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Radioaktive Asselauge - das Problem liegt im Widerspruch

Wer kennt die Situation nicht? Nahe stehende Menschen erkranken an Krebs. Die Gefühle fahren Achterbahn. Man will den Menschen nicht leiden sehen, und schon gar nicht verlieren. Mit manch einem Krebs lernen die Erkrankten zu leben, doch manch ein Krebs tötet in wenigen Wochen. Ob nun jede Therapie sinnvoll oder human und ethisch vertretbar ist, soll hier nicht diskutiert werden - damit befasst sich die Medizinethik.

Die Krebsfrühdiagnose und auch die Krebstherapie haben in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Diesem Fortschritt ging und geht weltweit umfassende Forschung voraus. Der Radiomedizin, der Forschung mit radioaktiv markiertenTeilchen in den Biowissenschaften in der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung, ist diese Entwicklung mit zu verdanken. Sowohl auf diesen Forschungsfeldern und bei diesen Anwendungen als auch auf zahlreichen weiteren Forschungsfeldern ist es anerkannte Methode, radioaktiv markierte Teilchen zu verwenden. Bei all diesen Anwendungen und Forschungen entsteht Müll - schwach radioaktiv kontaminierter Müll!

Das Dilemma

Kaum jemand würde in Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung auf eine "radioaktive Therapie" verzichten, wenn sie Erfolg verspricht, aber auch kaum jemand will den radioaktiven Müll. Das ist ein Widerspruch und damit eine Dilemmasituation. Kurz ausgedrückt: Ein Individualrisiko, nämlich der Tod durch Krebserkrankung bei Nichtbehandlung, wird zu einem Allgemeinrisiko, nämlich durch das Anfallen von radioaktivem Müll und seine Entsorgung.

Dilemmasituationen gibt es zahlreiche in unserer modernen Gesellschaft. Täglich sind sie in der Zeitung zu verfolgen. Der Volksmund sagt dazu trefflich: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass." Es ist Konsens in der Gesellschaft, dass Allgemeinrisiken durch Gesetze vermieden oder zumindest reduziert werden sollen. Die umfassende Umweltgesetzgebung und viel Spezialgesetze zeugen davon. Im Idealfall schafft es der Gesetzgeber unter Berücksichtigung aller Beteiligten Gesetze zu formulieren, die sowohl einen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Fortschritt bewirken als auch Risiken ausschließen. Selten genug ist diese Idealsituation der Fall, weil sich eben viele kontroverse Situationen in einem Dilemma befinden.

Verschärfung des Dilemmas durch Verstärkung des Widerspruchs

Politiker wollen gewählt werden und das kann nur das Volk. Aber Politiker brauchen nicht nur das Volk, sondern auch Geld. Das kommt durch viele Kleinspenden, Beiträgen und vor allem Großspenden der Wirtschaft in die Parteikassen. Mit den Spenden werden natürlich Erwartungen verknüpft. Aber nicht nur das: Die Nähe von Politikern zur Wirtschaft, die durchaus wünschenswert sein kann, ist in der Regel eng verknüpft mit Eitelkeiten: Man gehört nun dazu - man ist nun auch Elite! Und das korrumpiert. Eitelkeit ist nun mal eine der stärksten Triebfedern beim Handeln, egal auf welcher gesellschaftlichen Ebene, und auch bei Nichtpolitikern.

