zuständig für alle Bundesbürger egal, ob sie muslimisch, jüdisch oder christlich sind. Wie verstehen Sie diese Aussage im Zusammenhang mit fast 5 Millionen Muslimen in Deutschland? Positiv zu vernehmen, ist dass Sie die Muslime als Bürger dieses Landes akzeptieren, aber leider sehen Sie ihre Religion als fremd und verkennen die Tatsache, dass es ohne Islam keine Muslime gibt.
LEITKULTUR
Andere Politiker sprechen von der „Leitkultur“ und den christlichen Wurzeln, als ob dies durch die Aussage Herrn Wulffs in Frage gestellt wurde. Dieser Begriff bedarf viel Erklärung und wird vielfältig diskutiert. Ich greife zwei Ansichten auf: Die Erste sieht in diesem Begriff nur eine Rückbesinnung auf das Ursprüngliche ohne politische Bedeutung und ohne ausgrenzenden Charakter. Die Zweite ist etwas härter und geht schneller zur Sache, nämlich, dass dieser Begriff in sich eine Überheblichkeit birgt, die Tor und Tür für die Islamfeindlichkeit öffnet und unter einem anderen Namen salonfähig macht. Die viel angesprochene christliche Leitkultur mit jüdischen Wurzeln stammt nicht etwa aus dem mitteleuropäischen Raum, sondern aus dem Mittelmeerraum und so der Islam.
Bei allem gebührenden Respekt, gegenüber Judentum und Christentum, missbraucht dieser Begriff der Leitkultur beide Religionen. Denn hier soll es um Politik und nicht um Religion gehen. Das Prinzip der Trennung von Staat und Religion ist durch den Begriff „Leitkultur“ aus meiner Sicht verletzt, da die Anerkennung meines muslimischen Daseins nicht ohne weiteres vollzogen wird. Man verlangt von Muslimen ihre Religion als fremd in diesem Lande zu sehen, aber gleichzeitig ruft man: „kommt zum Dialog, denn ihr solltet euch integrieren!“ Das ist eine gefährliche Vorlage. Denn die negative Entwicklung dieser Linie wäre in den nächsten Schritten den Muslimen ihre Rechte als eine religiöse Gemeinschaft, zu leben, abzusprechen.
APPELL
Liebe Geschwister in der Menschheit, liebe Geschwister in unserem deutschen Dasein, die Rückbesinnung auf die Wurzel schließt niemals aus, die Anerkennung des Anderen mit allem, was er mitbringt, solange es nicht gegen das Grundgesetz spricht. Lassen wir doch diese Worte und Begrifflichkeiten sein, und konzentrieren wir uns auf die Menschen und ihre Belange.
Offener Brief als PDF
Mit freundlichen Grüßen
Dr. S. Al-Mousllie (Deutscher Muslim)
Zentralrat der Muslime in Deutschland (Niedersachsen)
Islamische Gemeinschaft Braunschweig
I.G.B.
Islamische Gemeinschaft Braunschweig e.V.
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