Die Mär von der heißesten Forschungsregion Europas

In ihrer Internationalen Ausgabe vom 5.11.2007 titelte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) „Braunschweig auf dem Weg zur heißesten Forschungsregion Europas“.

Gleich zu Beginn wird allerdings darauf verwiesen, dass andere Universitätsstädte im öffentlichen Bewusstsein höher rangieren als Braunschweig und dass sich einige Hochschulen sogar mit dem Attribut „Exzellenz“ schmücken dürfen. Große Chancen sieht der Präsident der TU Braunschweig, Jürgen Hesselbach, deshalb auch in einem fahrzeugtechnischen Zentrum, das der Volkswagen-Konzern gemeinsam mit der TU Braunschweig und dem Land Niedersachsen nach der ein wenig glücklos erscheinenden AutoUni von Volkswagen gründen möchte. Ist die altehrwürdige Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig also auf dem Weg fort von einer Universitas, welche die Interdisziplinarität, den Dialog der Natur- mit den Geisteswissenschaften sowie die Lehre als Quell des primordialen Kanons gemeinsamer Interessen und Überzeugungen aller beteiligten Fachrichtungen fördert, hin zur profitableren Wirtschafts-Uni? Bei einer Auslastung von nur 47 v. H. im Durchschnitt des Zeitraums 2001/02 bis 2005/06 (Siehe Bericht des Rechnungshofes S. 130 ff.) sieht man offenbar keinen anderen Ausweg.

Allerdings, so meint die NZZ, würden immerhin 7,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in der Region für Forschung und Entwicklung aufgewandt. Bei geplanten Investitionen von 30 Mio. Euro durch die Volkswagen AG und nochmals 30 Mio. Euro durch Airbus, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) und Land Niedersachsen innerhalb der nächsten 15 Jahre in eine Region mit relativ geringem Bruttoinlandsprodukt dürfte eine derartige Quote kaum überraschen. Ob die Quote aber ein Ausweis von Exzellenz ist, mag dahin gestellt bleiben.

Immerhin erwarte man in Braunschweig ja die Erprobung von GALILEO, des geplanten Europäischen Satellitenortungs- und -navigationssystems, berichtet die NZZ. GALILEO sei nun einmal eine Grundvoraussetzung für autonomes Fahren und Fliegen, das in Braunschweig erforscht wird. Das Roboterfahrzeug CAROLINE, Mikroflugzeuge und die Simulation von Wirbelschleppen des Airbus A380 legten dazu ein beredtes Zeugnis ab.

Nur die Start- und Landebahn des Braunschweiger Flughafens sei ein wenig zu kurz. „Selbst ein Airbus A320 kann dort nur bei schönem Wetter landen“ führt die NZZ als Beweis an. Gemeint war wohl der im Nachhinein vielfach unüberlegt erscheinende Kauf eines derartigen Flugzeugs durch einen Flughafenanrainer, der inzwischen auf die Frage nach einem ebenso gut geeigneten, aber kleineren Flugzeug bestätigend mitteilte: „Bei der jetzigen Forschungs- und Marktlage ist es nicht möglich, den vorhandenen Träger A320 zu verkaufen und gegen ein anderes Muster auszutauschen.“ Grundsätzlich beschreibt die NZZ die Situation jedoch zutreffend: „In Braunschweig starten und landen gelegentlich Privatflugzeuge der Unternehmen in der Region“. Scheiterte also bisher eine Bahnverlängerung am mangelnden Bedarf für mehr Luftverkehr? Für gelegentliche Touristik-Flüge ist die vorhandene Bahnlänge offenbar ausreichend. So startete beispielsweise die Fluggesellschaft „Hamburg-International“ vom Braunschweiger Flughafen mit 147 Passagieren in einer Boeing B737-700 zu einem Flug nach Luxor/Ägypten. Wozu braucht man also eine Verlängerung?

Trotz aller Gegenargumente soll die Start-/Landebahn nach dem Willen der Befürworter prestigeträchtig verlängert werden, nun jedoch nicht mehr für mehr Luftverkehr, sondern ausschließlich für die Forschung. Schließlich unterscheide sich Braunschweig vom Konkurrenten Toulouse, der ja nur „ein normaler Verkehrsflughafen“ sei.

