Gleiwitz fast vergessen - doch am 31. August kommt die Erinnerung
- Mittwoch, 31. August 2016 08:00
- Marlis Zoschke
Woran denkt der/die Deutsche, wenn das Wort Polen fällt? An Politik, Solidarność, Papst? Sicher! Aber auch Landschaften und Städte machen uns neugierig. Besonders wenn viele Erinnerungen an die “alte Heimat” bestehen, an Westpreussen, Schlesien und Ostpreussen. Aber denken wir auch an Gleiwitz und 1939, an den 31.08.1939? An den Überfall auf Polen. Eher weniger!
Warschau, die Hauptstadt, kennen inzwischen viele Deutsche, und wundern sich, wie beeindruckend es wieder aufgebaut wurde nach dem Krieg. Warschau war kurz nach dem Krieg völlig zerstört worden von den Deutschen Soldaten, die Stadt war ein einziger Trümmerhaufen.
Inzwischen ist alles wieder aufgebaut und hat sich zu einer lebhaften Metropole entwickelt mit sehr guten Hotels, Einkaufszentren, Hochhäusern und Straßencafes.
Oder sieht man Breslau, die Schöne, vor sich? Der Marktplatz von Breslau ist einmalig.
Das Rathaus, ein Kunstwerk. Angeblich soll es vom Krieg verschont worden sein.
Die Universität ist innen mehr ein Schloß als eine Lehranstalt. Breslau gilt als reichste und bestgeführteste Stadt in Polen, so wird berichtet.
Vielleicht sieht man aber auch Krakau. Krakau hat sich als Touristenmagnet entwickelt. Im Sommer, um 10 Uhr, gibt es kaum noch einen Platz in einem Straßencafé. Krakau ist vom Krieg verschont worden. Es soll nicht eine einzige Bombe gefallen sein, weil es Absprachen gegeben haben soll.
Die Marienkirche ist reich an Kunstschätzen. Ob man sich hier überhaupt auf einen Gottesdienst konzentrieren kann? Nur die Figur eines Reiterstandbildes klauten die Nazis, weil das wohl für Munition gebraucht wurde.
Inzwischen ist das Denkmal wieder komplett. Deutschland “ersetzte” den Schaden. Ein Hubschrauber aus Gleiwitz transportierte die Figur zur Montage.
Gleiwitz eine oberschlesische Großstadt, ca. 180 000 Einwohner, hat eine traurige Vergangenheit. In den 20-er Jahren gab es dort einen Aufstand, und die Bevölkerung mußte abstimmen, ob sie zu Deutschland oder Polen gehören wollte. Man entschied sich damals für Deutschland.
Auf den Weg dorthin stellt man fest, dass in Oberschlesien in jeder Hinsicht Nachholbedarf besteht. Die Straßen sind in Ordnung, doch die Dörfer machen einen oft recht tristen Eindruck. Das Gebiet wird von der Landwirtschaft geprägt. Viele große Felder mit Mais dominieren bei der Pflanzenkultur.
Manchmal sieht auch der recht traurig aus. Auf großen Flächen, wo normalerweise Kühe weiden, gedeiht gar nichts. Vieh auf den Weiden gibt es nicht. Aber es gibt riesige Felder mit Goldrute. Ist das gewollt? Die großen gelben Felder sehen aber sehr schön aus, wenigstens etwas.
Böden, auf denen nichts angebaut wird.
Schon von weitem, am Stadtrand von Gleiwitz sichtbar, ragt ein riesiger Mast in den Himmel.
Es ist der Sendemast des Senders Gleiwitz. Das Gebilde ist dem Eiffelturm nachempfunden, allerdings nicht so rustikal, im Gegenteil, der Mast wirkt recht filigran.
Dieser Sendeturm ist weltweit einzigartig. Er ist 111 m hoch und vollständig aus Holz erbaut, rund 16000 Messingschrauben halten die Konstruktion zusammen. Man könnte fast Ehrfurcht vor einer so perfekten und auch schön anzusehenden Arbeit bekommen, wenn nicht so unendliches Leid, Gewalt und Tod hier ihren Ursprung gehabt hätten.
Pflanzen und Ziersträucher sind angepflanzt und schöne Wege führen um den Masten herum. Es ist aber kein Park, man wird eher an den Hauptfriedhof in Braunschweig erinnert.
Wie können die Polen dieses Denkmal so pflegen und hüten, fast wie ein Heiligtum? Von hier aus nahm doch auch das Elend der Polen seinen Anfang? Dabei befanden sich auch in Gleiwitz Nebenlager von Auschwitz. Als der Krieg zu Ende war, zogen sehr viele Polen hierher und verdrängten die einheimische Bevölkerung. Sie kamen aus den ehemals polnischen Ostgebieten, Alles was irgendwie an Deutschland erinnerte, wurde entfernt, selbst die Straßenschilder.
An den Gebäuden des Senders wurde nichts verändert . Der mittlere Teil der Anlage in dem sich der Senderaum befindet, ist das Museum.
Es ist alles geblieben wie es einmal war. Im Treppenhaus, rechts, ist ein kleiner Raum, der eventuell das Pförtnerbüro war. Hier fristet eine junge Frau ihr Dasein von der Öffnung des Museums am Morgen bis zum Schließen am Nachmittag. Sie wird dabei keinen Stress haben, denn sehr selten verlaufen sich mal ein paar Menschen nach Gleiwitz. In Oberschlesien gibt es fast keinen Tourismus.
Gegenüber dem Büros befindet sich dann der Senderaum. Es ist alles wie am 31. August 1939. Zum Überfall auf den Sender gibt es verschiedene Varianten. Im Laufe von Jahren wissen die Menschen ja immer kleine Episoden hinzuzufügen, die den Überfall dann noch spannender machen. Nur eben die Tatsache, dass die Nazis hier ihren Krieg begannen, läßt sich nicht spannender machen.
Diese Sammlung von alter Technik, die vielleicht sogar noch funktioniert, ließe einen Fachmann sicher in einen Freudentaumel ausbrechen. Für den Laien bleibt eben nur ungläubiges Staunen.
Eine Treppe tiefer gibt es noch einen Raum mit Anschauungsmaterial. Vielleicht diente er als Besprechungsraum.
Auf halber Treppe ist in einer Ecke ein Waschbecken montiert. Über den Zweck an diesem Ort kann man nur spekulieren. Türen gibt es nirgendwo.
Es gibt auch keine Auskunft, warum die Polen gerade diese Anlage so pflegen, wo sie doch in Gleiwitz alles Deutsche verbannt haben.