Bitte nicht daran denken, Oberhäupter in Frage zu stellen!
- Dienstag, 14. Oktober 2008 02:00
- Matthias Bosenick
Die RAF erhitzt die Gemüter, seit Stefan Austs Buch mit der falschen Interpunktion im Titel, „Der Baader Meinhof Komplex“, als Special-Effect-Spektakel ins Kino kam. Bei der ganzen Diskussion, die seitdem bundesweit geführt wird, bleiben einige Aspekte ziemlich außen vor: Der Grund für die Gewalt und der Bezug zu heute.
Dabei spricht der Film doch sogar den ersten Aspekt selber an, indem er Bruno Ganz in seiner Rolle als BKA-Präsident Horst Herold sagen lässt, dass man den Terrorismus erst dann verhindern kann, wenn man weiß, warum es ihn gibt. Der nächste Schritt wäre dann gleich die Antwort auf den zweiten Aspekt, denn wenn man weiß, warum es Terrorismus gibt, kann man dessen Gründe ja aus der Welt schaffen und aus der dann gleich eine bessere machen.
Niemand scheint zu bemerken, dass die Anti-Terrorimus-Bewegung des Staates eine Form von Terrorismus ist, die schlimmer ist als der der RAF, weil sich die „nur“ gegen einzelne richtete und die des Staates gegen das gesamte Volk, ohne Einschränkungen, von Funktionären einmal abgesehen. Diese Haltung des Staates erst hat ja bekanntlich zum Terrorismus geführt. Natürlich beißt sich die Katze da in den eigenen Schwanz, aber einer muss ja mal damit anfangen, den Kreis zu durchbrechen.
Auch die Berichterstatter könnten ihren Teil dazu beitragen, indem sie sich um Aufklärung bemühen. Das tun sie nicht alle, auch die Braunschweiger Zeitung nicht. Am Samstag, 11. Oktober, berichtete BZ-Redakteurin Cornelia Steiner unter dem Titel „War die Polizei damals wirklich so aggressiv?“ über eine Diskussionsrunde zwischen Schülern und Experten. Als solche waren die ehemalige Staatssekretärin Christa Karras (Bündnis 90/Die Grünen) und der Soziologie-Professor Horst Rademacher dabei. Natürlich gibt es in einer Tageszeitung nie genügend Platz für eine ausführliche Darstellung aller Tatsachen und Ereignisse, das ist bekannt und bedauerlich. Doch sollte besonders dieser Umstand dafür Sorge tragen, dass das gedruckte Ergebnis nicht missverständlich oder unvollständig erscheint.
Dabei ist das Anliegen ja löblich: Man fragt ein paar Spätgeborene, was sie von der Verfilmung des „Baader-Meinhof-Komplexes“ halten. Was sollen sie schon halten, die Bildungsmisere in Deutschland ist doch weltbekannt. Und ein so schwieriges Thema wie blutige Kritik am autoritären Staat kann von staatlichen Bildungsinstitutionen wohl nicht erwartet werden. Zu Recht bemängeln die Schüler also mehrheitlich ihr Unwissen. Die anderen sagen das, was sie überall lesen können: Der Film bildet nur ab, erklärt aber nichts und bezieht auch keine Position.
Aber das waren ja auch nur die Randzitate um den eigentlichen Text herum. Hier zitiert Redakteurin Steiner einige Schülerfragen und die dazugehörigen Expertenantworten. Doch entweder zitiert sie schlecht – oder die Experten sind nicht alle ganz zurechnungsfähig.
