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Radverkehr in BS: Schöne Pläne, doch es hapert im Detail

Links die Tram, rechts die Parkplätze, und der aufgepinselte Fahrradstreifen dazwischen endet mitten in der ÖPNV-Haltestelle auf dem Fussweg. Hier wurde Braunschweigs „Fahrradkonzept“ nicht zu Ende gedacht. Foto: Klaus Knodt

Angst essen Seele auf, und verschlingt die Vernunft gleich hinterher. Anders ist nicht zu erklären, dass die Stadt Braunschweig ihre Bürger dazu aufruft, bei einer Umfrage des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs ADFC teilzunehmen (www.fahrradklima-test.de). Da soll rausgefunden werden, ob „die Radfahrenden“ in Braunschweig der Verwaltung noch immer Platz 7 von 39 getesteten Städten beim Thema Radverkehr zubilligen.

Stellenwert des Radverkehrs, Sicherheit, Komfort und Infrastruktur sind die Prüfsteine des ADFC. Die Verwaltung baut gleich erstmal vor: „In den vergangenen zehn Jahren hat die Stadt ihre Ausgaben für den Radverkehr stark erhöht und mehrere Millionen Euro ins Radnetz investiert“, so die Pressestelle. Wobei die Begriffe „stark“ und „mehrere“ nicht gerade zielführend präzisieren. Doch mit genauen Zahlen wird gegeizt.


 

Dem „großstädtischen Boulevard Bohlweg“ (Stadtverwaltung unter Hoffmann) ermangelt es an genug Platz für Passanten, Radverkehr und stationäres Magenfüllgewerbe. Foto: Klaus Knodt

„Durch Fahrradstreifen, gut ausgebaute Radrouten in die Innenstadt, Wegweisungen, dem Ausbau des Ringgleises“ und „Öffnung von Einbahnstraßen“ sei die „Attraktivität des Radfahrens“ in BS gesteigert worden, behauptet die Stadtverwaltung in ihrer Pressemitteilung zum Thema. Gegenrede: Die Verwaltung promotet das Radfahren gut; setzt aber meist nur die billigsten Lösungen um - Aufgepinselte Fahrradstreifen, Wegweiser, Öffnung von Einbahnstraßen, ein jährliches "Fahrradfest". Eben da, wo es kein oder fast kein Geld kostet. Bei Massnahmen mit größerem Investitionsbedarf (Radwege-Ausbau an Hauptverkehrsstraßen, Anpassung von Ampeln, Fahrradmitnahme in Öffis) wird oft nur mal so ein bisschen gepütschert und das Ganze dann als großer Erfolg verkauft. Der heutige Stadtbaurat Leuer liess sich als damaliger Abteilungsleiter sogar ablichten, als er an der Hagenmarkt-Kreuzung zwei gelbe Haltegriffe für Radler an Ampeln „einweihte“.

 

Der Radweg endet im Nichts einer Bushaltestelle, radfahrende AbbiegerInnen werden glatt ignoriert. Wie hier in der Dankwardstraße haben RadlerInnen nicht das Gefühl, dass die Stadt „eine entsprechende Atmosphäre“ für sie geschaffen hat. Foto: Klaus Knodt

Das Radverkehrskonzept der Stadt folgt dem Verkehrsentwicklungsplan aus dem Jahre 1998, mithin 20 Jahre alt und entstanden vor dem Bau der Schloss-Arkaden. Bereits damals postulierte Gutachter Prof. Dr. Manfred Wermuth: „Mit einer fußgänger- und radfahrerfreundlichen Verkehrsplanung und einer flächenhaften Priorisierung des Fußgänger- und Radverkehrs in der Innenstadt sollte es zusätzlich möglich sein, noch deutlich mehr MIV-Fahrten (Fahrten des motorisierten Individualverkehrs, Anm.) ... zu ersetzen.“ Seinerzeit benutzten nur 14 Prozent der Braunschweiger das Fahrrad. Zur Erreichung des Ziels sei allerdings auch „die Schaffung einer entsprechenden Atmosphäre erforderlich“.

Und an der mangelt es aufgrund schlechter Umsetzung der guten Pläne immer wieder.

 

So wie hier am Magnitorwall sehen viele Auffahrten öffentlicher Radwege in Braunschweig aus. Drei Zentimeter hohe Felgenkiller sind keine Seltenheit. Foto Klaus Knodt

Beispiel 1 Messeweg: Da wurde nach langem Hickhack lediglich ein "Fahrradstreifen" auf die Autofahrbahn aufgepinselt, anstatt einen vernünftigen Radweg zu bauen - die billigste und schlechteste Lösung.

