"Wir wollen mehr Demokratie wagen" - auch in Braunschweig
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- Veröffentlicht: Montag, 29. April 2013 13:40
- Geschrieben von Uwe Meier
Es gab mal einen Bundeskanzler, der in seiner ersten Regierungserklärung sagte: "Wir wollen mehr Demokratie wagen". Es war Willy Brandt, und es lohnt sich insbesondere die SPD immer wieder daran zu erinnern.
Die Kläger gegen den Oberbürgermeister und Verwaltungsjuristen Dr. Hoffmann von links: Peter Rosenbaum, Dr. Wolfgang Büchs, Henning Jensen (alle BIBS) und Jens-Wolfhard Schicke-Uffmann (Piratenpartei). Im Hintergrund Zuhörer.
Die Presseberichterstattung zum Urteil des Braunschweiger Verwaltungsgerichts über die Pflicht des Oberbürgermeisters die Ratsmitglieder zu informieren und ihnen zu dienen, war vielfältig und hat auch überregional für Aufsehen gesorgt. Durchweg wurde sachlich über das Urteil berichtet (siehe hier auch die Nb „Kontrolle geht vom Volk aus“ und „Gericht hat Rechte sehr weit ausgelegt“), wobei Emotionen durchaus gezeigt wurden.
Aber hat OB Hoffmann tatsächlich eine Schlappe eingesteckt, wie manche Berichte zum Ausdruck brachten? Klingt das nicht reichlich verharmlosend für einen Prozess, bei dem es sich um demokratische Rechte und um kommunale Demokratie handelt. Nicht ohne Grund hat der Verwaltungsgerichtspräsident Herr Büschen das Verfahren an sich gezogen. Ging es hier doch schließlich um demokratische Rechte und Pflichten - und um Machtverhältnisse.
Der Prozess zeigte vor allem eines deutlich, dass sich die Bürger ihre Demokratie immer wieder erkämpfen müssen. Nicht theoretisch in Sonntagsreden, sondern tatsächlich! Unsere Demokratie ist nicht selbstverständlich. Dieser Prozess war doch ein Lehrstück für die Staatsbürgerkunde. Demokratie stirbt langsam, Stück für Stück, oft an den sogenannten Sachzwängen. Und immer wieder muss sie zurückerobert werden. Für uns Braunschweiger Bürgerinnen und Bürger hat das die BIBS über Peter Rosenbaum und haben es die Piraten über Jens-Wolfhard Schicke-Uffmann getan. Dafür gebührt denen der Dank aller Braunschweiger/Innen. Diese Vertreter im Rat haben ihre Verantwortung ernst- und wahrgenommen. Insofern lehrt dieser Prozess zwei Inhalte. Zuerst den alarmierenden: Wie einfach es ist von durchsetzungsstarken Entscheidungsträgern die Demokratie auszuhöhlen, obwohl Mehrheiten dem entgegen stehen könnten. Und hier der beruhigende Inhalt: Es gibt immer wieder aufmerksame Funktionsträger, die in die Speichen greifen.
Doch es bleiben Fragen: Wo waren die anderen Parteien, als den Ratskollegen (und damit auch ihnen) von Hoffmann die Rechte beschnitten wurden? Gab es da Proteste von den Grünen, der SPD, der CDU oder der Linken. Haben alle im Rathaus vertretenen Parteien protestiert, oder haben sie sich demokratische Rechte durch OB Hoffmann schlicht klauen lassen? Wie weit hat sich die SPD von ihrem Idol Willy Brandt entfernt, der seinerzeit noch Demokratie wagen wollte. Und in Braunschweig werden dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Pesditschek die kommunale Demokratie und die Bürgerrechte durch Machenschaften des Herrn Hoffmann geklaut. Nicht aus Schusseligkeit oder der bekannten Bräsigkeit, was man noch verzeihen könnte, sondern bei vollem Bewusstsein. Wie sagte Herr P.: "Er fühlt sich durch die Verwaltung gut informiert und sieht keinen Handlungsbedarf". Wie jämmerlich, der erkennt das Problem gar nicht! (Siehe "Akteneinsicht: Ein Zeichen des Misstrauens")
Und die jungen, angeblich so hoffnungsvollen SPD-Genossen und Genossinnen? Nichts, aber auch gar nichts kommt da. Demokratie zu leben ist anscheinend nicht so einfach. Jedenfalls nicht, wenn es um Posten geht und das Gekungel in den Hinterzimmern transparente Politik ersetzt.
Die Grünen waren mal eine Partei, die sich Demokratiediebstahl nicht gefallen ließ. Offensiv traten die für Bürgerrechte ein. Gerne erinnert man sich an Gisela Witte, die die Verwaltung auf Trab brachte, damit sie die skandalösen BKB-Verträge bekommt. Nur durch sie sind damals die BKB-Skandale aufgeflogen. Frau Witte hat ihre Pflicht wahrgenommen die Verwaltung zu kontrollieren. Heute ist von diesem Pflichtbewusstsein in dieser Partei nicht mehr viel zu finden. Deshalb gibt es ja auch die BIBS und Piraten im Stadtrat. Mit der Presseerklärung zeigte sie sich aber im Nachhinein solidarisch mit den Prozessgewinnern.
Und die CDU? Die gibt es nur physisch und formal. Politisch hat die keine Meinung oder die von OB Hoffmann. Vermutlich erkennt sie wie Herr SPD-Pesditschek das Problem überhaupt nicht. Also lassen wir`s.