Kertschbrücke sprengen, bewaffnete NATO-Flotte ins Asow´sche Meer schicken?
- Sonntag, 02. Dezember 2018 21:13
- Andreas Matthies
Mitten in der Krise zwischen Russland und der Ukraine macht Stephen Blank zwei raffinierte Vorschläge zum weiteren Vorgehen: Erstens sollte die ukrainische Regierung sorgfältig eine Spezialoperation planen, um die (russische) Brücke von Kertsch zu unterbrechen („disrupt“), und zweitens sollte die Ukraine die USA und die NATO einladen, eine Flotte bewaffneter Schiffe mit Luftunterstützung zum Besuch der Stadt Mariupol ins Asow´sche Meer zu schicken. Die sollten die Anweisung erhalten, nicht zu feuern, wenn sie selber nicht beschossen würden. Vorgeschlagen werden also ein Bombenanschlag und eine Provokation mit Eskalationspotential.
Stephen Blank hat diese Vorschläge auf den Seiten des Atlantic Council veröffentlicht, einer sehr einflussreichen amerikanischen Organisation, in der internationale Konzerne, ehemalige Regierungsvertreter wie hochrangige ehemalige Militärführer der USA Mitglied sind. Bei dem Artikel handelt es sich zwar wie auch sonst üblich um die persönliche Meinung des jeweiligen Verfassers, aber es ist doch bemerkenswert, dass es diese „Meinung“ bis auf die offizielle Seite der Organisation gebracht hat. Daran lässt sich sehr viel ablesen.
Sollen die USA und die NATO einen Krieg in der Ukrainefrage riskieren?
Würde die Ukraine sich tatsächlich zu einem Kommandounternehmen anstiften lassen, das einen Bombenanschlag auf die neuerbaute russische Kertschbrücke versucht, würde dies zu einem massiven Gegenschlag der russischen Seite führen. Man könnte dann diesen Gegenschlag als Aggression darstellen („Wer sagt denn überhaupt, dass die ukrainische Regierung hinter dem Anschlag steckt?“) und „müsste“ der Ukraine zu Hilfe eilen.
Wenn nun sogar eine NATO-Flotte sozusagen vor der Haustür der russischen Millionenstadt Rostow auffahren würde, begleitet von amerikanischen Bombengeschwadern, würde diese krasse Provokation eine Atmosphäre der Hochspannung schaffen, in der schon kleine Fehleinschätzungen zu Fehlentscheidungen und damit zu einer nicht mehr beherrschbaren Eskalation führen könnten. Nur ein Wahnsinniger oder jemand, der sich sehr sicher fühlt vor einem Krieg im fernen Europa, kann so etwas wirklich riskieren. Der Atlantic Council lässt den Gedanken immerhin zu.
„Da passiert schon nichts…“ - und wenn doch?
Stephen Blank ist sich seiner Provokation durchaus bewusst. Er beschwichtigt seine Leser. Man könne so gut wie sicher sein, dass die russische Seite nicht zu schießen beginnen würde. Man könne Russland daher eine Niederlage beibringen, ohne dass ein einziger Schuss fallen würde. Was macht ihn so sicher? Er stellt eine ganze Serie von Argumenten zusammen, um deutlich zu machen, warum Russland überhaupt kein Interesse am Krieg haben kann.
Zum einen sei die russische Wirtschaft schwach und in Stagnation, was durch die Sanktionen des Westens noch vertieft werde. Zum andern wolle das russische Volk keinen langwierigen Krieg gegen die Ukraine. Weder das Militär noch die Wirtschaft könne solche Lasten tragen, ohne deren enorme Kosten vor den „einfachen Russen“ verborgen zu halten.
Die russische Regierung aber habe Angst vor einem so informierten Volk und vor weiterer wirtschaftlicher Unruhe und werde daher auf keinen Fall einen Krieg riskieren.
Das Dumme könnte nur sein, dass zwar die Analyse zutrifft, dass aber ein russischer Kapitän trotzdem nervös wird und ein amerikanisches Schiff rammt oder dass ein amerikanischer Bomberpilot ein Schiffswendemanöver falsch interpretiert und eine uneinholbare Eskalation auslöst. Dann könnte man zynisch sagen „Analyse korrekt, nur dann im Konkreten dumm gelaufen!“ Oder seriöser ausgedrückt: kein vernünftiger Mensch, der weiß, wieviele bedrohliche Situationen erst kurz vor einem „Krieg aus Versehen“ beendet werden konnten, und der die Rolle von Zufällen in der Geschichte kennt, wird das Risiko so fahrlässig in Kauf nehmen wollen.
Russland will keinen Krieg? Warum dann aufrüsten und immer neue Manöver?
Es stimmt ja: Russland ist wirtschaftlich mit einem Sozialprodukt von der Größe Italiens tatsächlich schwach. Und es hat das starke Interesse, endlich wirtschaftlich voranzukommen. Und klar, die USA geben zehnmal mehr Geld für Rüstung aus als Russland und die europäischen NATO-Staaten legen noch einmal 250 Milliarden drauf. Und dass gerade das russische Volk keinen Krieg will, ist eigentlich auch Allgemeinwissen. Eine russische Regierung, die einen Krieg gegen die NATO beginnen wollte, könnte denn auch nur als selbstmordgefährdet eingeschätzt werden.
Aber Moment mal: in den Verlautbarungen der NATO und der westlichen Regierungen wird doch immer die russische Bedrohung angeprangert und die Notwendigkeit betont, dagegen solange aufzurüsten, bis das Ziel von 2 % des Sozialproduktes jedes Jahr erreicht wird; auch die vielen Militärmanöver mit jährlich wachsenden Einsatzkräften werden so begründet. Offenbar muss man das nicht ernst nehmen. Immerhin das wird aus Blanks Ausführungen doch sehr deutlich.
Anders herum wird ein Schuh daraus: Blanks sieht die militärische und die wirtschaftliche Überlegenheit der USA und der NATO, aber er ärgert sich, dass sich diese gegen Russland nicht direkt und voll ausspielen lassen. Das will er ändern. Mit vollem Risiko