Ver.di-Chef Bsirske in Braunschweig: Zusammenhalt stärken statt „parasitärem Kapitalismus“

 

Zum 1. Mai nahmen auch in diesem Jahr mehrere tausend Braunschweiger/Innen an der Kundgebung teil. Foto: Klaus Knodt

 Der ver.di-Bundesvorsitzende Frank Bsirske rief am heutigen 1. Mai auf dem Braunschweiger Burgplatz die Koalition zu mehr Investitionen in die Daseinsvorsorge, die Rückkehr zur Tarifbindung, die Beseitigung des Pflegenotstands und Gerechtigkeit in der Steuer- und Abgabenpolitik auf. „Gute Lohnabschlüsse, die wir zum Teil bereits erreicht haben, nützen Beschäftigten, Rentnern, und damit auch der Binnenkonjunktur. Doch es kündigen sich, etwa in der Druckindustrie, neue Großkonflikte an. Wir haben es mit einem Kulturkampf zu tun, der die Arbeitsbeziehungen zurück ins 19. Jahrhundert führen will.“ Das Agieren globaler Unternehmen wie amazon, die „maximal von steuerfinanzierter Infrastruktur profitieren“ aber de facto keine Steuern zahlen, sei „parasitärer Kapitalismus“.

 

Ver.di-Chef Frank Bsirske forderte in diesem Jahr als Hauptredner die Regierung dazu auf, mehr für soziale Gerechtigkeit zu tun. Foto: Klaus Knodt

Schon jetzt führe der weltgrößte Logistikdienstleister über Mitarbeiter „Inaktivitätsprotokolle“ und bestrafe ganze Abteilungen, in denen die Krankheitsquoten rasant auf 20 Prozent anwachsen. Wie auch bei anderen multinationalen Konzernen werde statt auf tarifliche Arbeit zunehmend auf eine „Erosion der Tarifbindung und schamloses Lohndumping“ gesetzt. Die Verleihung des Axel-Springer-Preises an den amazon-Chef sei vor diesem Hintergrund eine „unerträgliche Provokation“.

 

 Auch in diesem Jahr folgten viele Gruppen, Initiativen und Parteien dem Aufruf der Gewerkschaften zur Demo auf dem Burgplatz. Foto: Klaus Knodt

Habe noch vor zehn bis 15 Jahren in rund 65% der deutschen Betriebe die Tarifbindung gegolten, sei die Quote inzwischen auf unter 50 Prozent gesunken. Im Einzelhandel gelte sie nur noch für rund 30 % der Betriebe. „Im Durchschnitt kommt eine ausgebildete EZH-Fachkraft in Vollzeit mit knapp 1800 Euro nach Hause“, prangerte Bsirske an. Folge: Auch aufgrund der teilprivatisierten Rente führte dies direkt in die Altersarmut der Beschäftigten. Die durchschnittlichen Renten für Neuzugänge lägen (je nach Tarifgebiet Ost/West und Geschlecht) zwischen 609 und knapp 1100 Euro. Bei einem Rentenniveau von 43 % und einem Einkommen von 2500,- brutto erhielten Arbeitnehmer nach 40 Jahren noch 809,90 Euro, „weniger als der Sozialhilfesatz plus Wohngeld“.

 

Krankenschwester Antje Pohl (Klinikum Braunschweig) wies darauf hin: Pflege ist Gold wert und muss auch entsprechend vergütet werden. Foto: Klaus Knodt

Harte Kritik von Bsirske auch am Festhalten an Hartz IV in derzeitiger Form: „Die Regelsätze müssen erhöht werden. Kürzungen wegen sogenannter Verstösse dürfen nicht dazu führen, dass die Sätze unter das Existenzminimum absinken, deshalb reden ja Gerichte auch inzwischen von einem Minimum.“ Deutschland brauche eine neue Sicherheit in der Arbeit: „1,7 Millionen Arbeitnehmern wird der gesetzliche Mindestlohn vorenthalten. Auch im vergangenen Jahr waren über die Hälfte aller Neueinstellungen befristet.“ Hier gäbe es, wie bei Leih- und Werkverträgen, dringenden Korrekturbedarf seitens der Großen Koalition.

 

Oberbürgermeister Ulrich Markurth (SPD) rief in seiner Begrüßung zu Solidarität und Integration auf. Foto: Klaus Knodt

Viele Gewerkschafter, aber auch SPD-Genossen wie der Unterbezirks-Vorsitzende Dr. Christos Pantazis und Oberbürgermeister Ulrich Markurth, hörten sich die Worte an – und spendeten Beifall. Ulrich Markurth in seinem Grußwort der Stadt: „Im Mittelpunkt der Zukunft der Arbeit muss wieder der Mensch stehen“. Er nannte die letzten Tarifabschlüsse „richtig und gut“ und machte sich für den Ausbau der Bildung stark: „Auch wenn es die Stadt eine Million Euro im Jahr zusätzlich kostet“.

Ver.di-Chef Frank Bsirske genoss nach seiner Rede im Kiryat-Tivon-Park das Gespräch mit KollegInnen. Foto: Klaus Knodt

Trotz widrigen Wetters sah der Burgplatz rund 2000 Teilnehmer, die sich danach im Zug zum Kiryat-Tivon-Park bewegten, wo bis in den Nachmittag gefeiert wurde.