Die Ergebnisse der jüngsten IGLU Studie liegen vor
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- Veröffentlicht: Sonntag, 02. Dezember 2007 01:00
- Geschrieben von Brigitte Süßner Greve
„Lesen gut, Integration mangelhaft“, „Falsche Auslese“ oder auch „Im Lesen gut – Chancengleichheit mangelhaft“ sowie „Ohrfeige fürs Schulsystem“. Dies sind einige der Headlines der Kommentare zur Veröffentlichung der jüngsten IGLU Studie*.
Was wird in dieser Studie deutlich?
Hiernach haben sich einerseits alle (!) Grundschulschülerinnen und Grundschulschüler in ihrer Leseleistung verbessert; die schwachen ebenso wie die starken.
Außerdem hat sich gezeigt, dass auch die Leseunterschiede zwischen Mädchen und Jungen verringert wurden.
Die Ursachen dafür sieht der Bildungsforscher Wilfried Bos darin, dass an Grundschulen schon seit längerem moderner unterrichtet wird als an weiterführenden Schulen. So arbeiteten viele Schulen mit Wochenarbeitsplänen. Außerdem seien Grundschullehrerinnen gezwungen, sich unterschiedlich starken Kindern individuell zuzuwenden. Sie könnten schwächere Kinder – im Unterschied etwa zu Gymnasiallehrern – nicht abschieben. (Die Zeit, 29.11.2007)
Nach gleichen Verfahren wird auch in den integrierten Gesamtschulen unterrichtet. Auch hier können häusliche Defizite durch gemeinsames Lernen aller Kinder aufgefangen und verringert werden. Der Schulerfolg sozial benachteiligter Kinder könnte also größer sein, wenn die Kinder nicht nach der vierten Klasse aufgeteilt würden.
Andererseits zeigt die Studie aber erneut, dass Arbeiterkinder in den Schulen massiv benachteiligt werden. Dies habe sich keineswegs verbessert, sondern sei sogar verstärkt zu erkennen. Arbeiterkinder müssen deutlich bessere Leistungen erbringen als Kinder aus der Oberschicht, um eine Gymnasialempfehlung zu erhalten, während Kinder der Oberschicht auch mit unterdurchschnittlichen Leistungen eine Gymnasialempfehlung erhalten; so die Studie.
Nach diesen Ergebnissen müsste den Bildungspolitikern und der KMK klar sein, dass das hierarchisch gegliederte Bildungssystem abgeschafft gehört.
Es ist nämlich eine ‚mittelschichtspezifische Institution’, in der der elaborierte Code verwendet wird (hauptsächlich die Sprache der Akademiker), während sozial benachteiligte Kinder den restringierten Code benutzen. Sie sind deshalb schon bei der Einschulung benachteiligt und haben es schwerer, da Lernen hauptsächlich über Sprache stattfindet.
In diesem Zusammenhang möchte ich anmerken, dass endlich die frühkindliche Bildung und Erziehung einen höheren Stellenwert haben muss, d.h. die Bereitstellung von ausreichenden und gebührenfreien Kindergartenplätzen ist nötig, um die schulischen Startchancen der sozial benachteiligten Kinder zu verbessern.
Deutschland könnte zur internationalen Bildungselite gehören, „wenn der Unfug mit der frühen Aufteilung der Kinder in unterschiedlich anspruchsvolle Schulformen endlich aufhörte und die Grundschullehrkräfte bei der individuellen Förderung unterstützt würden“; dies ist das Resümee der GEW zu dieser Studie.
Der Verfasser des Kommentars der Süddeutschen Zeitung vom 29.11.2007 sieht in der mangelhaften Integration sozial benachteiligter Kinder eine Gefährdung der Demokratie („Gerade die (Kinder), die von ihren Eltern nicht angespornt werden, brauchen aber viel Ermutigung. Sonst verkommt die Demokratie zum Ständestaat“).
Das hierarchisch gegliederte Schulsystem ist keine demokratische sondern eine feudalstaatliche Einrichtung, die die höherwertige Bildung und höher dotierten Berufe in der Regel für die Kinder der Privilegierten reserviert. Und so lange, wie die dieses Schulsystem besteht, haben wir nur formal eine Demokratie, gesellschaftlich aber weiterhin einen Ständestaat.
Es ist wieder einmal deutlich geworden, dass in der Grundschule, die einzige staatlich verpflichtende Gesamtschule, eine Integration sozial benachteiligter Kinder stattfindet. Die Lehrerinnen müssen – und sie tun es auch - auf die unterschiedlichen Fähigkeiten der Kinder individuell eingehen.
Im Gegensatz dazu verstärkt das gegliederte Schulsystem das soziale Gefälle, deren Auswirkungen bis hin zur Kriminalität wir täglich erleben können.
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* IGLU ist die deutsche Abkürzung für Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung. Die internationale Bezeichnung ist PIRLS (Progress in International Reading Literacy Study).