Drei Arten von Staub
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- Veröffentlicht: Samstag, 21. Oktober 2017 18:34
- Geschrieben von Klaus Knodt
Wie das Städtische Museum Kulturschätze bewahrt
Restauratorin Garnet Rösch-Meier säubert einen indianischen Federfächer. Jede einzelne Feder wird mit destilliertem Wasser und Pinsel gereinigt.
Garnet Rösch-Meier hat einen schönen Arbeitsplatz. Aus ihrem Atelier überblickt sie durch ein dreiflügeliges Fenster den Löwenwall bis zum Obelisken. Leider darf sie es niemals öffnen. Denn Garnet Rösch-Meier ist Restauratorin im Städtischen Museum.
„Staub, Feuchtigkeit, womöglich Schadinsekten in der Werkstatt – das wäre ein enormes Problem“, sagt sie. Potenziell zerstörerisch für das museale Kulturgut. Genauso, wie zu viele Besucher an einem Regentag. „Dann schlagen die Nadeln der Hygrometer aus“, berichtet Museumsdirektor Dr. Peter Joch. Hölzer, Lacke, Farben, Leder und andere Naturmaterialien leiden darunter. Sie mögen keine Temperatur- und Feuchteschwankungen.
Mit Lupenbrille, Wattestäbchen und destilliertem Wasser behebt Restauratorin Rösch-Meier daher unermüdlich Schäden an Exponaten, die im Laufe der Lagerung oder auch in der Ausstellung auftraten. Zur Zeit restauriert sie Exponate, die ab 29. Oktober in der Sonderausstellung „WEITBLICK – Städtisches Museum und Kulturen der Welt“ ausgestellt werden sollen. Darunter Kanu-Modelle aus verschiedenen amerikanischen Kulturkreisen, bunter Federschmuck und fragile Objekte aus Birkenrinde, die jahrzehntelang in den Magazinen unter’m Dach geschlummert haben. Rösch-Meier: „Es gibt drei Arten Staub. Den, den man wegpusten kann. Den, den man abpinseln kann. Und den, den man feucht entfernen muss, weil er sehr fest sitzt“, kategorisiert sie das häufigste ästhetische Problem.
Ein 150 Jahre altes Zigarren-Täschchen. Nach dem Säubern werden die Stickereien aus Elchhaar bei 70 Grad Temperatur geglättet.
„Um genau kontrollieren zu können, was ich tue, muss ich den festsitzenden Staub Millimeter für Millimeter mit dem Pinsel oder Wattestäbchen entfernen.“ Die letzte, besonders hartnäckige Schicht wird sogar mit einer speziellen Knetmasse gebunden und abgenommen. Für die Aufarbeitung eines Federfächers aus der Gegend der Niagara-Fälle, bei dessen Reinigung Feder für Feder einzeln gewaschen wird, setzt sie 3 Tage Arbeit an: „Pro Tag schaffe ich 10 Zentimeter. Dabei handelt es sich nur um Staub, denn das Objekt war gut gelagert.“ Wenn Mottenfraß oder Materialversprödung dazu kommen, wird’s noch aufwändiger.
Rund 270.000 Exponate besitzt das Städtische Museum. „Wir können immer nur einen Bruchteil ausstellen, deshalb setzen wir mit unseren Sonderausstellungen Schwerpunkte“, so Dr. Joch. Die „Weitblick“-Ausstellung will in verschiedenen „Kulturinseln“ den Kulturtransfer zwischen Braunschweig und Amerika, Italien sowie deutschen Hotspots der Kunst vermitteln. Die Restauratorin hat dafür gerade eine über 1000 Jahre alte Schale aus Persien vor sich liegen, gefertigt aus einer Kupferlegierung. „Schöne Patina. Am Liebsten würde ich sie ja so belassen. Aber diese Korrosionsprodukte bilden zusammen mit Feuchtigkeit - zum Beispiel aus der Luft - Säuren, welche das Material auf Dauer zerstören würden“, so Rösch-Meier. Also wird der Grünspan millimeterweise mechanisch und per Hand entfernt. Chemie ist weitgehend tabu, um den Exponaten nicht ungeahnt neue Schäden zuzufügen.
Museumsdirektor Dr. Peter Joch begutachtet Exponate, die ab 29. Oktober in der Sonderausstellung „Weitblick“ präsentiert werden sollen.
Wo kriegt man so eine Geduld her? Die Restauratorin: „Filigrane Arbeiten lagen mir schon als Kind. Ich habe damals Mini-Püppchen aus Kaugummiautomaten gesammelt und ihnen Kleider und Schuhe gefertigt.“ Die feinmotorischen Fähigkeiten waren ausschlaggebend bei der Berufswahl und diese wurde zur Profession, in der sie sich ästhetisch auslebt. Die Glasbehälter mit Farbpigmenten über ihrem Arbeitstisch sind nicht nach Etikett und Bestellnummer geordnet, sondern schlicht nach optischer Abstufung im Wahrnehmungsspektrum. Die organischen oder mineralischen Pulver dienen zum Einfärben von speziellen Rezepturen, welche genau auf die Eigenschaften des Objekts abgestimmt sind und für Kittungen oder Retuschen verwendet werden. Oberste Devise: „Alle Reparaturen müssen reversibel sein.“ Deshalb werden sie akribisch dokumentiert. In früheren Zeiten war man da nicht so zimperlich.
