Straßenbahnverlängerung nach Volkmarode unwirtschaftlich? Bemerkungen zum Endbericht der Standardisierten Bewertung
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- Veröffentlicht: Freitag, 09. November 2012 14:00
- Geschrieben von Stefan Vockrodt
Mitte Oktober stellte die Braunschweiger Verkehrs den Abschlussbericht zur „Standardisierten Bewertung“ der Straßenbahnverlängerung Volkmarode, Moorhüttenweg – Volkmarode Nord ins Internet.
Dieses Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die geplante Verlängerung zu einer drastischen Erhöhung der Betriebskosten des ÖPNV gegenüber dem heutigen Zustand führe und daher nicht förderungswürdig sei.
Zuerst: Eine Standardisierte Bewertung entscheidet nicht darüber, ob eine Straßenbahnstrecke gebaut werden soll oder nicht, diese Entscheidung obliegt vor allem der Kommunalpolitik. Sie bewertet aber, ob ein Vorhaben Zuschüsse (Förderung nach GVFG, läuft ab 2013 aus) von Bund und Land erhalten kann oder nicht.
Für Volkmarode kommt das Gutachten zu dem Schluss, dass eine solche Förderungsfähigkeit nicht gegeben sei, das Nutzen/Kosten-Verhältnis sei deutlich kleiner als 1, d.h. die Kosten überstiegen den sog. volkswirtschaftlichen Nutzen um ein Vielfaches.
Schaut man sich das Gutachten genauer an, finden sich zahlreiche Annahmen und Voraussetzungen, die hinterfragt werden müssen.
Leider sind die notwendigen Anhänge seitens der Verkehrs-AG ebenso wenig publik gemacht worden wie die Anhänge zur „Standi“ (kurz für „Standardisierte Bewertung), so dass eine umfassende Prüfung und Kritik hier nicht vorgenommen werden kann.
Allerdings sei auf einige Punkte hingewiesen, die dem kundigen Leser ins Auge springen.
1.) Die geplante Strecke – eine Haltestelle zuviel
Die untersuchte Verlängerung der Stadtbahnlinie M3 vom Moorhüttenweg bis zur Endstelle Ziegelwiese in Volkmardoe Nord ist rund 1.300 Meter lang. Der sog. Mitfall (also der Fall der Realisierung der Strecke) sieht insgesamt drei Zwischen- und eine neue Endhaltestelle vor: Volkmarode, „Im Remenfeld“, „Unterdorf“, „Kruseweg“ sowie „Ziegelwiese“ als End- und Umsteigestation zu den Bussen der Linien 417, 427, 437.
Daraus ergibt sich in Volkmarode ein mittlerer Stationsabstand von etwa 325 Meter. Die Haltestellen liegen für eine Außenstrecke extrem eng beieinander, eine schlüssige Begründung für Wahl und Lage der Haltestellen fehlt. Die heute am Moorhüttenweg beginnende Buslinie 417, die derzeit den Moorhüttenweg mit Ziegelwiese verbindet, hat nur zwei Zwischenhaltestellen, bei einem um rund 200 Meter längerem Weg!
In einer hochbelasteten Innenstadt sind Haltestellenabstände von weniger als 400 Meter unter Umständen sinnvoll. In einem Vororten jedoch, wie Volkmarode, stellt dies vor allem eine unnötige Verschwendung von Geld (Baukosten) und eine ebenso unsinnige Fahrzeitverlängerung dar. Sinnvoll und üblich sind hier Haltestellenabstände von 500 Meter (teilweise sogar mehr, wie z.B in vielen ostdeutschen Städten ausgeführt – wohlgemerkt bei wesentlich höherer Fahrgastzahl!).
Auch die Lage der Haltestellen ist eher fragwürdig: „Im Remenfeld“ und „Unterdorf“ erscheinen noch halbwegs sinnig, wobei eine Haltestelle Unterdorf besser auf die B248 näher an die Straße Am Sportplatz verlegt würde, um fußläufig das Schulzentrum Volkmarode anzuschließen. Von den beiden geplanten Haltestellen „Kruseweg“ und „Ziegelwiese“ ist eine vollkommen überflüssig, die Endstation sollte sinnigerweise so angelegt werden, dass ein guter Anschluss an die Buslinien gewährleistet wird ohne einen Parallelverkehr zu erzeugen, wie nach der vorliegenden Planung zwischen Ziegelwiese und Kruseweg der Fall.
