Sammlungsbewegung und soziale Linke

Hans-Jürgen Bandelt: "Die Kultur-Linke und ihr Problem mit Grenzen."

Das politisch linke Spektrum ist schon seit mehr als einem Jahrzehnt zweigeteilt, nämlich in die soziale Linke, die traditionell Partei ergreift für die vom Kapitalismus Unterdrückten und Ausgebeuteten, und in die Kultur-Linke, die uneingestanden mit dem Neoliberalismus ihren Frieden geschlossen hat, um dafür umso beharrlicher Partikularinteressen zu bedienen, Emanzipation von Opfergruppen voranzutreiben und politisch korrekte Sprache mit vielen Gendersternchen zu pflegen. So gehen Identitätspolitik und Ablenkungsmanöver vor notwendigen ökonomischen Maßnahmen (https://www.rubikon.news/artikel/die-grosse-ablenkung).

Die Kultur-Linke hat dem Klassenkampf abgeschworen und ist ganz in der Postmoderne angekommen. Sie wird besonders unterstützt von der hippen oberen Mittelschicht, die sich weltoffen und solidarisch gibt und innerlich auf einem hohen moralischen Podest thront. Sie sieht ihre ärgsten politischen Gegner schon in der sozialen Linken und etikettiert diese als Nationalisten, Rassisten, Antisemiten und Verschwörungstheoretiker. Damit schließt sie sich der Staatsräson der GroKo-Parteien an, verachtet den Wohlfahrtsstaat und mißachtet in der Praxis selbst das Grundgesetz mit seiner verbrieften Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit (https://www.rubikon.news/artikel/die-ausgrenzer).

Der Wähler, dem materielle Sorgen drücken, goutiert keine Moralappelle und Sprachspiele. Er will handfeste Veränderung realisiert sehen, eine soziale Politik, die auch der Systemfrage nicht ausweicht. Er wendet sich sonst ab, wählt entweder gar nicht oder eine rechte Alternative, die keine ist. Es fehlt also dringend eine linke politischen Alternative, die mehr als nur Sozialprosa und Lippenbekenntnisse anzubieten hätte.

Die Sammlungsbewegung ‚Aufstehen‘ versteht sich als Bewegung der sozialen Linken. Gerade die Möglichkeit, daß Menschen, die sich bislang nicht Parteien angeschlossen haben, sowohl ein gemeinsames Grobziel ins Auge fassen als auch Diskussionen vor Ort realisieren können, um ihre Anliegen vorzubringen, macht die derzeitige Sammlungsbewegung so attraktiv. Ob sie einen wesentlichen Einfluß auf die vorhandenen Parteien schließlich ausüben kann, weiß man noch nicht, aber ist gewiß einen Versuch wert.

Es besteht allerdings eine unüberbrückbare ideologische Kluft zwischen den beiden linken Lagern, die sich in mannigfachen Unterschieden offenbart: in der Wirtschaftspolitik, im praktizierten Feminismus, in der Migrationspolitik und Friedenspolitik. Aktuelle Großdemonstrationen kitten nicht diesen ideologischen Zwiespalt, sondern spalten weiter, weil sie obertönig die Melodie der Kultur-Linken für offene Grenzen singen. Davon und mehr berichtet die Broschüre „Die Kultur-Linke und ihr Problem mit Grenzen“, erschienen im pad-Verlag, Bergkamen.

Die Hoffnung auf Einflußnahme in den Parteien links der Merkelschen Mitte wird sich womöglich als trügerisch erweisen. Verankerte Ideologien und erstarrte Parteistrukturen lösen sich nicht einfach auf durch bessere Argumente. Am Ende bliebe also wohl nichts anderes übrig, als aus dem Schwunge der Bewegung heraus eine soziale linke Partei jenseits der postmodernen Linkspartei zu gründen. Eigentlich nicht die schlechteste Perspektive, wenn auf diese Weise die Menschen, die hinsichtlich Lohn und Einkünften zum unteren Drittel der Gesellschaft gehören, endlich eine Wahl bekämen, ihre Interessen gebührend vertreten zu sehen.

Hans-Jürgen Bandelt, #aufgestanden und sich in Braunschweig dazugesetzt.