Stolpersteine handverlesen?
- Details
- Veröffentlicht: Dienstag, 22. Juli 2014 12:44
- Geschrieben von Heide Janicki
Heute, am 22. Juli, hätte für das anerkannte Opfer des Faschismus, Minna Faßhauer, ein Stolperstein verlegt werden sollen. Ende März ist ihr Leben im Rahmen einer Feierstunde präsentiert worden, wie das im Vorfeld der Stolperstein-Verlegung üblich ist. Es kam anders. Die ganze (Vor-)Geschichte:
Wir erinnern uns: Minna Faßhauer war die erste Ministerin in Deutschland. Als Ergebnis der November-Revolution 1918 trug ihr der Arbeiter- und Soldatenrat das Kommissariat für Volksbildung an (heute: Ministerium).
Die Würdigung
2011 brachte die Partei Die Linke einen Antrag in den Rat der Stadt ein, Minna Faßhauer als Braunschweiger Persönlichkeit zu ehren. Der Antrag ging „verloren", wurde zum zweiten Mal eingebracht und im März 2012 im Kulturausschuss behandelt. Dort wurde Professor Gerd Biegel beauftragt, das Leben von Minna Faßhauer zu dokumentieren.
Der Oberbürgermeister, Herr Dr. Hoffmann, schickte eine Mitteilung an alle Ratsparteien, in der er Minna Faßhauer als Terroristin bezeichnete, wobei er sich der Argumente bediente, wie sie die Faschisten in ihrer Akte im KZ Moringen aufgelistet hatten. Sein zweites Argument zielte auf ihre Parteizugehörigkeit nach 1945 in der KPD, die 1956 wegen Verfassungsfeindlichkeit zu Recht verboten worden sei. Daß Faßhauer bereits 1949 verstorben ist, scherte ihn nicht.
Monate später trug Biegel seine Dokumentation dem Kulturausschuss vor. Das Ergebnis spiegelte punktuell die Meinung der Auftraggeber. Gegen die Stimmen der CDU wurde beschlossen, Faßhauer zu würdigen statt zu ehren. Die Kulturdezernentin, Frau Dr. Hesse kündigte an, wenn dieser Antrag beschlossen würde, werde sich die Verwaltung weigern, ihn umzusetzen.
Die Braunschweiger CDU verfasste einen Artikel über die „Terroristin" Faßhauer auf ihrer Webseite.
Die Stimmung war so zugespitzt, daß der Rat der Stadt sich in einer zweistündigen Diskussion mit Minna Faßhauer befasste. Mehrere Artikel erschienen in der Braunschweiger Zeitung.
Die SPD brachte den Antrag ein, auch andere Braunschweiger Persönlichkeiten der Jahre zwischen 1918 und 1933 zu würdigen und diesen Teil der Geschichte aufzuarbeiten. Beispielhaft wurden genannt außer Minna Faßhauer auch Otto Grotewohl, August Merges, Joseph Oerter, aber auch
- Carl Heimbs, der geholfen hat, Hitler formal den Weg zu ebnen,
- Ernst-August Roloff sen., der Fraktionsvorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei war, und
- Werner Küchenthal, auch Mitglied dieser Partei, der darüber hinaus eine Koalition mit der NSDAP bildete und1930 zum Vorsitzenden des Staatsministeriums gewählt wurde und gleichzeitig die Leitung des Justizministeriums übernahm. In der Verantwortung auch dieses Mannes und seinem Missbrauch der Justiz im Faschismus liegt es, dass Minna Faßhauer bis heute diffamiert, kriminalisiert und posthum verfolgt wird, denn nach wie vor folgen Teile der Verwaltung dieser dumpfen Argumentation.
Mit dem Antrag der SPD „Von Ernst August über August Merges zu Heinrich Jasper – Die Zeit der Weimarer Republik in Braunschweig von den Anfängen bis zum Beginn des Faschismus" war der Antrag der Linken, Faßhauer zu würdigen, erledigt, der ja im Kulturausschuss noch eine breite Mehrheit links von der CDU gefunden hatte.
Der Gedenkstein
Gedenkstein und Fotomontage: Tobias Vergin
Vom Ausgang der Ratsbeschlüsse war abhängig gemacht worden, ob ein von der VVN 2011 in Auftrag gegebener Gedenkstein auf der Grabstelle Faßhauers gesetzt wird. Der Stein ist von dem Braunschweiger Bildhauer Tobias Vergin geschaffen worden und steht bis heute beim Steinmetz. Bis jetzt fehlt die Genehmigung. Die VVN hat den Klageweg beschritten.
Der Stolperstein
Wie schon erwähnt, wurde ihr Leben Ende März im Roten Saal präsentiert, heute, am 22. Juli, sollte für sie der Stolperstein in der Hugo-Luther-Straße verlegt werden.
Den Ratsfraktionen wurde Ende Juni, unterzeichnet von Frau Dr. Hesse mitgeteilt, es gebe Unstimmigkeiten bei den angegebenen Zeiten Faßhauers in Moringen, die Verlegung müsse verschoben werden. Das heißt, daß sie die Daten der KZ-Akte Moringen anzweifelt.Das Interesse an der ordnungsgemäßen Veröffentlichung von so sensiblen Daten ist erfreulich, und - solches Interesse vorausgesetzt – wäre es ein Leichtes gewesen, die korrigierten Daten rechtzeitig zu ermitteln, um die Verlegung des Stolpersteins zu gewährleisten, dennimmerhin gab es von der Präsentation bis zur Mitteilung ein Zeitfenster von zwei Monaten. Es darf bezweifelt werden, daß eine Korrektur beabsichtigt war:
Dem zuständigen Bezirksrat, dessen Zustimmung die Grundlage für eine Verlegung ist, wurde keine Beschlussvorlage zugeleitet, ihm wurde lediglich mitgeteilt, die Verlegung werde verschoben. Es gab also nichts zu beschließen.
Dem Verein Stolperstein e.V. wurde unter Umgehung dieses Sachverhalts mitgeteilt, der Bezirksrat habe der Verlegung nicht zugestimmt. Sie nennen es parlamentarische Demokratie.
Aussicht
2015 feiern wir 70 Jahre Befreiung vom Faschismus. Angesichts der unseligen Rolle, die Braunschweig dabei gespielt hat, Adolf Hitler zum deutschen Staatsbürgerschaft zu machen, ist die Würdigung dieser Tochter Braunschweigs und die Anerkennung Minna Faßhauers als anerkanntes Opfer des Faschismus überfällig.