Bergen-Belsen Deutschlands dunkle Geschichte
- Sonntag, 15. November 2015 00:12
- Marlis Zoschke
Zum Volkstrauertag
Unweit von Celle, inmitten der Lüneburger Heide liegt Bergen-Belsen, eines der schlimmsten Konzentrationslager Deutschlands. Es war ein Kriegsgefangenenlager und Teil eines riesigen Lagersystems der Deutschen Wehrmacht. Der erste Transport waren sowjetische Kriegsgefangene im Jahre 1941. Damals gab es kaum Unterkunftsbaracken, und die Gefangenen mussten unter menschenunwürdigen Bedingungen auf dem freien Feld und in Erdhöhlen hausen. Innerhalb weniger Monate starben 14000 Gefangene an Hunger, Seuchen und Kälte.
Besucht man heute die Gedenkstätte, dann kann sich niemand so richtig vorstellen, dass hier ca, 70000 Menschen ums Leben kamen. Die Anlage ist gepflegt und fast idyllisch. Es ist eine typische Heidelandschaft mit Laub- und Nadelbäumen, Wacholderbüschen und Heideflächen, die im Spätsommer zum Träumen einlädt.
Doch hier ist traurige Realität. Die vielen großen Hügel, die teilweise noch mit Heidekraut bewachsen sind, sind Massengräber. Man befindet sich auf einem riesigen Friedhof. In jedem Massengrab sind bis zu 5000 Menschen begraben. Unvorstellbar! Auf der großen flachen Fläche wurden verstreut Gedenksteine aufgestellt. Hier ist zu lesen, dass ganze Familien einschließlich Großeltern in Bergen-Belsen umgekommen sind. Das wohl jedem bekannte Opfer ist Anne Frank. Bestimmt haben viele das Tagebuch gelesen oder haben sogar das Haus besichtigt in Amsterdam, in dem sie sich mit ihrer Familie versteckt hatte. Anne Frank wurde erst im Herbst 1944 mit ihrer Schwester von Auschwitz nach Bergen-Belsen transportiert. Beide starben infolge schwerer Krankheit noch vor der Befreiung im April 1945. Die Baracken wurden von den Briten wegen Seuchengefahr niedergebrannt.
Im neuen Dokumentationszentrum, welches erst 2007 eröffnet wurde, gibt es eine große Dauerausstellung. Briefe, Bilder, Kleidung und vieles mehr ist dort zu sehen. Das Wichtigste sind jedoch die Filme, die von den Briten freigegeben wurden. Die Filme laufen pausenlos, man geht eben wieder, wenn sich das wiederholt, was am Anfang zu sehen war. Eine Gruppe Jugendlicher sitzt bereits in dem Raum. Sie sehen alle sehr gespannt auf die Leinwand, es ist ungewöhnlich still, kein Handy, keine Stöpsel im Ohr, keine dummen Sprüche. Sicher werden diese jungen Menschen das kaum begreifen, was es dort zu sehen gibt. Es ist ja auch unbegreiflich was Menschen anderen Menschen antun können.
Ein Überlebender berichtet, dass er schon in zwei Lagern war, doch Bergen-Belsen ist mit Abstand das Schlimmste, was er je erlebt und gesehen hat. Bei seiner Ankunft lagen überall Leichen verstreut rum, um die sich niemand kümmerte. Es waren mehrere Hunderte. Die Filme dazu sind der absolute Höhepunkt an Grausamkeit und Menschenverachtung. Viele Tote werden auf der Ladefläche eines Lkw`s angefahren und runtergezerrt, wo man gerade so anfassen kann. Wer kräftig genug ist, schmeißt sich eine Leiche über die Schulter und schleppt sie zum „Grab“. Andere ziehen die toten Körper einfach hinter sich her. Es ist alles grauenhaft pietätlos, aber so ist Krieg. An einer anderen Stelle werden die Toten mit einem Bulldozer auf einen großen Haufen zusammengeschoben, und dann verschwinden sie, wieder mittels Bulldozer, wie auf einer Müllkippe in einem großen Loch. Die Toten sind zum größten Teil nackt. Es sind wirklich nur noch Skelette mit Haut. Der Prozess wurde den Verantwortlichen schon bald gemacht. Zwölf Personen wurden zum Tode verurteilt und schon Ende 1945 hingerichtet. Andere bekamen lange Freiheitsstrafen, doch Einige konnten schon 1951 das Gefängnis verlassen.
Diesen Friedhof verlässt man nicht mit einem Gefühl der inneren Ruhe, doch der Gedanke, dass man Menschen, die so unendlich gelitten haben nicht vergisst, tut gut.
Denn nur wer vergessen wird, ist tot.