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Landesmuseum: So brutal war der Brutalismus doch gar nicht – oder?

 

Museumsdirektorin Dr. Heike Pöppelmann vor einem Foto des Braunschweiger Bahnhofs. Er sollte Roma Termini nachempfunden werden, steht aber bis heute an der falschen Stelle. Foto: Klaus Knodt

Mit der Ausstellung „SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster“ trat das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt/M. Ende 2017 eine kulturhistorische Debatte los. War das wirklich alles schlecht, was zwischen 1960 und 1980 in unseren Städten, gern in öffentlichen Bauten, aus Rohbeton (dem „beton brut“, daher der Name) gegossen wurde? Sind die Rathäuser, Kliniken, Universitäten, Bahnhöfe, Schulen, Wohn- „Fabriken“ und sogar Kirchen aus jener Zeit notwendige Anpassungen an neue Funktionalitäten, Ökonomien – oder einfach nur abrissbedürftige Scheusslichkeiten?

Das Braunschweigische Landesmuseum spürt den lokalen Bauten jener Zeit in seiner neuen Ausstellung „BRUTAL MODERN – Bauen und Leben in den 60er und 70er Jahren“ nach. Im klassizistischen Viehweghaus mit seinen knarrenden Holzböden; nicht etwa im brutalistischen Turm der TU. Museumsdirektorin Dr. Heike Pöppelmann betont: „Wir haben uns in eineinhalb Jahren bemüht, hier keine reine Archtekturausstellung zu schaffen. Sondern wir wollten die Menschen mit einbeziehen, die in dieser Zeit und mit dieser Architektur lebten.“

 Kuratorin Dr. Katrin Keßler vor ihrem eigenen Jugendzimmer, das jetzt die Ausstellung schmückt. Foto: Klaus Knodt

Liebevoll nachgebaut wurden typische Wohn-, Jugend- und Schlafzimmer mit originalem Mobiliar. Ein knallgelber Karmann-Buggy wurde ins Foyer gerollt. Dazu gibt’s Memorabilia wie Plakate, Zeitschriften, Bücher der Mittsechziger und Siebzieger. Im knallroten Jugendzimmer (das Kuratorin Dr. Katrin Keßler selbst gehörte) findet sich in einer Schublade noch eine alte BRAVO-Ausgabe. Auf dem Sofa, süß, Ernie + Bert in Plüsch. 

Die beispielhaft vorgestellten Gebäude (Bahnhof Braunschweig, Rathaus Salzgitter, „Affenfelsen“ am Rebenring, Heinrich-Nordhoff-Schule in WOB u.v.m.) werden nicht nur als bauliche Körper erfasst, sondern offenbaren auch ihr Inneres: In zeitgenössischen Fotos zum Zeitpunkt der Einweihung, Ideenskizzen der Architekten, Ausstattungs- und Nutzungsdetails, die den „Geist jener Zeit mit ihrem dynamischen Hunger, ihrem rationalen Lebensgefühl“ widerspiegeln (Dr. Pöppelmann). Eine Original-Lampe aus der St. Raphael-Kirche in WOB (Architekt Toni und Hannes Hermanns, ab 1969) gehört ebenso zu den Exponaten wie ein Ensemble der Aluguss-Kacheln der Braunschweiger „Horten“-Fassade. Im Architekten-Aufrissplan des Sharoun-Theaters (Wolfsburg) wird die heute unbegreifliche Denke der damaligen Planer entlarvt: Der Baukörper selbst nimmt nur ein Viertel der Fläche der Parkplätze drumrum ein. Stadt hatte autogerecht zu sein.

In einem nachgebauten Architektenbüro der 60er Jahre liegt die Bibel der progressiven Stadtplaner auf dem Tisch. Leider hat sie kaum jemand gelesen. Foto: Klaus Knodt

Doch selbst der Brutalismus änderte sich: Nachdem sich aus den ersten Bauhaus-Entwürfen eines Walter Gropius die „Braunschweiger Schule“ an der TU BS entwickelt hatte, übernahm ein Irrglaube an das absolute Primat der Zweckmässigkeit Oberhand. Beispielhaft wird die neue Klavierfabrik von Grotrian-Steinweg in BS-Veltenhof gezeigt: „Eine umbaute Produktionsstraße, die wie eine Kiste aussieht.“ (Kuratorin Dr. Keßler).

