FREIHEIT FÜR DIE WILDKRÄUTER oder der Tod am Straßenrand
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- Veröffentlicht: Mittwoch, 27. Juli 2016 09:00
- Geschrieben von Uwe Meier
Der Rinnstein. Hier sammeln sich die Samen und keimen aus. Deshalb die florale Artenfülle und das kontrastreiche, lebendige Grün statt totem Asphaltgrau.
Der Tod am Straßenrand findet jährlich in der Braunschweiger Zeitung statt, weil Bürger genervt sind. Ein Bericht über den Tod am Straßenrand ist immer dann angebracht, wenn wir uns im Nachrichten-Sommerloch befinden. Das diesjährige Loch wird kommunalpolitisch abgrundtief durch den über die Grenzen bekannten Baum-Terminator, Ratsherr Wendt, und seiner CDU im Rat. Weil wir uns nun auch noch im Wahlkampfmodus befinden, muss dann zur Verstärkung noch der CDU-Fraktionsvorsitzende, Herr Wendroth, ran. Als wenn wir keine anderen Probleme hätten, müssen nun wieder die armen städtischen Wildkräuter herhalten. Aber es ist halt Wahlkampf. Doch auch der darf nicht alles entschuldigen.
Gerne solidarisiert sich die CDU mit den empfindsamen Bürgern der Stadt, deren ästhetisches Empfinden durch Wildkräuter massiv gestört wird. PFLANZEN, der Ursprung des Lebens an sich, und die bereits im 1. Buch Mose (Genesis) in der richtigen Folge (erst die Pflanzen, dann der Mensch) beschrieben, stören und sollen bekämpft werden. Die CDU, die sich ja sonst dem LEBEN verpflichtet fühlt, möchte, dass Steuergeld im Haushalt für den Krieg gegen die Kräuter bereitgestellt wird. Also soll der Rat auf CDU-Antrag hin, eine Art Kriegshaushalt gegen das wehrlose pflanzliche Leben schlechthin, beschließen. In einem Anflug von Verwirrung nennt die kommunale CDU das Töten von Pflanzen "Grünpflege".
Dass es sich um einen Krieg handelt, belegt schon die Überschrift in der BZ vom 19. Juli: „Unkräuter…auf dem Vormarsch.“ Na ja, immerhin nicht Einmarsch, so als invasive Art. Aber Vormarsch reicht, um das Waffenarsenal auszubreiten. Chemiewaffen werden von der CDU nicht gefordert. Sicher hat die einzig in Frage kommende totbringende Chemikalie für diese Zwecke, das GLYPHOSAT in RoundUp, ein zu schlechtes Image. Also, vergiften is nich! Es werden gasbetriebene Flammenwerfer genutzt bis das, das letzte Fünkchen pflanzliches Leben verkocht ist. Ein einzigartiges Leben, das die eifrigen Kriegsherren gegen die Wild-Kräuter (fachlich Un-Kräuter) nicht geschaffen haben, und nie erschaffen werden.
Blüte einer Nachtkerze (Oenothera) im Rinnstein.
Erlaubt ist noch das Herausreißen – mit Stumpf und Stiel, aber ohne Stil (jäten nennt man das). Hauptsache tot! Zurück bleibt vielleicht ein zufriedener CDU-Wähler, wegen des Todes eines Lebewesens, und meistens der Wunsch nach einer kalten, grauen Beton- oder Asphaltfläche. Grau statt grün oder bunt.
Der in Braunschweig hoch verehrte Wilhelm Raabe, meinte: „Wie kahl und jämmerlich würde manches Stückchen Erde aussehen, wenn kein Unkraut darauf wüchse!" Wollen wir das? Oder wollen wir Leben und lebenspendendes Grün mit schöner Blüte im Rinnstein (Foto) oder gar im Asphaltdurchbruch? (Foto unten)
Die Pflanzen sind doch der Schmuck und das Gewand der Erde. Was für ein abstruses ästhetisches Empfinden, wenn dieses Leben am Straßenrand stört? Was für eine Kultur in unseren Mauern, wenn die ökologischen Leichentücher des leblos grauen Asphalts einen höheren ästhetischen Wert versprechen? Und das wegen einiger CDU-Stimmen mehr in der Wahlurne. Wer will denn in einer solchen Stadt leben – außer die Herren der CDU, Wendroth und Wendt.