Diese politisch psychologische Gemengelage ist eine wesentliche Ursache bei dem Asseproblem. Bekannt ist inzwischen, dass in der Asse nicht nur schwach radioaktive Stoffe Lagern, auch mittelradioaktive und ultra giftige Stoffe wie Plutonium. Niemand weiß, wieviel davon und was alles noch drin liegt. Auch aus der industriellen, also privaten Atomforschung mit dem Umweg über das Atomforschungszentrum Karlsruhe sollen sehr viele radioaktive Materialien eingelagert sein. Es ist davon auszugehen, dass diese Einlagerung mit einer Bewilligung durch Politik und Behörden einherging. Hier handelt es sich um ein eklatantes Versagen der Politik und der nachgeordneten Behörden. Damit nun das Wahlvolk nichts davon erfährt, wurde schlicht gelogen. So hörte man von den Wissenschaftlern der Betreibergesellschaft über Jahrzehnte, dass es keinen Wassereinbruch gebe, dass alles trocken sei. Die Lüge hatte System! Zum illegalen Handeln kommt also noch die Lüge, die den Widerspruch verschärft und damit das Dilemma.

Der Vertrauensverlust

Der Vertrauensverlust in der Bevölkerung gegenüber Politik und Behörden ist folgerichtig, ja geradezu zwingend. Alles andere wäre schlichte Blauäugigkeit. Ein Untersuchungsausschuss wird den Vertrauensverlust nicht beheben, weil auch in ihm politische Süppchen gekocht werden und weil die tragenden Parteien (CDU,SPD, FDP und Grüne) für das Dilemma mehr oder weniger stark verantwortlich sind. Die zuständigen Behörden werden kaum etwas dazu beitragen, ihre vorgesetzten Ministerien zu belasten oder sich selber Fehler anzulasten. Kurz: Der Vertrauensverlust bleibt zu Recht bestehen, zumal Vertrauen keine rationale Größe ist, sondern eher eine psychologische.

Aus dem inzwischen bekannten Asse-Desaster, dessen Umfang noch nicht absehbar ist, wurde bis heute politisch nichts gelernt. In Sachen radioaktive Asselauge sind die Signale und Entscheidungen aus dem Rathaus und von der Ratsmehrheit CDU/FDP widersprüchlich, wenig transparent, von Machtverlust geängstigt, wenig sachkundig und damit alles andere als vertrauenserweckend. Trotz des bekannten Kommunikationsdesasters wird auch dieses noch durch eine dilletantische Vorgehensweise verschärft.

Mit dem Eintritt der Braunschweiger Firma Eckert & Ziegler in die Diskussion, die der radioaktiven Asselauge durch Wasserentzug einer Teillösung zuführen möchte, wird das Vertrauensproblem nicht gelöst, sondern nochmals verschärft. Wobei nicht die Firma das Problem ist, sondern die marktradikale, neoliberale Politik im Allgemeinen und die der Stadt im Besonderen. Das Hochamt dieser Art von Politik ist es, Aktivitäten der Behörden auf das Unumgängliche zurückzufahren, auch gesetzlich vorgeschriebene Behördenkontrollen. Dem freien Unternehmertum soll nichts im Wege stehen. Unternehmenskontrollen sind Standortrisiken und Standorthemmnisse, die die Inverstitionsbereitschaft hemmen, so der neoliberale Tenor. Entsprechend sind Kontrollbehörden ausgedünnt worden. Also auch hier und bis heute ist der Vertrauensverlust politisch gemacht und einer kurzatmig neoliberalen  Politik geschuldet. Diese Politik, der sich fast alle Parteien verschrieben haben, geht nach dem Motto vor: Heute wird konsumiert, und morgen bezahlt. Es ist genau diese zukunftsraubende Politik, die uns das Assedesaster eingebrockt hat, das wir allerdings schon heute zu bezahlen haben. Asse hat damit hohe Symbolkraft für das politische Versagen in der Umweltpolitik neoliberaler Prägung.

Die Asselauge und der Versuch einer Problemlösung

Das radioaktive Laugenproblem muss gelöst werden! Niemandem hilft es, das Problem zu verschieben oder aufgrund der Widersprüche politische Süppchen darauf zu kochen. Doch das Kind ist durch Dilletantismus schon fast in den Brunnen gefallen.