Bei zwei Zwischenstationen ließe sich ein mittlerer Haltestellenabstand von rund 450 Meter leicht realisieren, dabei kann auch eine etwas längere Schleifenfahrt durchgeführt werden, die Endstelle muss nicht unmittelbar in der Wendeschleife liegen (wurde in den letzten Jahren öfters ausgeführt, z.B. Bielefeld Linie 4 oder in Berlin-Adlershof).
Grundsätzlich sollte man von einer zukunftsorientierten Nahverkehrsplanung mehr erwarten als die Untersuchte: Weder wird angedacht, ob eine Verlängerung der M3 über Volkmarode hinaus nach Hondelage perspektivisch sinnvoll ist, noch eine betriebliche Optimierung der anschließenden Buslinien (s.u.) überhaupt erwogen. Auch wird eine mögliche Variante, bei der die bisherige Wendeschleife Volkmarode-Grenzweg beibehalten und mit eingebunden wird (z.B. durch einen 15/7,5 Min.-Takt), von vorneherein ausgeschlossen.
2.) Die Baukosten
Die Baukosten werden im Gutachten mit rund 15 Mio. € (Stand 2006, davon evtl. förderungsfähig knapp 14 Mio. €) ausgewiesen. Eine Aufschlüsselung jedoch fehlt völlig, so dass eine seriöse Prüfung der zugrundeliegenden Daten nicht möglich ist.
Bei rund 1,3 km Baulänge erscheinen spezifische Kosten von ca. 12 Mio. €/km reichlich hoch. Erklärbar ist dies – wenn auch nur zum Teil – durch die Planung einer überflüssigen Haltestelle (s.o.).
Hier ist ein Hebel anzusetzen: Bei Entfall eines der drei Zwischenhalte, der auf die Attraktivität der Strecke keinen oder schlimmstenfalls vernachlässigbaren Einfluss hätte, ließen sich schon beträchtlich Bau- und Betriebskosten einsparen. Auch ist es keineswegs erforderlich, die gesamte Strecke auf eigenem Gleiskörper zu führen, im Bereich der Berliner Heerstraße (B248) würde eine gut ausgeführte, straßenbündige Ausführung sinnvoll sein – und prinzipiell auch förderungswürdig.
Ein Vergleich mit Daten aus anderen Städten lässt durchaus durchführbare Varianten mit Gesamtkosten um 10 Mio. € erwarten, wenn entsprechend sorgfältig geplant wird, was hier offensichtlich nicht geschehen ist.
3.) Fahrzeugbedarf und Betriebskonzept
Das Gutachten behauptet für den „Mitfall“ den zusätzlichen Bedarf eines Stadtbahnzuges und gleichzeitig den Entfall nur eines Busses. Beide Annahmen sind fragwürdig. Zumindest der Zusatzbedarf einer Stadtbahn, für den auch Kapitalkosten angesetzt werden, die dann in der Endabrechnung aber nicht mehr enthalten sind, ist tatsächlich nicht gegeben.
2012 benötigt die Linie M3 zwischen Weststadt-Weserstraße und Volkmaorde, Grenzweg 35 Minuten Fahrzeit. Insgesamt sind werktags i.d.R. 9 Kurse unterwegs. Im „Mitfall“ wird eine Fahrzeit von 36,25 Minuten zugrunde gelegt (für den „Ohnefall“ bis zu einer neu zu errichtenden Schleife „Moorhüttenweg“ 33 Min., worin die zusätzliche Fahrzeit zur Kreuzung der B248 und Einfahrt in die neue Wendeschleife nicht berücksichtigt worden ist!).
Ein Entfall der überflüssigen Haltestelle im Bereich Kruseweg/Ziegelwiese äußert sich auch in einem Fahrzeitgewinn von rund einer Minute, d.h. die Gesamtfahrzeit beträgt nun wieder 35 bis 35,5 Minuten. Damit ist ein zusätzlicher Stadtbahnzug nicht erforderlich. Im Gegenteil: Bei einer Umlaufoptimierung ließe sich gegenüber heute sogar ein Kurs einsparen!
Ebenfalls hinterfragt werden muss das Buslinienkonzept. Die Studie geht von der Einsparung nur eines Busses durch die Verkürzung der Linien 417, 427 und 437 aus. Bei Beibehaltung des 30-Minuten-Grundtaktes zwischen Volkmarode und Hondelage bzw. Weddel ließen sich die Linien 417 und 427 zu einer Linie zusammenlegen, Wende- bzw. Wartezeiten an der Ziegelwiese weiter vermindern und es könnte so u.U. auch ein zweiter Bus eingespart werden. Auch könnte so ein wesentlich einfacher Fahrplan realisiert werden!