„form follows function“ lautete die Devise einer zukunftsgäubigen Architektenzunft, die den Kardinalfehler ihres Tuns bis heute nicht eingesehen hat: Sie hat nie die Menschen gefragt, welche Funktion sie in Beton gießen soll. Sondern immer nur wahllos zeittypische Parameter be-vorahnt (mal Parkplätze, mal Baubegleitgrün. Mal Schnellstraßen, mal Demokratie. Mal Einkaufsmöglichkeiten, mal Lärmschutz.)

Das Rathaus Salzgitter in der Planungs- und Bauphase. Die „Lakritzschnecke“ rechts oben sollte nach dem Willen der Architekten die Demokratie im Stadtrat befördern. Repro: Klaus Knodt

Rausgekommen ist - anfangs noch naiv - ein verglaster Sitzungssaal des Salzgitteraner Rathauses, in dem die Pulte der Stadtverordneten in Form einer Lakritzschnecke angeordnet werden sollten. „Damit die Bürger von draussen sehen können, wie ihr Rat tagt“ (Dr. Keßler). Später wurden in Stundentenwohnheime komplette „Nasszellen“ samt Dusche, Waschtisch, Klo, Spiegel, Regal und Schrank aus GfK als Stückeinheit eingebaut. Der Architekt wußte, wo die Seife zu liegen hat. Da wurde der Brutalismus für die/den fülligere/n StudentIn schon mal brutal. Und der Bauhandwerker mußte nicht mehr fliesen, sondern konnte ein komplettes Bad in vier Stunden anschrauben. Der gewandelte Architekturglaube hiess: „Function follows Efficiency”.

Dies zu thematisieren, vermeidet die Ausstellung allerdings. Vielleicht, weil das „Forum Architektur BS“, die „Braunschweigische Landschaft“, die „Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz“, die Stiftungen der BLSK und die TU selbst zu den Förderern und Partnern der Show gehören. Ach ja, und das „Netzwerk Braunschweiger Schule“ ebenfalls.

 

Der Maler Theodor Egerland zeichnete 1964 den Bohlweg als einen „großstädtischen Boulevard“. Eine Kostbarkeit in einer Zeit, in der kaum ein Künstler Braunschweig festhielt. Das Bild gibt es als Druck im Museums-Shop. Foto: Klaus Knodt

In Videos kommen ehemalige Planer, Architekten, Verantwortliche zu Wort. Überwiegend dürfen sie monologisieren. Wer kam auf die Idee, dass diese hochkant aufgestellten Schuhkartons in der Kurt-Schumacher-Straße Heimat sind? Warum werden diese baulichen Katastrophen in der Ausstellung stiefmütterlich behandelt? Welche gewachsenen Verkehrsbeziehungen hat der Brutalismus in BS, WOB, SZ nachhaltig zerstört? Möchte ein Architekt/eine Architektin im Hochhaus neben dem Atrium-Center am Bahnhof wohnen? Oder in SZ-Lebenstedt?

Das BSLM hinterfragt hier leider nicht, welche ökonomischen Faktoren die Architektur des Brutalismus beeinflusst haben; und spart die Ansicht dort aus, wo es um schnöde Profitgier ging. Die „Wohnmaschinen“ in BS-Weststadt, WOB-Westhagen, SZ und ihre heutigen Probleme werden ausgeklammert. Kein Wort zu sozialen Problemen in „brutalen“ Quartieren mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum. Das BSLM konzentriert sich auf die ideal-stereotypisierten Bausünden, ohne die große Sünde zu sehen.

 

Das BSLM hat Möglichkeiten geschaffen, um die jüngeren Besucher zu beschäftigen. Sie können sich (wie hier die Direktorin) im Aufbau neuer Stadtmodelle ausprobieren. Foto: Klaus Knodt

Wir erfahren in der Austellung, dass der Bau der Stadthalle Braunschweig mal 11 Mio. € gekostet hat – allein ihr Abriss wäre heute teurer. Bauten können nicht nur aufgrund ihrer Ästhetik, Funktionalität, politischen Aussage oder der technischen Kühnheit ihrer ErbauerInnen beurteilt werden. Architektur war (und ist) immer auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit. In den Kontext zu setzen ist immer auch die Frage nach ihrer wirtschaftlichen Grundlage. Sozusagen die Basis des Baufundaments. An dieser Frage mogelt sich die – ansonsten ausgezeichnete - Ausstellung im BSLM leider kleinmütig vorbei.

Die Ausstellung wird begleitet von Vorträgen, Workshops, Führungen, einem „Erzählcafe“, Podiumsdiskussionen, Kinder-Events und Angeboten für Schulklassen. Eintritt 7,- € für Erwachsene, ermässigt 5,- €. Für Kinder 3,-€. Sie läuft bis zum 31. März 2019. Info unter www.3landesmuseen.de

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