Der GAU des Öko-Landbaus

Sauwohl fühlt sich diese Sau auf dem Meyer-Hof in Watenbüttel

Die Herrmannsdorfer Landwerkstätten gelten als Vorzeigebetriebe und Pioniere der Biobranche. Die "Soko Tierschutz" und das Fernsehmagazin "Fakt" erheben schwere Vorwürfe wegen der Schweinehaltung. Verbotene Antibiotika und engste Abferkelboxen werden in den Betrieben genutzt. Zu viele Totgeburten lassen auf problematische Verhältnisse schließen. In der TAZ wird breit berichtet, aber auch beschwichtigt, denn sie und ihr Verbraucherschutzredakteur Jost Maurin sind dem Öko-Anbau sehr verbunden, und ansonsten mit Kritik schnell bei der Hand.

Maurin hat recht, wenn er in seinem Kommentar schreibt: "Selbst die Skandalhöfe halten ihre Tiere besser als konventionelle Betriebe." Und wenn Herr Schweisfurth auf der Grundlage seiner praktischen Ausbildung in seinem Interview sagt: "Meine Kommunikation ist weniger theoretisch-philosophisch, dafür aber praxisnäher", dann lässt das tief in die Öko-Branche hineinblicken und gibt Anlass zu grundsätzlichen Überlegungen. Das Wechseln des Tierarztes und Transparenzversprechungen sind branchenüblich, aber um so desaströser.

Die Herrmannsdorfer Landwerkstätten sind das Flaggschiff der Biobranche. Nicht nur in der Praxis, sondern auch in seiner theoretischen Untermauerung über die Schweisfurth-Stiftung. Wenn das Flaggschiff, also das Vorzeigeunternehmen schlechthin, auf Grund läuft, dann gibt es schweres Wasser und Untiefen für den Rest der Flotte. Die Landwerkstätten sind Indikatioren, die anzeigen, wie es um die Biobranche bestellt ist, wie weit sie ihren eigenen agrarethischen Vorstellungen, Erkenntnissen und Zielen folgt. Die "Schwarze Schaf" - Ausrede gilt nicht für das Flaggschiff. Insofern ist die Biobranche unglaubwürdig geworden und zu hinterfragen.

Die Biobranche hat eigene Maßstäbe und setzt auf höchste Transparenz. Diese ist wichtig für die Glaubwürdigkeit. Doch es musste erst die "Soko Tierschutz" kommen, um auf Intransparenz und Fehler hinzuweisen. Transparenz wird nun wieder gelobt. Gut so, aber man sollte meinen, dass diese  vom Vorzeigeunternehmen ständig prakatiziert wird, sozusagen als ein Teil des Selbstverständnisses. Aber nein,Transparenz wird gelobt wie bei ertappten konventionellen Schweinemästern und der Fleischbranche. 

Es sollte auch beim Flaggschiff des Biolandbaus bekannt sein, dass man verbotene Arzneimittel nicht nutzen darf. Auch nicht bei einem kranken Tier. Basta! Natürlich ist das problematisch, wenn ein Tier erkrankt ist. Auch tierethische Gründe verlangen nach Hilfeleistung. Es gilt wie immer bei Problemfällen abzuwägen. Wenn ein in der Schweinemast, aber nicht im Bioanbau, erlaubtes Mittel verabreicht wird, dann muss das Bio-Tier halt konventionell behandelt und auch vermarktet werden. Aber ein Antibiotikum, das nur für den Menschen vorgesehen ist, geht gar nicht! Auch Herr Schweisfurth kennt die hoch aktuelle Problematik der Resistenzentwicklung bei Bakterien.

Den Tierarzt auszuwechseln - mit Verlaub, das ist ein wenig schlicht, denn das Problem stinkt immer vom Kopfe her. Im wahrsten Sinne ein Bauernopfer, wie wir es aus den Skandalen der Konventionellen kennen. Wenn der neue Tierarzt andere Methoden der Gesunderhaltung kennt, warum wurde er nicht vorher konsultiert oder in den Betrieb übernommen? Warum erst nach dem Skandal?