Vielleicht ist das alles eine Bildungsfrage. Über das Blattgrün (auch der Pflanzen im Rinnstein) erfolgt die Photosynthese, und mit dieser wird unser menschliches Leben überhaupt ermöglicht. Da ist man doch glatt geneigt, mit Andreas Tenzer zu behaupten: „Unkraut“ existiert nur in den Köpfen von „Unmenschen“.
Mein Rat: Wählt das LEBEN und nicht den Tod. Wilder Wuchs für freie Kräuter.
FREIHEIT FÜR DIE WILDKRÄUTER
Doch nun wollen wir uns mal einigen Pflanzen zuwenden, die getötet werden sollen, weil DAS LEBEN am oder auf, und auf jeden Fall im Weg ist:
Den Löwenzahn (Taraxacum officinale) kennt jedes Kind als Pusteblume. Die ersten schönen Erfahrungen mit Pflanzen machen Kinder mit dem Löwenzahn und den lustigen wegfliegenden Samen. Löwenzahn ist eine pädagogische Pflanze, die uns zudem, was schon der Artname „officinale“ sagt, Arzneimittel schenkt. Und das soll per Ratsbeschluss getötet werden? Barbaren wären am Werk!
Den Wegerich gibt es in vielen Arten, aber im wunderbaren Biotop Rinnstein meistens nur als Breitwegerich (Plantago major) und als Spitzwegerich (Plantago lanceolata).
Der Breitwegerich mit seinen langen Blütenständen
Der Breitwegerich hat einen ungewöhnlichen Saft in den Blättern. Der wirkt entzündungshemmend und fördert die Wundheilung. So wie der Saft der Brunsvigia. Neuere Studien verweisen auch auf eine mögliche antivirale und immunmodulatorische Wirkung hin.
Der Spitzwegerich hat so viele positive Eigenschaften, dass er von Wissenschaftlern der Universität Würzburg („Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“) mit Verweis auf die in ihm enthaltenen antibakteriellen und blutstillenden Wirkstoffe zur „Arzneipflanze des Jahres 2014" erklärt wurde. Und diese Pflanze soll per Ratsbeschluss getötet werden? Die Respektlosigkeit vor dem Lebendigen und speziell vor dieser Pflanze, lässt tief in das Loch der kommunalen CDU-Seele blicken.
Kanadisches Berufkraut (Conyza canadensis). Als Heilpflanze kann man es gegen Durchfall, zur Blutstillung und in der Frauenheilkunde verwenden. Dieser Neophyt erobert sich immer mehr Raum in der Ruderal-Biosphäre, weil er hart im Nehmen ist.
Richtig spannend ist die Wegwarte (nicht die angenehme Kneipe in Lucklum ist gemeint) oder Zichorie (Cichorium intybus). Die Gemeine Wegwarte war 2005 „Gemüse des Jahres“ und 2009 „Blume des Jahres“ in Deutschland. In der Kulturform kennen wir sie als Chicorée und als Radicchio. Und die Wurzelzichorie? Die kennen wir als Kaffeeersatz (Muckefuk), der u.a. vom Braunschweiger Gastwirt, Christian Gottlieb Förster, erfunden wurde. Diese schöne blau blühende Pflanze hat geradezu kulturhistorische Bedeutung, auch für Braunschweig. Und die wollen die Pflanzentöter im Rat der Stadt vernichten! Mit Verlaub: Das können nur Kulturbanausen sein, die unsere stolze Braunschweiger Kultur besudeln wollen.
Ein phantastisches Phänomen wird es, wenn die Kräuter die Asphaltdecke durchstoßen und prächtig gedeihen. Das ist ein Zeichen dafür, dass der Natur ohne Notwendigkeit Platz weggenommen wurde, denn wo Asphalt begangen wird, wächst nichts. Also holt sich die Natur das zurück, was ihr genommen wurde. Auf diesem Foto oben sind es die Dänische Stockrose (Alcea rosea) und im Vordergrund die Kleinblüten-Königskerze (Verbascum thapsus), die ihren Weg durch den Asphalt gefunden haben.
Fazit: Pflanzen sind wertvoll und mit Respekt zu behandeln, und das nicht wegen ihrer unübertrefflichen Leistungen. Pflanzen haben Symbolkraft und haben uns etwas zu sagen. Wir können uns in ihnen wiedererkennen, weil sie Lebendigkeit widerspiegeln. Immer wieder aufs Neue weisen sie uns auf unsere Vergänglichkeit und auf neue Entwicklungen in der Lebendigkeit hin.
Pflanzen sind wertvoll, weil es sie als Geschöpfe gibt – nur so!