Was einmal begonnen hat, kann auch enden - der Kapitalismus in seiner finalen Krise?
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- Veröffentlicht: Freitag, 16. November 2018 14:15
- Geschrieben von Jan Raabe
Etwa 60 BürgerInnen trafen sich vergangenen Dienstag (13.11.) zu einem Vortrag von Fabian Scheidler. Gastgeber war dieses Mal die Evangelische Studentengemeinde im Universitätsviertel; Attac Braunschweig hatte geladen. Krisenpropheten haben derzeit Konjunktur, aber für die Lösungen realer Probleme brauchen wir Analysen.
Fabian Scheidler ist nicht nur Attac-Mitglied, Gründungsmitglied von Kontext-TV, sondern auch der bekannte Autor der Sachbücher "Das Ende der Megamaschine" sowie "Chaos: Das neue Zeitalter der Revolutionen". Die 'Megamaschine' ist in Scheidlers Interpretation der kapitalistische Verwertungsapparat, der seit dem Beginn der Kolonisierung über unseren Planeten rollt.
Die globalen Krisen der Neuzeit wie der Klimawandel und das weltweite Artensterben, der Verlust an fruchtbarem Ackerland und Rückgang des Trinkwassers sind miteinander verbunden und verstärken sich gegenseitig. Parallel und wiederum verstärkt haben wir die sozialen und ökonomischen Krisen der Banken, die Fliehkräfte in Europa, Spekulation mit Währungen, Boden und Rohstoffen und - in Folge - die Migrationsbewegungen.
Die Politik scheint hilflos. Die Zustimmung in Teilen der Bevölkerung geht zurück und mit der sozialen Ungleichheit steigt das Konfliktpotential, aber auch das Bedürfnis, die Bevölkerung zu kontrollieren. Die Medien liefern 'fake news', wir sind "over-news'd und under-informed" [Sabine Christiansen].
Im Kapitalismus ging es immer um mehr Geld. Aber mittlerweile stossen wir an die Grenzen von Ökologie und Bevölkerungswachstum. Scheidler beschreibt die drei Säulen des Systems 'Megamaschine'.
Die erste Säule ist das 'Geld aus mehr Geld'-System, das keinen Zweck verfolgt, keine realen Investitionen in soziale Strukturen. Geld als Selbstzweck, was dazu führt, dass mehr Geld auf der Welt existiert als Gegenwert, Sachwerte die man dafür kaufen könnte.
Die zweite Säule ist die Sicherung mit Kontrolle und Gewalt. Seit Beginn des Kolonialzeitalters, der Plünderung Südamerikas und der Eroberung Nordamerikas, der Aufteilung Afrikas und der Kontrolle Asiens, bis in die Ölkriege im Mittelmeerraum und den 'G20-Gefährdern' der Gegenwart - diese "Marktwirtschaft" war immer von Militär und Gewalt begleitet, im schlimmsten nicht selten bis hin zum Völkermord.
Die dritte Säule ist die Ideologie, der Glaube an das endlose Wachstum in einer Welt endlicher Ressourcen, die in der Gegenwart in die Blasen-Ökonomie übergeht: überhitzte Scheinmärkte, die in immer kürzeren Abständen explodieren.
Der Versuch nach dem zweiten Weltkrieg, die Megamaschine mit Keynes' Methoden zu bremsen, war leider nur von kurzer Dauer und endete im Lauf der 1980er Jahre. Die Auseinandersetzungen zwischen Lobby- und Interessengruppen und Teilen von Politik und Bevölkerung nehmen zu. Wirtschaft finanziert die Politik oder schreibt Gesetze gleich selbst (wie die Banken im Cum-Ex-Skandal), Medien berichten nur noch "spannende Themen" und wichtige Themen wie Wohnungsbau, Umweltschutz, Altersversorgung fallen unter den Tisch. Große Teile der Gesellschaft rücken nach rechts und verhindern so mit ihren Ängsten reale Problemlösungen.
Aber wir haben Handlungsoptionen: Öl und Kohle dürfen nicht weiter in der Atmosphäre verteilt werden, um den Planeten nicht aufzuheizen. Die soziale Aufspaltung der Gesellschaften auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene muss reduziert werden: wir stehen vor der Verteilungsfrage, auch wenn die wenigen Reichen das nicht wahr haben wollen. Und diese Diskussion gehört in die besten Sendezeiten, nicht in die späten Nachtstunden.
In der anschließenden Diskussion wurde noch einmal deutlich, wie vielschichtig die Problemstellungen der Gegenwart sind.
Der Markt regelt alles?
Gibt es diese Märkte überhaupt, mit ihrer gottgleichen 'unsichtbaren Hand', die angeblich alles regelt? In der Philosophie wurde der Kapitalismus entgegen seiner eigenen Behauptungen als "Contre marchee" bezeichnet, also als Gegen- oder 'Anti-Markt'.
Wer sind die anonymen 'Märkte', von denen in der Presse immer die Rede ist? An den Börsen der Welt regiert der Mikrosekunden-Handel. Und warum fehlen in Stellenanzeigen auf dem Arbeitsmarkt einfach die Angaben zum Gehalt, als würde man einkaufen ohne Preisschilder? Mit dem Internet kamen die Vergleichsportale, die verschärfte Schnäppchenjagd. Wir bekommen das 'Personal Pricing', den auf auf die Einzelperson zugeschnittenen Preis.
Das sind keine 'Märkte', auf denen Kunden offen Preise vergleichen können, wie man dem Publikum gern erklärt. Konzernpolitik führt oft zu Massenentlassungen, Dieselkrise oder einem zerstörten Wohnungsmarkt. Enteignungen von Grundbesitzern bei Autobahnbau ist möglich, warum nicht auch bei Immobilienspekulation? Über Zerschlagung von Großkonzernen, die der Gesellschaft schaden, muss diskutiert werden. Eigentum verpflichtet, steht völlig zu Recht im Grundgesetz, aber von der 'marktkonformen Demokratie' steht dort nichts.
Nicht nur im Revolutionsjubiläum 2018 muss an die sozialen Revolutionen erinnert werden. Frauenwahlrecht, Arbeitsschutz, ein Rentensystem, Bildung für alle - muss erhalten und verteidigt werden. Ein einseitig auf Export ausgelegtes Wirtschaftssystem, ein Hartz-System, das nur fordert und nicht fördert, Privat-Renten, die nur den Banken nutzen, ein undurchlässiges Bildungssystem, das soziale Schichten konserviert, müssen bekämpft werden. Maggie Thatchers TINA - "There Is No Alternative" und Angela Merkels
'Alternativlosigkeit' sind Denk- und Diskussionsverbote.
Was einmal begonnen hat, kann auch enden. Das gilt auch für den Kapitalismus. Bevor es zu spät ist.