Keine Zukunft ohne Geschichte. Offener Brief an den SPD-Parteivorstand
- Sonntag, 05. August 2018 18:07
- Christina Morina, Duitsland Instituut
DAAD-Fachlektorin/Visiting Assistant Professor
Brief an die SPD-Führung
Sehr geehrte Frau Nahles, sehr geehrte Mitglieder des Parteivorstands,
mit völligem Unverständnis haben wir die Nachricht über die Auflösung der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand vernommen. Als Historikerinnen und Historiker, mit oder ohne SPD-Parteibuch, halten wir diesen Schritt für einen schweren politischen Fehler. Mit Blick auf die Erneuerungsbemühungen innerhalb der Sozialdemokratie, aber auch für unsere liberale Demokratie, setzt er ein fatales Zeichen.
Die beiden wichtigsten Impulse, die 1981 zur Gründung der Kommission geführt hatten, sind heute aktueller denn je: Unter gesellschaftlicher Zustimmung bis weit in die Mitte hinein arbeitet eine sogenannte Neue Rechte wieder einmal an einer „nationalen“ Wende und torpediert mit der Macht von fast 100 Bundestagsmandaten den humanistischen, historisch-selbstkritischen Grundkonsens der Bundesrepublik; und vielleicht mehr als je zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik ist die Erhaltung unseres liberalen Gemeinwesens heute auf ein zivilgesellschaftlich inspiriertes Engagement „von unten“ angewiesen. Auch deshalb muss die Historische Kommission – möglicherweise in erneuerter Form – als Forum der Auseinandersetzung über historisch-politische, geschichtskulturelle und geschichts-politische Fragen erhalten bleiben. Angesichts der vielen globalen Herausforderungen und der immer rabiateren „Lösungs-“ Vorschläge von Populisten und Nationalisten sind die geschichtlichen Erfahrungen der Sozialdemokratie von essentieller Bedeutung. Werden diese nicht bereitgehalten und immer wieder neu reflektiert, wird die Verteidigung unseres solidarischen Rechtsstaates um ein Vielfaches schwerer.
Sehr geehrte Frau Nahles, sehr geehrte Mitglieder des Parteivorstands, es gibt viele Bürgerinnen und Bürger, innerhalb und außerhalb der SPD, denen die Krise des sozial-demokratischen Projekts große Sorgen bereitet. Die Auflösung der Historischen Kommission würde diese Krise vertiefen. Es gibt viele Historikerinnen und Historiker, die bereit sind, sich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einzusetzen. Die Historische Kommission ist eines der Foren, in denen über Wege zur Stabilisierung unserer demokratischen Grundordnung nachgedacht werden kann und sollte.
Wir fordern Sie auf: Revidieren Sie diesen geschichts- und gegenwartsvergessenen Beschluss!
Amsterdam, 1.8.2018
PD Dr. Christina Morina
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