Kansas mal rückwärts: Melhus’ Dorothy aus WOB - Westhagen

Björn Melhus eröffnete seine Werkschau in der halle267 vor einem Video-Sternenhimmel. Foto: Klaus Knodt

Verstörend absurd, betörend grotesk: das muß Kunst sein. Was Björn Melhus seit „Trumps Geburtstag“ (welche Koinzidenz!) in der halle267 an der Hamburger Straße zeigt, zieht den Besucher/die Besucherin unweigerlich in den Bann. Zunächst ohne Sinn erscheinend, offenbaren seine Video-Installationen Tiefe, Denkraum und politisch-metabolischen Verstand. Und dabei bezieht Melhus sich auch noch auf ein amerikanisches Kinderbuch.

 

Das Handy war noch gar nicht erfunden: Melhus als „Dorothy“ mit grüner Pünktchenschleife. Repro: Klaus Knodt

An acht Stationen zeigt der HBK-Absolvent und Professor an der Kunsthochschule Kassel 6- bis 15-minütige Werke aus den Jahren 1991 bis 2016. „Meine Dorothy lebt in Sasnak, einer deutschen Vorstadt. Von dort geht sie in das Zauberland Oz.“ Wem die Kindermythologie des US-amerikanischen Massenkitschs weniger geläufig ist: Im „Zauberer von Oz“ helfen in einem hanebüchenen Plot ohne jegliche Handlungslogik zufällig erfundene Nebenfiguren der Akteurin Dorothy immer dann aus der Patsche, wenn jede Hoffnung der Protagonisten stirbt. (Story unter wikipedia.org/wiki/Der_Zauberer_von_Oz). Dass Melhus dieses Zitat ans Absurde über seine Ausstellung stellt (die „Oz“-Dorothy kam aus KANSAS, also SASNAK rückwärts gelesen), kommt nicht von ungefähr: Der Mann hat ein paar Jahre seines fröhlichen Leidens als Stipendiat in den USA verbringen müssen. „Ich habe ein halbes Jahr lang aus meinem Klofenster die Zwillingstürme in New York gesehen. Und dann waren sie für ein halbes Jahr weg.“ Sowas kann, aber muss nicht, auf junge Seelen verstörend wirken.

 

Der Künstler wird von seinem Alter Ego fast erdrückt. Foto: Klaus Knodt

 Aufhellung in der wegterrorisierten Ödnis fand Melhus offenbar im TV, in der bigotten Themenvielfalt der Billigserien, Shows, Commercials, Bibel- und Massenproduktions-Songs, die noch immer in jedem Supermarkt dudeln. Aus dieser Kakophonie des kläglichen Konsums schnippselte er seine Projektideen zusammen: „Am Anfang meiner Werke standen immer die Töne. Stimmen aus Serien, Shows, Songs. Auch Michael Jackson und Stevie Wonder.“ Auf die Tonspuren setzte Melhus dann Charaktere, „im Laufe der Jahre sind rund 100 Figuren entstanden.“

Die Lady mit der Peitsche auf der beeindruckenden, dreigeteilten 16-Meter-Leinwand in der „halle267“ ist so eine, aber auch der Typ mit dem falschen Biberpelz. Melhus spielt alle Darsteller seiner Filme selbst. „Für Schauspieler gebe ich kein Geld aus, hihi. Nein: Ich will keinem Schauspieler sagen, was ich empfinde, damit der das dann macht.“ Das hat Melhus den Vorwurf eingebracht, er sei ein Egomane, der sich gern selbst inszeniert. Auf seiner Homepage sieht man ihn mit Flinte und Filmdress vor’m Death Valley montiert, atemberaubend aufmerksamkeitsheischend – und so lächerlich absurd, dass der Szenerie das Groteske innewohnt. Wird da die Selbstironie zum verkaufsfördernden Selbstzweck? Oder tickt der ganz einfach so?

Wohl Letzteres. Melhus reflektiert über die „Verlagerung von Sicherheit an private Firmen analog der Filme Armageddon und Deep Impact mit Bruce Willis“, aus denen er prompt die Spielfiguren „Freedom“ und „Independence“ seines gleichnamigen Films gebiert. In „I’m not the enemy“ schickt er den Soldaten “who have tasted war” in den pittoresken deutschen Kleinstadtmief zurück. Post-Traumata? Schon Programm. Ayn Rand (zum Glück in Deutschland kaum gelesen) erhält als „Randy“ bei ihm den zweifelhaften Ruhm der Sockelbesteigerin, „die dem Kapitalismus eine Philosophie gegeben hat“. Und das alles nicht verkniffen, sondern nonchalant, lächelnd, transponations-weise.

 Björn Melhus stelllt seine Installationen den Gästen der Vernissage vor. Foto: Klaus Knodt

Die hervorragende Kollegin Viktoria Knapek vom SUBWAY Magazin fragte Melhus vor der Vernissage: „Welches Publikum sprechen Sie mit Ihren Videos an und was möchten Sie bewirken? Melhus’ Antwort: Ich glaube, die Arbeiten eignen sich für ein sehr breites Publikum. Sie haben einen hohen Unterhaltungswert, aber beim genaueren Hinhören und Hinsehen auch eine Tiefe, die erschlossen werden will. Manche der Arbeiten reflektieren auch Erfahrungen, die viele Menschen im Umgang mit Medien schon selbst erlebt haben. Das kann tragisch, komisch oder tragikomisch sein.“ (Quelle:oeding magazin GmbH).

Inspiration seines Schaffens war Charlie Chaplin, sagt Melhus: „Mit seiner Mischung aus Traurigkeit, Kritik und großem Humor.“ Auch deshalb stellt er die Original-Zöpfe seiner Rolle „Dorothy“ in einem kleinen Schaukasten in Braunschweig aus. In der BS-Weststadt sowie WOB-Westhagen entstanden Szenen seiner Filme.

 

Braunschweigs Kulturdezernentin Dr. Anja Hesse dankte Björn Melhus für Wahl, seine Werkausstellung in der neuen halle267 zu zeigen. Foto: Klaus Knodt

„Wir können uns in Ihrem Abglanz etwas suhlen“ sagte Braunschweigs Kulturdezernentin Dr. Anja Hesse, als sie Björn Melhus in der halle267 begrüßte. „Als ich die HBK verliess, waren Sie schon ein Begriff.“ Vielleicht wird er das ja auch für Kiddies, die mit ihren Handys bisher nur Pausenhof-Prügeleien aufgezeichnet haben. Video ist voll krass und man kann Kunst damit machen.