Daraus resultieren erhebliche Einsparungen vor allem an Personalkosten, die die in der Studie angenommenen rund 34 T€/a (woher rühren die eigentlich?) auf rund 70 – 100 T€/a erhöhten.
Falsch erscheint der Ansatz der Energiekosten bzw. der CO2-Emissionen. Bei letzteren ist zu berücksichtigen, dass die Braunschweiger Verkehrs-AG schon seit 2008 ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Quellen fährt, zumindest hat das Unternehmen damit geworben. Für 2025 ist eine solche, 100-%-erneuerbare Stromversorgung allerdings vorauszusetzen, wenn ein Unternehmen mit Umweltvorteilen werben will. Die CO2-Emissionen der Straßenbahn sind daher mit Null anzusetzen. Das ergäbe einen weiteren Nutzen von rund 75 T€/a durch Emissionsminderung. Auch der Energieverbrauch wird sinken, wenn die überflüssige Haltestelle eingespart wird (1/4 des Stationshaltbedarfs, fast 1/7 des in der Studie berechneten Bedarfs). Insgesamt lässt sich der Nutzen dadurch um einen sechsstelligen Betrag jährlich erhöhen (Betriebskostenminderung).
Die durch das stark verbesserte Angebot zu erwartenden Fahrgastzuwächse werden n.M.d.V nicht ausreichend berücksichtigt, dazu unten noch mehr. Auch der simple Fakt, dass für den Teil der Fahrgäste, die aus Volkmarode selbst stammen, im sog. „Mitfall“ eine spürbare Fahrzeitverkürzung durch den entfallenden Umstieg am Moorhüttenweg und somit eine starke Attraktivitätserhöhung des ÖPNV gegeben ist, wird in der Studie vernachlässigt.
Diese besteht nicht nur in einer enormen Angebotsverbesserung innerhalb Volkmarodes, wo mit der im 10-Minuten-Takt durchgebundenen M3 dann 93 werktägliche Fahrten im Vergleich zu heute max. 75 Busfahrten (417, 427 und 437 – nur an Schultagen!) berücksichtigen, sondern eben zugleich in erhöhtem Reisekomfort (Stadtbahn statt Bus, kein Umsteigezwang mehr), besserer Zugänglichkeit durch barrierefreie Haltestellen und kürzerer Reisezeit.
4.) Weiche Faktoren
Wichtige Voraussetzung bei Beurteilung geplanter Verbesserungen im ÖPNV – die Verlängerung der M3 durch Volkmarode ist zweifellos eine solche – sind die sog. weichen Faktoren, also nicht nur potentielle Fahrgastgewinne durch Umsteiger vom Pkw, sondern auch Faktoren wie Verbesserung des Wohnumfeldes, Wertsteigerung bei Grundstücken gerade im Einzugsbereich der Haltestellen (deren Barrierefreiheit kommt hinzu!), Komfortsteigerung bei Übergang zur Straßenbahn, allgemein eine Attraktivitätssteigerung des erschlossenen Gebiets u.a.m.
Diese sind bisher nicht ausreichend (bzw. gar nicht) berücksichtigt worden, können jedoch durchaus als zusätzlicher Nutzen in einer Standi berücksichtigt werden. So wird die zumindest für viele Volkmaroder bessere Betriebsqualität (das Wort taucht im Bericht kein einziges Mal auf – ist aber auch ein Prüfkriterium!) durch Entfall des Umstiegs von den Bussen in die Straßenbahn am Moorhüttenweg, was eine erhebliche Attraktivitätssteigerung des ÖPNV bedeutet und wohl auch Umsteiger von der Buslinie 230 zur M3 hervorbringen wird, in der vorliegenden Studie völlig vernachlässigt. Auch der zunehmende Schulverkehr zur IGS Volkmarode, der bei Schülern aus der Stadt und entsprechender Haltestellenplanung mehr Fahrgäste für die Tram bedeutet, scheint nur unzureichend wahrgenommen zu sein.