Immerhin hat sich Toulouse seit den 1980er Jahren zu einem der bedeutendsten Luftfahrtzentren der Welt entwickelt. Etwa 34.000 Beschäftigte arbeiten in diesem Industriezweig. Dort wurden u.a. die Flugzeuge Caravelle und die Concorde gebaut, an deren Stelle heute die Flugzeuge von Airbus getreten sind. Toulouse ist darüber hinaus eine Schüler- und Studentenstadt mit insgesamt über 120.000 Studenten. Irgendwie besteht da schon ein Unterschied zu Braunschweig, das über keine Flugzeugproduktion, über rund 1.600 Beschäftigte am Flughafen und über lediglich 12.500 Studenten verfügt.

Tempora mutantur: am größten Standort der Airbus Deutschland GmbH im Technologiezentrum Hamburg-Finkenwerder sind 2007 neben dem dort bereits bestehenden Institut für Flugzeug-Systemtechnik gleich drei weitere Luftfahrtinstitute gegründet worden. Außerdem hat die TU Hamburg-Harburg (TUHH) die Leitung der in Hamburg ansässigen Forschungsgruppe „Lufttransportkonzepte und Technologiebewertung" des DLR übernommen. Vizepräsident der dortigen Forschung ist ausgerechnet der aus Braunschweig nach Hamburg abgewanderte Prof. Dr. Hermann Rohling. Diese Konzentration von Luftfahrt-Aktivitäten in Hamburg begründet die TUHH wie folgt: Die norddeutsche Metropolregion ist, neben Seattle und Toulouse, eines der weltweit führenden Zentren der zivilen Luftfahrttechnik.“ Von Braunschweig ist in diesem Zusammenhang keine Rede.

Für diese Konzentration der Luftfahrtforschung bei Airbus in Hamburg erhält Braunschweig als Ausgleich in den nächsten 15 Jahren 30 Mio. Euro für den Aufbau eines Kompetenz-Zentrums für numerische flugphysikalische Simulation mit Hilfe von Rechnern. Die Mittel stammen zu gleichen Teilen von Airbus, der Niedersächsischen Landesregierung und dem DLR. Damit sind die Weichen für die Zukunft erkennbar gestellt:

  • Erforschung der Flugzeug-Systemtechnik, der Flugzeug-Kabinensysteme, der Flugzeug-Produktionstechnik und des Lufttransportsystems sowie deren Erprobung mit Hilfe der Start-/Landebahn in Hamburg und

  • numerische Simulation flugphysikalischer Phänomene mit Hilfe von Rechnern in Braunschweig.

Somit bleibt zur Begründung einer Verlängerung der Start- und Landebahn in Braunschweig bestenfalls noch Bedarf für die Simulation einer derartigen Verlängerung.

Dennoch hält man in Braunschweig - Gastgeber einer kommenden UN Naturschutz-Auftakt-Konferenz - an dem aus dem Jahre 2002 stammenden Beschluss einer Verlängerung der Start-/Landebahn des Flughafens Braunschweig-Wolfsburg fest, der bis zu 60.000 Bäume eines Landschaftsschutzgebiets unter Einschluss eines Vogelschutzgebiets zum Opfer fallen würden. NZZ: „Zur Überraschung der Behörden, die in solchen Fällen mit Hunderten von Klagen rechnen, waren die Einsprüche diesmal an einer Hand abzuzählen“. Dazu gibt die für die Verlängerung der Start-/Landebahn zuständige Behörde in ihrer Presseerklärung vom 15.01.2007 bekannt: „Bei der Abwägung der Interessen hat die Landesbehörde rund 800 Stellungnahmen und Einwendungen einbezogen“. Dieser Unterschied in der Wahrnehmung von NZZ und Behörde wird abschließend nur noch durch die Feststellung übertroffen, dass Braunschweig „sich inzwischen auf einer Stufe mit den (Elite-)Hochschulen in Aachen und Karlsruhe“ sähe, obwohl der Präsident der TU Braunschweig, Jürgen Hesselbach, noch im Oktober 2007 die Ernennung von sechs weiteren Universitäten zu Elite-Hochschulen - vorbei an der TU Braunschweig - zutreffend kommentierte: "Die TU Braunschweig ist durchgefallen".