Mit Wattestäbchen und Spezial-Knetmasse wird millimeterweise verkrusteter Staub von einem 5 Zentimeter großen Exponat entfernt.
„Häufig müssen wir früherere Restaurierungen restaurieren“, sagt Dr. Joch. „In einem Holzobjekt aus dem Fundus fanden wir einen Nagel, der da nicht hingehörte. Mit dem hatte man wohl irgendwann vor 100 Jahren ein abgebrochenes Stück befestigt.“ Folge: Der Eisennagel rostete, quoll auf und sprengte das Holz. Die heutige Restaurierung archiviert solche Kollateralschadensverursacher, dokumentiert sie und ordnet sie in beschrifteten Tütchen dem Objekt bei. Wie auch die fünf Millimeter kleinen Birkenrinden-Fragmente eines alten Indianer-Mokassins, den Rösch-Meier mit feuchter Luft wieder geschmeidig gemacht hat: „Mit heutiger Technik können wir sie nicht befestigen. In den nachfolgenden Generationen gelingt das vielleicht. Also heben wir sie auf und fügen sie dem Objekt bei.“
Manchmal bedarf es robusterer Methoden, um alte Schätzchen zu echten Schätzen zu machen. Bei einem historischen Schrank aus dem 18. Jahrhundert half nur die Säge. Er hatte unbeachtet im ersten Stock eines Braunschweiger Bürgerhauses seine vierte Lebenshälfte verbracht. Direkt darunter lag das Wohnzimmer, in dem immer gut geheizt wurde. In Trockenheit und warmer Umgebung schrumpfte das Holz des antiken Prachtstücks – mit verheerenden Folgen. Garnet Rösch-Meier: „Die Quergurte büssten unter der Wärme nur ein bis zwei Prozent ihrer Länge ein. Die Seitenwände mit anderer Maserungsrichtung dagegen fünf bis sechs Prozent.“ Irgendwann knackte es, und es taten sich Zentimeter breite Risse auf. Die Restauratorin: „Wir haben den kompletten Schrank zerlegt, die Quergurte abgesägt und alles wieder montiert.“ Nun steht er in der ständigen Ausstellung.
Dieses über 1000 Jahre alte Schälchen ist im Lauf der Zeit korrodiert. Es darf nur mit Handschuhen angefasst werden, wenn es rein mechanisch gereinigt wird.
Dieses über 1000 Jahre alte Schälchen ist im Lauf der Zeit korrodiert. Es darf nur mit Handschuhen angefasst werden, wenn es rein mechanisch gereinigt wird.
Mit welcher Akribie das Restaurierungs-Team des Städtischen Museums zu Werke geht, können Besucher der „Weitblick“-Ausstellung ab 29. Oktober selbst erleben. Dort wird dann eines der seltenen noch vorhandenen Indianer-Kanus aus dem 19. Jahrhundert vor den Museumsgästen live restauriert. High-Tech-Methoden à la „terra-X“ sind selten. Ein Städtisches Museum verfügt über begrenzte Mittel. Wo es nötig wird, werden sie allerdings eingesetzt. Garnet Rösch-Meier: „Für unsere wundervollen Glasperlen-Mosaiken brauchten wir Ersatzperlen, die es heute nicht mehr gibt. Um den Farbton des 18. Jahrhunderts zu treffen, wurden hellere Perlen aus Murano mittels getöntem Lack lasiert, bis sie den Originalperlen möglichst ähnlich waren.“
Der alte Tresorschrank in der Restaurierungs-Werkstatt stellt auch Museumsdirektor Dr. Peter Joch vor Probleme. Das schöne Stück nimmt Platz weg, darf aber aufgrund seines Gewichts nur im Souterrain stehen.
Von einem alten Stück würde sich Garnet Rösch-Meier gerne trennen. In ihrer Werkstatt steht noch ein mannshoher Tresor aus dem frühen 20. Jahrhundert, irgendwo zwischen Jugendstil und Art-Deko aufwändig verziert. Problem: „Er ist so schwer, dass er wohl nur hier im Tiefgeschoss stehen kann. Aber ich brauche den Platz für Regale!“
In der Ausstellung „Weitblick“ (29. Oktober 2017 – 20. Februar 2018) zeigt das Städtische Museum einen Teil der Exponate. Während die Ausstellung läuft, wird vor den Augen der Besucher ein seltenes Birkenrinden-Kanu öffentlich im Museum restauriert.
Fotos: Klaus Knodt