Neue „halle267“: Die Marktmacht der Selbstentblössung
- Freitag, 26. Januar 2018 15:11
- Klaus Knodt
„Kiss Me“ von Hanna Nitsch. Plastik im Format 6 x 3 x 5 cm in Fimoplast auf Plexischeibe. Foto: Marcus von Bucholz
Was für ein großer Wurf, diese Künstlerin zur Neueröffnung des Hauses gefunden zu haben.
Die Künstlerin Hanna Nitsch vor ihrem Bild „Großer Wurf#1 / Selbstbildnis mit Stoffhund“. Zitat der Künstlerin: „Danach hatte ich mich mit Beuys versöhnt.“ Foto: Marcus von Bucholz
Eigentlich hätte eine so gute Künstlerin keiner Dezernentinnen und Professoren bedurft, die eine Laudatio auf sie halten. Die Ausstellung von Hanna Nitsch „Grosser Wurf 1“ in der neuen „halle267 - städtische galerie braunschweig“ spricht an, ist publikumskompatibel, aufmerksamkeitsheischend. Vom rotlippigen Plastikmund im Format 6 x 5 Zentimeter bis zum Selbstentblössungsposter als ikonosierter Beuys-Kritik in 4,0 x 2,8 Meter listet die Preisträgerin zahlreicher Awards, Stipendiatin namhafter Stiftungen und Arbeiterin in öffentlichen Sammlungen 2 Din-A-Seiten (19 Objekte) gefällig-verstörender Werke auf. Kinder, die sich in der Umarmung nahezu erwürgen (Tusche und Grafikstift auf Papier), ein Lehmann auf einer Spiegelscheibe, steif aufgerichtet wie die Dance-Pole einer Stripperin. Die Bilder, Plastiken, Fotos, Installationen und Videos des arrivierten Talents Hanna Nitsch, die nach Philosophie- und Germanistikstudium weitere acht Jahre an der HBK Braunschweig für die Kunst verbrachte, versprechen schon jetzt Rendite. Dass Nitsch weiß, wie der Markt funktioniert, beweist ihre Werk-Stück-Liste: Selbst das handelsübliche Kamerakabel aus dem Elektromarkt, mit dem sie ihre Selbstportraits erschuf, wird akribisch dokumentiert unter „Ohne Titel – Fernauslösekabel schwarz, Maße variabel, 2018“. Man darf Wetten abschliessen, wann der Preis dieses Objektes die 10.000-Euro-Marke kratzt. Für eine kaputte Gitarre, auf der Jimi Hendrix mal rumgeklampft hat, zahlt man schliesslich auch eine ordentliche Million.
In sachlichen Räumen an der Hamburger Straße 267 findet Gegenwartskunst in Braunschweig eine neue Heimat. Foto: Marcus von Bucholz
So waren Braunschweigs Kulturdezernentin Dr. Anja Hesse, Dr. Susanne Pfleger (Städtische Galerie Wolfsburg) und Braunschweigs Geschmacks-Ikone Lienhard von Monkiewitsch gleichermassen voll des Lobes. „Hanna Nitsch ist über uns gekommen wie die Jungfrau zum Kind“, freute sich Dr. Hesse. Schliesslich erschuf Nitsch den würdigen Rahmen für den gelungenen Coup, „dass wir es gewagt haben, diese Galerie zu eröffnen“. Die HBK, so Hesse, habe ein städtisches Schaufenster gebraucht. Und siehe da, „Politik tut auch Gutes“ und erfüllte den Wunsch in Form einer neu getünchten Gewerbebrache auf einem Hinterhof zwischen Heizkraftwerk, Autobahnauffahrt und Schnellimbiss.
Derart dargeboten könne Kunst als „Dreh- und Angelpunkt zwischen den Institutionen“ (welchen eigentlich???) ein „weicher Standortfaktor“ werden, der „in die Region hineinwirkt“, befand Dr. Susanne Pfleger. Etwas konkreter wurde Monkiewitsch: Die Selbstentblössung der „sich erotisch entdeckenden Frau“ als „kalkulierte Maskerade“ biete der weiblichen Performerin „die Möglichkeit, ihre Nacktheit marktstrategisch einzusetzen“. Na klar, nach dem Mops und den Beinen von Beuys hätte sich wohl kaum Einer umgedreht. Sex sells.
Braunschweigs Kulturdezernentin Dr. Anja Hesse, Künstlerin Hanna Nitsch, Prof. Lienhard von Monkiewitsch und Prof. Dr. Susanne Pfleger (Städt. Galerie Wolfsburg, v.l.) eröffneten die „halle267 – städtische galerie braunschweig“. Foto: Marcus von Bucholz
Mit einem Neuss-Zitat („Ich bin hin- und hergerissen in einer zweifachen Duplizität von Schizophrenie“) hob er die „unterschiedlichen Spielarten des Ellenbogeneinsatzes“ hervor, mit der Nitsch „neue Ansätze zeigt, um nicht nur mit ihren Markenzeichen den Markt zu beliefern“. Ob das ein Lob sein sollte, sei dahingestellt. Da die Ausstellung gleichzeitig den Startschuss für die „halle267“ (bitte immer klein und ohne Leerzeichen zusammen geschrieben! Das ist modern!) bildete, bemüssigte sich auch die städtische Pressestelle, Feuilletonistisches zu radebrechen: „In ihren großformatigen Zeichnungen gibt die Künstlerin zu erkennen, dass hinter jedem Bild eine Konstruktion verborgen liegt, die die Wirkungsmacht des Werkes definiert... Durch die ‚Risse’ in ihren Bildern kommt dem Betrachter die Ambivalenz der Welt entgegen“. Der Schreiber dieser Zeilen hat, gottlob, in den frischen Werken noch keine Risse entdecken können. Die waren alle noch heil, als er die „halle267“ verließ.
Die Gefeierte selbst hat mit erfrischend natürlichen Worten ihren großen Wurf erklärt: „Für mich ist die Arbeit ‚Großer Wurf #1’ oder ‚Selbstbildnis mit Stoffhund’ ein Schlüsselwerk der Ausstellung. Die Fotoarbeit ist eine Reaktion auf eine bekannte Abbildung von Beuys, wie er auf freiem Feld stehend, einen toten Hasen mit ausgestrecktem Arm in die Höhe hält. Es war für mich an der Zeit, ihm auf meine Art zu begegnen. Ich baute die Kamera auf, zog mich aus, die blaue Lederjacke, Pumps und die Perücke an. Ich besorgte mir ein Stofftier der Kinder und fotografierte so lange, bis der Arm lahm und vor Schmerzen taub war. Danach hatte ich mich mit Beuys versöhnt.“
Zu sehen auf vielen Littfasssäulen in der Stadt oder in der „halle267“, Hamburger Straße 267, Di.-So. 15 – 18 Uhr, Do. 15 – 20 Uhr.