Beispiel 2 Innenstadt: Da wurden im Zuge des Neubaus des „Schloss“-Einkaufszentrums alle Straßen und Gehwege neu überplant, aber die Radfahrer glatt vergessen. Nicht mal vor den unübersichtlichen Ein- und Ausfahrten der mitten in der Stadt neu geschaffenen Parkhäuser gibt es Fahrradstreifen oder entsprechende Hinweise für die Autofahrer. Schon Wermuth forderte 1998 eine „hohe Präsenz und Wiedererkennung“ durch „das Aufbringen farbiger Markierungen“. Dafür haben die neuen Parkhäuser den Zielverkehr direkt in die Innenstadt hinein drastisch erhöht.

Beispiel 3 Ringgleisweg: Das ehemalige Industrie-Ringgleis um die Innenstadt herum wurde als kombinierter Rad- und Fußweg (mit Grand- b.z.w. Sanddecke) ausgewiesen. Aus Rücksichtnahme auf Investoren, die Parkplätze für ihre Kunden brauchen, wurde dieser "Ringweg" aber nie geschlossen, sondern sogar nachträglich durchlöchert (BRAWO-Park).

Beispiele 4 Jasperallee / Mittelweg / Bültenweg / Leonhardstraße: Um Abbiegespuren oder 2-spurigkeit für Richtungsfahrbahnen zu realisieren, enden dort auch neue Radwege/aufgepinselte Fahrradspuren plötzlich im "Nichts", und damit im Stadtbus- oder Straßenbahnverkehr. Das ist natürlich alles andere als sicher.

Bespiel 5 Bestandspflege: Die Decken der viel zu schmalen Radwege etwa an der Salzdahlumer Straße, Kurt-Schumacher-Straße (Südseite vor dem Atrium-Bummelcenter), Luisenstraße, Küchenstraße oder Teilen des Rings sind in einem erbärmlichen Zustand (uneben, Wurzelrisse, plötzliche Verschwenkungen, ungenügende Bordsteinabsenkungen). Lediglich im Zuge von Sanierungen für den Autoverkehr wird auch mal auf 20 Metern Länge „der Radweg gleich mit gemacht“ (Einmündung Adolfstraße).

Zehn Schilder ohne Nutzen: An der Kreuzung Parkstraße / Adolfstraße / Museumstraße wird die Fahrradstraße vor der Museumstraße aufgehoben und danach wieder in Kraft gesetzt Foto Klaus Knodt

Allgemein ist festzustellen, dass die Stadt trotz gegenteiliger Behauptungen überwiegend am Fluss des motorisierten Individualverkehrs interessiert zu sein scheint. Braunschweig gilt als Einkaufsstadt für das Umland. Da will man der Familie mit dem Van am Samstag freie Fahrt direkt auf das Parkdeck des ECE-Shopping-Centers mitten in der Innenstadt ermöglichen. Bis heute läuft mit dem Straßenzug Bohlweg/Wilhelmstraße-Stobenstraße-Auguststraße eine vierspurige "Autobahn" mitten durch die Innenstadt; Begründung: man kann ja den örtlichen Einzelhandel nicht vom Liefer- und Besucherverkehr abschneiden. Mit einem integrierten Verkehrskonzept hat das alles nichts zu tun.

Auffällig ist zudem, dass im Östlichen Ring (Wohngebiet der eher besser betuchten Bevölkerung mit hohem Grün-Wähleranteil) deutlich mehr für die Fahrrad-Infrastruktur getan wird als im Rest der Stadt. Da werden dann schon mal Fahrrad-Symbole auf die Kreuzungen gepinselt.

 

Ein großes Fahrrad-Symbol auf dem Asphalt: so hübscht sich die Stadt Braunschweig als fahrradfreundlich auf. Foto: Klaus Knodt

Da die Stadt kein Park&Ride-System etabliert hat (die Stadtbahnlinie zum Großparkplatz Harz&Heide wurde vor 10 Jahren sogar rückgebaut!) kommt es regelmässig zu Konflikten zwischen Fussgängern, Radfahrern und dem motorisierten Individualverkehr wegen Falschparkens, Hektik und "Ich-muss-noch-die-Ampel-schaffen"-Situationen.

Geschwindigkeitskontrolle: Im Braunschweiger Innenstadtbereich gibt es keine mobilen Tempokontrollen. Über den sog. "Ring 1" brettern regelmässig Fahrzeuge mit mehr als 70 km/h. Als Radfahrer muss man dort selbst an einer grünen Ampel erst mal stehen bleiben und gucken, ob auch wirklich keiner kommt.