Im Grunde können wir froh darüber sein, dass es eine erfahrene Firma wie Eckert & Ziegler in Braunschweig vor den Toren des Asseproblems gibt. Und wir können froh darüber sein, dass sie sich des Problems annehmen will. Dass sie damit viel Geld verdienen will, ist systemlogisch und nicht der Firma anzulasten. Es ist auch gut, dass sie zunächst über Versuche klären möchte, ob das Verfahren, das sie sich vorstellt, zielführend und auch für große Mengen tauglich ist. Und wenn man bedenkt, dass täglich unbekannte Mengen an schwach radioaktiven Materialien gefahrlos durch Braunschweig und andere Großstädte gefahren werden, dann sind die 100 Liter schwach radioaktive Asselauge ein geringes Problem, wenn überhaupt eines.

Die Erfahrung der Firma und ihr Optimismus deuten darauf hin, dass sie es schafft das Problem effizient und umweltgerecht zu lösen. Es stellt sich dann die Frage, an welchem Standort sie es großtechnisch machen wird. Auch das wird sich klären lassen, wenn, ja wenn die dilletantische Politik im Rathaus und von der CDU/FDP nicht wäre. Oder anders, wenn das Vertrauen der Bürger da wäre.

Als mögliche Lösung des fundamentalen Vertrauensproblems reichen Forderungen nach Transparenz im Behörden- und Firmenhandeln nicht mehr aus. Ein hohes Maß an Vertrauen genießt der Asse II-Koordinationskreis. Dieser ist in alle Entscheidungen der Politik, der Behörden und von der Firma Eckert & Ziegler mit einzubeziehen. Ein solches Arbeitspensum ist dieser hochaktiven und kompetenten Bürgerinitiative (BI) jedoch nicht zuzumuten. Daher sollten die Region mit der Stadt Braunschweig und Eckert & Ziegler zwei Arbeitsplätze für Sachverständige finanzieren, die von der BI ausgesucht werden und die nur der BI rechenschaftspflichtig sind.

 

 


Kommentare   

 
0 #2 Joachim Casper 2011-08-04 12:22
hallo herr meier,

ich lese ihre beiträge immer bis zu einem gewissen ppunkt sehr gerne - weil wir in der grundsätzlichen betrachtung übereinstimmen, auch was den themenkreis agrarethik und ernährungssouve renität angeht. aber - leider gibts es das auch hier - folge ich dann ihrer guten argumentation und der schlussfolgerun g daraus in der letzen phase hier dann nicht. ich möchte besonders auf den letzten satz ihres beitrages eingehen - ist das transparenter wenn diese stelleninhaber wieder nur einem bestimmten kreis rechenschaftspflichtig ( was für ein unsinniges wort in diesem zusammenhang ) sind. ist das nicht genauso intransparent nur mit anderen vorzeichen ? für was rechenschaftspf lichtig - ihre meinung und expertise ? die stelleninhaber sind wenn überhaupt nur einem rechenschaftspflichtig - dem einwohner der region rund um die asse. und das kann im arbeitsvertrag genau geregelt sein - es wäre quasi eine bestellung als unabhängiger gutachter.

herzlichen gruß

joachim casper
 
 
 
0 #1 Wilma 2011-08-04 11:49
Uwe Meier schrieb: Eitelkeit ist nun mal eine der stärksten Triebfedern beim Handeln, egal auf welcher gesellschaftlic hen Ebene, und auch bei Nichtpolitikern.

Eitelkeit ist auch der Grund dafür, dass sich in Braunschweig seit Jahren nichts ändert!
Bühnen werden gebaut, um bewundert zu werden-
wer schreibt die tollsten Texte, wer ist der tollste Kämpfer gegen das Unrecht und den OB?
Man bleibt unter sich, kämpft gegeneinander und gegen den "Feind", klopft sich gegenseitig auf die Schultern.....
aber wo sind die Lösungen?
So wird man auch in 100 Jahren nichts verändern- vielleicht, weil es garnicht darum geht?
 
 
 

 

 

 

 

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