Des Weiteren geht die Standi von einer Zunahme des MIVs aus, was insbesondere bei der Sozialstruktur des zu erschließenden Gebietes eher fragwürdig erscheint. Eine von Siemens 2012 erstellte repräsentative Studie über die „Generation vom morgen“, für die über 5.000 Studierende befragt wurden, hält zusammenfassend fest:
• Die „Generation von morgen“ ist bereits jetzt Vorreiter bei nachhaltigem Verhalten – Umweltorientierung ist „vom Reden zum Handeln“ geworden. Sowohl hinsichtlich Mobilitäts-, Energiespar- als auch ressourcenschonendem Verhalten sind Studierende der Gesellschaft voraus. Auch das aktive Umweltengagement ist besonders ausgeprägt.
• Die gesellschaftlichen Herausforderungen werden ernst genommen und ihrer Lösung wird insgesamt große Bedeutung beigemessen. Lokaler Umwelt- und globaler Klimaschutz genießen jedoch die höchste Priorität im Vergleich – noch vor der Finanzkrise und der Arbeitslosigkeit. Den Ausstieg aus der Kernenergie sieht eine sehr große Mehrheit als bedeutende Aufgabe an.
• Die „Generation von morgen“ ist die „Speerspitze“ in der Nachhaltigkeits-Entwicklung der eigenen Stadt – für nahezu alle Studierenden hat dies große und dringliche Relevanz. Bei den einzelnen Handlungsfeldern nachhaltiger Stadtentwicklung wird ein Vorankommen in nahezu allen Handlungsfeldern gewünscht. Höchste Priorität haben jedoch die Förderung erneuerbarer Energien, der Ausbau von Nachhaltigkeit in der Bildung sowie Ressourcenschonung. Die „Generation von morgen“ steht in überwältigender Mehrheit hinter der Realisierung von Atomausstieg und Energiewende – im Unterschied zu vielen politischen Akteuren in der aktuellen Diskussion.
• Mehr als ein Drittel der Studierenden würden sich persönlich in konkreten Nachhaltigkeits-Projekten der Stadt engagieren, dabei stehen wiederum die Bereiche erneuerbare Energien, Ressourcenschonung und Nachhaltigkeits-Bildung an der Spitze. Dieses bemerkenswert große Potential gilt es zu nutzen. Hemmnisse sind der unzureichende Kenntnisstand über die Aktivitäten in der Stadt und aus der Sicht der Studierenden fehlende Zugang in die städtische Verwaltung. Hieraus resultiert für die Städte eine wichtige Kommunikations- und Organisationsaufgabe – Kooperations- und Mitwirkungsstrukturen deutlich auszubauen. Eine Verstärkung von Kooperationsprojekten zwischen Studierenden, Hochschulen, Unternehmen und der Stadt könnte eine beachtliche Dynamik bei nachhaltigen Stadtprojekten erzeugen.
• Die Dringlichkeit dieser Aufgaben wird auch durch die überwiegend skeptische Bewertung der Chancen und Perspektiven für eine nachhaltige Entwicklung der eigenen Stadt deutlich. Nur rund 40 Prozent sehen ihre Stadt auf einem guten bzw. sehr guten Weg in die nachhaltige Zukunft. Die Chancen und Perspektiven zur Entwicklung der nachhaltigen Stadt werden skeptischer als in der Gesamtbevölkerung gesehen. Als Konsequenz aus diesem „Nachhaltigkeits-Image“ der Städte wird von 70 Prozent der Befragten eine deutliche Verstärkung der Nachhaltigkeits-Aktivitäten gefordert. Die Verbesserung von Chancen und Perspektiven hat dabei eine unmittelbare Auswirkung auf die empfundene Lebensqualität in der Stadt, so ein weiteres Ergebnis der Studie.
...“ (Quelle: Studie „Nachhaltige Stadt der Zukunft 2012“, Siemens 2012)
Die heute unter 30-jährigen wenden sich zunehmend vom eigenen Pkw ab, 2025 werden dies die 40-jährigen sein („Generation von morgen“!). Das bedeutet, es kann eine deutlich höhere Fahrgastzunahme im Mitfall angenommen werden als es die Studie tut.
Weitere positive Faktoren wären die Neugestaltung der wenig attraktiven Berliner Heerstraße durch den Bau der Straßenbahn, die Steigerung der Grundstückswerte im Einzugsgebiet der Stadtbahn wie auch eine Erhöhung der Attraktivität sowohl der IGS als auch des Ortes an sich. All das sind „weiche“ Faktoren, die aber berücksichtigt werden können und berücksichtigt werden sollten, wenn man ein solches Projekt ernsthaft verfolgen will.