Validität - Reliabilität - Seriösität
- Details
- Veröffentlicht: Samstag, 16. September 2006 02:00
- Geschrieben von Karl Fr. Eckhardt
- Offene Frage zu Ihrem Interview in der Braunschweiger Zeitung vom 16. September 2006 -
Sehr geehrter Herr Dr. Kohlsche,
Sie machen für Medien Untersuchungen zum Wahlverhalten. Die Methodik Ihrer Untersuchungen, die Sie im Internet darstellen, scheint durchaus geeignet, Wählerbewegungen festzuhalten. Am 13.09.2006 wurde in der Braunschweiger Zeitung über die Ergebnisse Ihrer Untersuchungen berichtet: "Statistik: CDU mobilisiert Nichtwähler" In der Zeitung vom 16.09.2006 treffen Sie interpretatorische Aussagen zu Ihren Ergebnissen: "Die Menschen wissen genau, was sie wählen wollen"
Hier möchte ich nur einmal Ihre letzte interpretatorische Aussage in Frage stellen. Die Braunschweiger Zeitung fragte Sie: Welche Rolle spielt die Medienberichterstattung?" und Sie antworteten darauf: "Kaum eine. Die Menschen wissen genau, was sie wählen wollen."
Auf welches Datenmaterial einer "empirischen Wahlforschung" stützen Sie diesen Befund, welche analytische Grundlage haben Sie für dieses Urteil?
Erst einmal wäre doch da zu unterscheiden: Es handelte sich um eine Kommunalwahl, nicht um eine kommunale Abstimmung. Insofern hatten die Wähler darüber zu entscheiden, "wen" sie wählen und nicht darüber, "was" sie wählen. Natürlich werden dann gewählte Personen in der Wahlentscheidung auch mit Sachthemen verknüpft, aber um über Letzteres Aussagen zu treffen, bedürfte es doch zusätzlicher Untersuchungen. Haben Sie die gemacht und können Sie die vorstellen?
Sie antworten, die Menschen wissen genau, was sie wählen wollen, die Medienberichterstattung spielte dafür "kaum eine" Rolle. Was macht Sie da so sicher, dass die lokalen Medien als Quellen des Wissens für das Wissen selbst dann "kaum eine" Rolle spielen? Welche Untersuchungen haben Sie angestellt, um zu so einem, wenn nicht absurden, so doch zumindest paradoxen Ergebnis zu kommen? Könnten Sie die Paradoxie auflösen?
Dabei gehört es doch zur Politik der Braunschweiger Zeitung, dass sie sich neben allgemeiner "Themenführerschaft" auch die "lokale Meinungsführerschaft" zum Ziel eines redaktionellen "Qualitätsmanagements" gesetzt haben. (Ich stütze mich hier auf das Referat eines stellvertretenden Chefredakteurs der Braunschweiger Zeitung auf der Herzberg-Tagung "Qualität trotz Rezession" des Vereins Qualität im Journalismus am 2. November 2004 im Radiostudio des Schweizerischen Rundfunks DRS.)
Wie konnten Sie da herausfinden, dass die Berichterstattung der Braunschweiger Zeitung, die in Braunschweig eine Monopolstellung innehat, für das "Was-Wissen" der Wähler, für ihre Wahlentscheidung kaum eine Rolle spielte?
Steckt hinter diesem, Ihrem Urteil mehr als ein billiger Persilschein für die Berichterstattung einer Zeitung, die zu Ihrem Broterwerb beiträgt?
mit freundlichen Grüßen,
Karl Eckhardt
--------------------------------------------------------
Nach einem Gespräch mit Herrn Dr. Kohlsche möchte ich Folgendes berichten und kam zu folgenden Schlüssen:
1.) Dr. Kohlsche steht einem sehr seriösen Wahlforschungsinstitut vor, von denen es so viele nicht gibt (Ehrlich gesagt, ich hätte es von der Braunschweiger Zeitung gar nicht erwartet, dass sie sich eines seriösen Institutes bedient, wo es doch so viele unseriöse gibt, derer sie sich hätte bedienen können - aber lassen wir hier weitere Sticheleien, auch wenn sie mir noch so berechtigt erscheinen.)
2.) Seriöse empirische Studien zum Einfluss einer Zeitung auf das Wählerverhalten gäbe es nicht, so Dr. Kohlsche. Sie wären auch sehr aufwendig und deshalb dann zu teuer. Das würde niemand bezahlen wollen.
3.) Seine Einschätzung der Medienwirkung - die nach allem eine besonders fundierte Meinung ist, nicht das Ergebnis einer besonderen Studie - stützte sich hauptsächlich auf den Vergleich mit anderen Wahlergebnissen, dem Vorergebnis von 2001 und Ergebnissen aus anderen Kommunen. Da habe sich doch in Braunschweig gar nicht so viel geändert gegenüber der letzten Kommunalwahl und daraus schloss er dann, dass ein großer Einfluss mutmaßlich nicht vorgelegen haben wird, weil das mutmaßlich zu merklich größeren Abweichungen geführt hätte. Es ist ein ernst zu nehmendes Expertenurteil, weil viel generelles Wissen als Grundlage in das Urteil mit einfliessen konnte.
Es floss allerdings wenig Detailwissen über die spezielle Braunschweiger Situation in dies (und auch die weiteren) interpretative Urteil ein. Keine nähere Beobachtung des Wahlkampfes, keine intensivere Beschäftigung mit der lokalen Politik und auch kein Pressestudium, geschweige denn ein Vergleich von lokaler Politik mit der Berichterstattung über diese Politik. (Das ist hier nicht zu kritisieren, es grenzt aber den Aussagewert entsprechend ein.)
Insofern müssen entscheidende Fragen offen bleiben, zum Beispiel:
- "Der Oberbürgermeisterkandidat ... sei bei der SPD der Hemmschuh gewesen, so der Wahlforscher." Erfragt werden konnte aber nur, dass den Wählern (oder potentiellen Wählern) Dr. Friedhelm Possemeyer als schwacher Kandidat erschien.
In wieweit die Schwäche Herrn Possemeyers aber (auch) Produkt unfairer Berichterstattung war - schon der Einführungsbericht der Braunschweiger Zeitung mit einem entstellendem Foto machte ihn lächerlich und zeigte ihn als eher hoffnungslosen, anmaßenden Schwächling - und in wieweit die Schwäche des Herrn Possemeyers ihm sozusagen substantiell eigen ist, bleibt zumindest eine offene Frage.
- Ob die Berichterstattung der Braunschweiger Zeitung am Wahlergebnis (die OB-Wahl im Vergleich mit der Stichwahl 2001) nicht viel geändert hat, oder ob es für den Wahlsieg entscheidend war, dass die Braunschweiger Zeitung sich allein dem schönen Schein Hoffmannscher Politik verpflichtet fühlte und sich weigerte, auch einmal hinter die Kulissen Hoffmannscher Politik zu schauen, der dann vielleicht hoffnungslos abgestürzt wäre, muss auch eine offene Frage bleiben.
Immerhin: ein seriöses Wahlforschungsinstitut fand am Ergebnis der Braunschweiger Kommunalwahlen nichts Ungewöhnliches. Das Institut ist in Ulm, was den Vorteil hat, dass es mit einem gebotenen Abstand an solche Untersuchung herangehen kann, aber den Nachteil, dass vielleicht eine auch gebotene Nähe zu den untersuchten Ereignissen doch fehlt.