Es geht gut los. Ja, die Polizei war beim Schahbesuch so brutal und die Demonstranten waren zwar laut, aber nicht gewaltbereit. Doch auf die folgende Frage, ob der Staat mit der Gewalt den Terrorismus nicht begünstigt habe, eine Frage überdies, deren Antwort ja der Rest des ganzen Films ist, sagt Karras: „Sicher, wir waren damals alle empört. Aber im Nachhinein kann man nachvollziehen, warum der Staat so reagiert hat.“ Und Rademacher ergänzt: „Man muss allerdings auch bedenken, dass wir es bei der RAF zum Teil mit verhaltensgestörten Menschen zu tun hatten.“
Da fällt einem ja alles aus dem Gesicht. Die Gewalt der Polizei ist nachvollziehbar, die Gegengewalt aber nicht mehr. Und mit Knüppeln und Brutalität loszudreschen, ist nicht verhaltensgestört. Woher hat Rademacher außerdem den Bezug zur RAF, die doch zu Zeiten des Schahbesuchs noch gar nicht existierte? Aber das ist doch ein schönes Bild, das die BZ die Experten hier entwerfen lässt: Staatsgewalt ist okay, auf diese Gewalt reagierende Volksgewalt muss mit noch schärferer Staatsgewalt niedergeschmettert werden. Volk, schweig stille, dein Staat ist stärker als du. Und Volk, habe Angst vor den Terroristen, die sind gegen dich. Was für eine Lüge! Aber die Bildunterzeile oberhalb des Artikels stützt das noch, da darf nämlich Heike Köhler-Siepe von der Oskar-Kämmer-Schule sagen: „Dieser Film macht Angst vor dem Aufleben ähnlicher Gruppen.“
Niemand benennt die Notwendigkeit einer Veränderung. Um einmal mehr auf Herold hinzuweisen: Es geht nicht darum, die Gewalt und Mordlust der RAF zu rechtfertigen. Aber solch ein Artikel fördert noch nur die kritiklose Haltung, die autoritäre Staatsformen begünstigt. Das Volk merkt gar nicht mehr, dass es mittlerweile Strukturen gibt, von denen es selbst sogar behauptet, dass die nach 1945 nicht mehr möglich wären, weil ja nun jeder mal von Hitler gehört hat und aufmerksamer geworden ist. Aber Hitler hat nicht nur Kriege geführt, das taucht in dieser Argumentation nie auf.
Zurück zur BZ. Nächste Frage: „Warum haben die Terroristen Menschen wie den Chef der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, erschossen?“ Antwort von Rademacher: „Sie wollten die Knotenpunkte der Machtnetzwerke treffen – dazu gehörten die Banken. Für diese Verbrechen gab es in der Außerparlamentarischen Opposition aber kein Verständnis.“ Diese Replik wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Die Erklärung mit den Machtnetzwerken ist gut und fehlt im Film tatsächlich, doch warum bringt er an dieser Stelle irreführenderweise die APO ins Spiel, ohne einen Bezug herzustellen? Denn eigentlich ist der Ansatz ja richtig, wird einem BZ-Leser aber nicht klar: Die RAF hat sich aus frühen APO-Aktionen herausgeschält. Man kann also sagen, dass die Kritik am Staat für den Bürger tragbar ist, wie sie von Seiten der APO geführt wurde, aber trotz aller plausiblen Gründe kann man kein Verständnis für das Morden der RAF aufbringen. Und auch hier fehlt der Bezug zu heute – gerade jetzt stehen Banken wieder im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, weil sie vorleben, welche Rechte sie haben, das aber Volk nicht.
Letzte Frage: „Es ist nötig, sich mehr über die 68er zu informieren. Der Film hinterlässt den Eindruck, dass es nur Terroristen gab.“ Was ist denn das für eine Frage? Die 68er stehen doch nicht für den Terrorismus, auch der Film vermittelt nicht diesen Eindruck. Wie sind die Schüler auf dieses schmale Brett gekommen? Anstatt das klarzustellen, darf Karras von „Frauenbewegung, Wohngemeinschaften, Kinderläden“, Röcken bei Mädchen und verpönter Langhaarigkeit bei Jungs erzählen, sowie, oh Überraschung, vom „Protest gegen den Vietnamkrieg“. Und dann darf Rademacher noch mal ran: „Eines der größten Ziele war, die verkrustete Gesellschaft aufzubrechen.“ Was hat denn das jetzt mit dem Terrorismus zu tun?
Man kann nur seufzen. So wird’s auch nicht besser, dafür sind die Stammheimer nicht gestorben, dass niemand daraus lernt. Schäuble reagiert mit noch mehr Überwachung auf den Terrorismus, die Bürger lassen sich davon ins Bockshorn jagen und haben Angst. Das ist wohl auch der größte Unterschied zu 1970: Damals herrschte Wut, heute Einschüchterung. Der Staat wiederum hat sich in Sachen Autorität nicht zum Guten verändert. Das beste Beispiel haben wir vor Ort, aber davon war an dieser Stelle schon hinreichend die Rede.