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Bahnstreik: Weichen falsch gestellt

Bahnsteig in Braunschweig gestern. Foto: Klaus Knodt

Deutschland hat einen neuen Buhmann: Den Chef der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) Claus Weselsky. Für manch gestrandeten Reisenden reichen zwei Hände nicht aus, um ihm unverhohlene Antipathie zu bezeugen. Weil an zwei Händen nur zwei Mittelfinger dran sind. Moderatere Naturen lassen im Zusammenhang mit dem Bahnstreik immerhin die Worte „Unverschämtheit“, „Erpressung“ oder „Unverständnis“ fallen.

Dabei wird gern übersehen, dass der Eisenbahnerstreik einer kleinen Spartengewerkschaft nur das Produkt einer falschen staatlichen Weichenstellung in der Vergangenheit ist. Seit der Länderbahnzeit vor 150 Jahren ist Deutschland gut damit gefahren, die Bahn als Instrument der öffentlichen Daseinsvorsorge in staatlicher Hand zu belassen. Die Bediensteten der Königlich-Preussischen Eisenbahn Verwaltung (KPEV) waren ebenso wie die Reichsbahner vor und nach dem Zweiten Weltkrieg und die Deutschen Bundesbahner Beamte. Der Staat hatte für sie eine einklagbare Fürsorgepflicht, die sich in garantierten Pensionszahlungen, subventionierten Eisenbahnerwohnungen und haarklein definierten Besoldungsregeln niederschlug. Dafür hatten die Staatsbediensteten der Deutschen Beamtenbahn kein Streikrecht. Sie durften demonstrieren. Aber sie mussten auf die Lok, wenn der Dienstherr dies befahl.

Als man im Zuge des Privatisierungswahns aus der Deutschen Bundesbahn in falschem Denglisch den „mobility networks logistik“-Konzern Deutsche Bahn AG schuf, änderte sich die Situation schlagartig. Lokführer, Weichensteller, Schaffnerinnen und Fahrdienstleiter wurden Angestellte eines Konzerns mit Vorstand, Aufsichtsrat und spezialisierten Tochtergesellschaften („Railion“ / „DB Netz AG“ / „DB Facility...“). Und hatten statt der Beamtenprivilegien nun dieselben Rechte wie Arbeiter und Angestellte bei Lidl und Amazon: sie durften streiken. Der populistischen Forderung, dieses Streikrecht partiell einzuschränken, widerspricht sogar Wirtschaftsforscher Professor Bert Rürup: „Man kann nicht Eingriffe in Arbeitnehmerrechte für bestimmte Branchen machen. Warum soll ein Arbeitnehmer bei der Bahn weniger Rechte haben als ein VW-Arbeiter?“

Der Streik der Bahner ist für den Bürger mühselig, ärgerlich und mitunter sogar wirtschaftshemmend, aber er ist legal und legitim. Warum ist keiner der nun Jammernden aufgestanden, als man die Bahn entstaatlichte? Hat damals niemand darüber nachgedacht, was passieren kann, wenn man eine Infrastruktur der öffentlichen Daseinsvorsorge an private Kapitalgesellschaften abgibt? Selbst wenn der Kapitalist „nur“ der Staat ist?

Und das kleine bürgerliche Erschrecken könnte kumulieren. Wenn die nur noch angestellten Müllwagenfahrer der stadteigenen Müll-AG eine eigene Gewerkschaft gründen und streiken. Wenn die Tagelöhner im Zustelldienst der Deutschen Post AG, die längst ihre Beamtenkollegen verdrängt haben, ihre harte Arbeit niederlegen. Wenn private Wachleute, die zu Hungerlöhnen an Flughäfen Polizeiarbeit wahrnehmen, in den Ausstand treten. Wenn die entkommunalisierte Belegschaft des Wasserwerks den Trinkhahn der Gemeinde zudreht.

Wenn der schicke, schlanke Staat sich aller seiner hoheitlichen Aufgaben entledigt, nachdem er sie privatkapitalisiert hat. Lehrer? Notärzte? Amtsrichter? Oberbürgermeister? Machen wir doch aus Schulen, Amtsgerichten, Rathäusern und Kliniken AG’s! Bloß: Die Wasserwerker, Ärzte, Feuerwehrbeamten, Hebammen und Richter hätten dann auch alle Streikrecht. Wie jeder VW-Arbeiter und jetzt die Bahner und Piloten. Will Deutschland nun wegen falscher Weichenstellungen seine Gewerkschaften und das Streikrecht abschaffen?

So langsam sollte das Volk mal streiken. Gegen eine „Deutschland AG“, die sich mehr und mehr für ein paar schwarze Konzernzahlen ihrer Daseinsfürsorge entbilanziert.  (Kommentar Klaus Knodt)

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