Immer wieder Cannabis!
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- Veröffentlicht: Donnerstag, 01. November 2018 18:52
- Geschrieben von Dr. Bernhard Piest, Suchtmediziner
Cannabistee in Braunschweig
Seit diesem Sommer lesen wir wiederholt in der Braunschweiger Zeitung von dem Kampf der Braunschweiger Staatsanwaltschaft mit ihrem Herausforderer, der Hanfbar, und könnten amüsiert die Beobachterrolle in dem „Schauspiel“ einnehmen, hätte es nicht für den Betreiber so schwerwiegende Folgen wie Inhaftierung und Untersuchungshaft. Und das alles wegen eines Kräutertees, der allenfalls eine beruhigende Wirkung hat vergleichbar mit Melisse oder Baldrian, aber keinesfalls zu einem Rausch taugt. Hier wird mit Kanonen auf Ziele geschossen, die als solche erst durch falsch formulierte Gesetze geschaffen werden. Eine Neuformulierung der entsprechenden Betäubungsmittelgesetze ist an diesem Punkt dringend erforderlich. Es wäre hilfreich, wenn die Staatsanwaltschaft nicht Scheinübeltäter verfolgt, sondern in diesem Verfahren den Ball flach hält und sich im Justizministerium für eine Reform einsetzen würde!
Cannabis Legalisierung: ja oder nein?
Interessanter und vor allem relevanter wird es für die Gesellschaft bei der immer wieder neu diskutierten Frage nach der Legalisierung. Die Grünen forderten im Bundestag ein Cannabis-Kontrollgesetz, die Große Koalition hielt dagegen und lehnte eine Legalisierung nach einer Petition ab. Jetzt greift die Grüne Jugend das Thema neu auf (Braunschweiger Zeitung 26.10.).
Die Basis der Diskussion um kontrollierte Abgabe ist eine medizinische Risikoeinschätzung. Generell lässt sich sagen, dass die Risiken eines regelmäßigen Konsums im Vergleich zu Alkohol und Zigaretten geringer sind, aber dennoch von Bedeutung. Akute Überdosierungen können Unfälle auslösen, chronischer Gebrauch kann zu anhaltender Bronchitis, Lungen-, Herz- und Leberkrankheiten führen, auch Krebserkrankungen an den Atemwegen und im Magen-Darm-Trakt sind möglich. Hervorzuheben sind aber insbesondere dauerhafte Beeinträchtigungen von Denken, Lernen und Konzentration, auch Störungen der seelischen Entwicklung und des Sozialverhaltens, Ängste, Depressivität und Sucht. Diese Veränderungen sind umso stärker, je früher in der Jugend oder sogar der späten Kindheit der Konsum einsetzt. Das Gehirn reagiert in dieser Entwicklungsphase hochempfindlich auf Störungen durch Cannabis. Intelligenzminderungen und regionale Hirnschrumpfungen können die Folge sein. Auf diesem Hintergrund haben vier medizinische Fachgesellschaften sowie die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen DHS Stellungnahmen zum Thema Legalisierung erarbeitet. Dabei wurden viele offene Fragen festgestellt, aber keiner der Verfasser konnten sich als Fazit auf „Legalisierung“ als Empfehlung einigen. Auch die Bundesärztekammer lehnt eine Legalisierung ab.
Allerdings geht es bei der Frage der Legalisierung nicht nur um medizinische Risiken, sondern auch um die gesellschaftliche Akzeptanz und die Erfahrungen mit der Kriminalisierung. Letztere ist extrem kosten- und personalintensiv, dabei ist es mehr als fraglich, ob durch die Strafverfolgung die Zahl der Konsumenten, das sind derzeit ca. 5% der Deutschen, beeinflusst wird.
Ein Kompromissvorschlag: Kontrollierte Cannabisabgabe ab 25
Ich stelle hiermit eine Möglichkeit für einen Kompromiss in der Legalisierungsdebatte vor, die bisher immer auf die ja – nein Alternative hinauslief. Meine Idee ist die „kontrollierte Cannabis-Freigabe ab 25 Jahren“. Warum die Grenze von 25 Jahren? Erst mit 25 Jahren ist das Gehirn ausgereift, so dass bei späterem Konsum ein Hauptteil der Folgeschäden nicht oder nur geringfügig eintreten wird. Insbesondere die Schäden, die Folgen haben für die geistige und psychosoziale Entwicklung des ganzen menschlichen Lebens, könnten bei spätem Konsumbeginn vermieden werden.
Diese auf den ersten Blick eigenartige Grenzsetzung würde für die Gesellschaft eine genaue und wiederholte Erklärung in Form einer intensiven und offensiven Öffentlichkeitsarbeit erfordern. Dadurch könnte ein differenziertes Risikobewusstsein entstehen; Cannabis würde ein anderes Image bekommen („Konsum in der Jugend macht dumm!“) und ein verändertes Konsumverhalten bei jungen Menschen könnte die Folge sein. Das sollte das Ziel sein. Ich bin optimistisch, dass so ein Ziel erreicht werden kann. Immerhin ist es gelungen, durch verschiedene präventive Aktivitäten vor 15 Jahren das Rauchverhalten von Jugendlichen deutlich in Richtung Abstinenz zu beeinflussen.
Es gibt in unserer Gesellschaft auch andere Rechte, die nicht schon mit 18, sondern erst ab höherem Alter zum Tragen kommen: Das Erwachsenenstrafrecht gilt unter besonderen Umständen erst ab 21, einen Busführerschein gibt es erst ab 24. Diese Einschränkungen werden akzeptiert – das ist alles eine Frage der Gewohnheit.