Was tun? Er gilt festzuhalten, dass der Ökoanbau die umweltfreundlichste Form der Landbewirtschaftung ist, und die Nutztiere darin am artgerechtesten gehalten werden. Festzuhalten ist ferner, dass wir es in der Landwirtschaft mit lebenden Organismen zu tun haben, und genutzte Lebewesen erfordern eine besondere Fürsorge: sowohl Pflanzen als auch Tiere. Beide benötigen eine unterschiedliche Behandlung entsprechend ihres Bauplans und den damit verbundenen Lebensweisen.

Es sollte überlegt werden, ob die Siegelsysteme mit Zertifizierung die Glaubwürdigkeit tatsächlich erhöhen. Es gibt kaum belastbare Untersuchungen über die Positiv- oder Negativwirkung bei Siegeln. Sind bei Unregelmäßigkeiten schärfere Kontrollen und Sanktionen wirklich zielführend?  Oder dienen sie eher der Rechtfertigung durch Nachweise, die letztendlich nur eine bestimmte Situation im Untersuchungszeitraum bewerten. Ein landwirtschaftlicher Betrieb ist ein Organismus, der durch Einzelnachweise von Handlungsweisen kaum zu beschreiben ist. Einen landwirtschaftlichen Betrieb zu beurteilen ist schwierig und bedarf mehr als das Zusammenzählen der Ergebnisse von Einzelprüfungen. Um diesen Organismus ständig hoch lebendig und glaubwürdig zukunftsorientiert zu gestalten, bedarf es nicht einzelner abprüfbarer Kriterien wie bei der Zertifizierung, sondern es bedarf eines auf Nachhaltigkeit orientierten öko-sozialen Betriebsverständnisses auf Grundlage der Gesetzestreue und ökologischer Grundüberzeugungen.

Wir sehen bei den Herrmannsdorfer Landwerkstätten, dass die Zertifizierung nicht reicht. Es reichen noch nicht mal Grundüberzeugungen für glaubwürdiges Verhalten. Es kann nicht reichen, in keinem Betrieb, weil diese nun einmal einer ökonomischen und von außen beeinflusster Dynamik unterliegen, bedingt durch Krankheiten, Rassen, Wetterereignissen, Unverträglichkeiten usw. Es muss die Frage erlaubt sein, ob Bio-Landbau überhaupt glaubwürdig machbar ist. Wobei die Glaubwürdigkeit und der Mensch mit all seinen Schwächen im Mittelpunkt stehen. Ein wichtiges ethisches Prinzip lautet, dass man nichts verlangen darf, was nicht machbar ist - und schon gar nicht mit Partnern, wie Administration, Politik, Produzent, Handel, Verarbeitung und Kunden.

Vielleicht ist der 3. Weg der richtige, für den Prof. Taube von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel plädiert.

Ändern wir vielleicht die Richtlinien und gesetzlichen Vorgaben. Hauptsache die Richtung stimmt. Lassen wir den Betrieben mehr Flexibilität in ihren Entscheidungen, sie müssen jedoch belastbar, agrarethisch begründbar sein. Sprechen wir ihnen Mut zu, das Negative, das Problematische offen zu benennen und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Kontrollieren wir bei der Zertifizierung nicht akribisch Punkt für Punkt auf Erfüllung, sondern sehen wir den Gesamtorganismus Betrieb, der auch immer wieder Möglichkeiten hat sich selbst zu heilen. Dafür bedarf es offener und angstfreier Kommunikation, wenn Fehler zu bemängeln sind. Diese sollten mit Fachleuten vertrauensvoll besprochen werden, ohne Angst vor dem Zertifikatverlust.

Ferner reicht Bio-Landbau nicht aus, um die vielfältigen Umweltprobleme, die mit Landwirschaft und Industrialisierung zu tun haben, zu bewältigen. Zertifikate schon gar nicht. Man denke nur an die Flächenversiegelung.

Das Thema der Zertifizierungskritik in der Landwirtschaft wird uns noch lange begleiten. In den nächsten Wochen erscheint ein Buch auf dem Markt: "Zertifizierung als Erfolgsfaktor." Ich habe daran mitgeschrieben. Mal sehen, wie weit es belastbar ist und der Kritik standhält.

Der Autor hat jahrelang selber Standards und Kriterien für amerikanische und europäische NGOs entwickelt und steht denen zunehmend skeptisch gegenüber.