Ampelmanagement: Auf vierspurigen Straßen mit Mittelstreifen für die Tram (Georg-Eckert-Straße, Auguststraße, Küchenstraße) „verhungern“ Radfahrer und Fußgänger aufgrund Auto-optimierter Ampelschaltungen regelmässig auf einem schmalen Streifen zwischen Tram- und motorisiertem Individualverkehr, wenn sie die Straße überqueren wollen.

 

Vorne Grün, hinten Rot. Um die Ampeln für den motorisierten Individualverkehr (MIV) zu synchronisieren, lässt die Stadt Braunschweig gern mal Radfahrer und Fußgänger auf Verkehrsinseln stehen. Foto: Klaus Knodt

ÖPNV: Die Tarifstruktur der Braunschweiger Verkehrs GmbH ist so unflexibel und TEUER, dass einer vierköpfigen Durchschnittsfamilie aus dem Umland schon finanziell nichts anderes übrig bleibt, als mit dem Privatauto in die Stadt zu fahren. Vom Stadtrand in die Innenstadt und zurück bezahlt ein Erwachsener 5,00 €, eine Familie mit 2 Kindern 11,50 € (www.verkehr-bs.de/tickets/fahrpreisuebersicht-2018.html) Ein Kurzfahrt-Ticket gibt es gar nicht. Das verschärft natürlich den Druck auf die verfügbare Verkehrsfläche und erhöht die Zahl der Falschparker, die dann bevorzugt die Radwege zustellen.

Die stark zugenommenen Verstöße des Lieferverkehrs durch DHL-, Hermes-, GLS- und UPS-Fahrzeuge werden praktisch nicht geahndet - während fleissige MitarbeiterInnen des Verkehrsaussendienstes das Falschparken auf Behindertenparkplätzen mit der Kamera dokumentieren (ist natürlich richtig), rumpeln die Lieferwagen rücksichtslos und ohne Rückspiegel auf den nächsten Radweg zum "Kurzhalt". Hier kontrolliert die Stadt überhaupt nicht.

Immerhin wurden einige der vorgeschlagenen infrastrukturellen Massnahmen aus dem Wermuth-Gutachten im Lauf der letzten 20 Jahre umgesetzt, u.a. der Neubau von Radwegen zwischen Volkmarode und Schapen, auf Teilabschnitten des Bültenwegs, auf ein paar Metern der Fallersleber Straße und der Helmstedter Straße. Auf „witterungsgeschützte und diebstahlsichere Abstellanlagen“ warten die RadlerInnen indes bis heute fast überall vergebens. Von reinen Fahrradstraßen wie in Holland können sie nur träumen. Der oft gepriesene Ringgleisweg wurde schon vor 20 Jahren vom Gutachter als reine „Freizeittrasse“ bewertet, nicht als Verkehrsweg.

Fazit: Die Stadt Braunschweig kommt ihrer selbstgestellten Aufgabe, "fahrradfreundlich" zu werden nur dort zögerlich nach, wo es kein oder wenig Geld kostet. Ein paar Fahrradbügel hier, eine Abbiegespur dort, ein paar Wegweiser - lasches Stückwerk ohne erkennbares Gesamtkonzept. Selbst der Pressesprecherin der Stadt war es nach telefonischer Anfrage nicht möglich, ein städtisches Fahrradkonzept als .pdf an die Redaktion zu übermitteln. Das Bemühen um mehr Fahrradfreundlichkeit als zu Hoffmanns Zeiten bleibt ein Lippenbekenntnis, solange Radwege als „Straßenbegleitbau“ angesehen werden. Es fehlen Ideen, es fehlt ein Wille, es fehlt der Mut für ein integriertes Fahrradkonzept in Braunschweig.

LETZTE ANMERKUNG: Gerade mal 50 Minuten (!) nach ihrer „Fahrradklima“-Beschönigung veröffentlichte die Stadtverwaltung die Mitteilung: „Radverkehr in der Fußgängerzone kontrolliert – 66 Verstösse“. Zwischen 11 und 13 Uhr habe man 66 RadfahrerInnen in der FuZo mit jeweils 15,- € Bussgeld abgestraft. Denn dort darf man nur nachts nach Geschäftsschluss fahren. Wer fährt unter diesen restriktiven Bedingungen schon gern mit seinem Rad zum Einkaufen in die City?

ANLAGE: der Verkehrsentwicklungsplan Braunschweig. Ganze vier Textseiten sind dem Radverkehr gewidmet (Quelle: Homepage der Stadt Braunschweig)

 

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