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"Empört Euch" - Jean Ziegler und Fritz Bauer

Geht das überhaupt, Fritz Bauer und Jean Ziegler zu vergleichen? Ohne dabei Fritz Bauer zu "verbiegen"...

Tatsächlich ist ein enger Bezug zwischen beiden vorhanden, obwohl es zunächst nur schwer ersichtlich zu sein scheint, weil man Fritz Bauer oft nur einseitig mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen verbindet. Aber damit wird man ihm nicht gerecht; sein Anliegen ging weiter, es ging um "Gerechtigkeit".

Im Grunde müsste noch eine dritte Person hinzugefügt werden, und zwar Stéphane Hessel, einer der Mitautoren der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948, der mit seiner Streitschrift "Empört Euch" zur Zeit so für Aufregung sorgt (1)

Mit dem Titel "Empört Euch!"  ist auch der Artikel über  Jean Ziegler in der Süddeutschen Zeitung vom 24.07.2011 überschrieben, in dem es um die nicht gehaltene Eröffnungsrede (Rede auf You Tube) von Jean Ziegler bei den Salzburger Festspielen ging (2). In dem Interview konnte Ziegler zu der Ausladung Stellung nehmen sowie zu den Vorwürfen seiner "Gaddafi-Nähe", die im Grunde Unsinn sind. (in gleicher Weise könnte man Peter Scholl-Latour als Islamisten bezeichnen, weil er als Journalist eine Begegnung mit Khomeni hatte, die ihm später immer wieder Türen in islamistische Kreise, z.B. der Hamas, öffnete...)

 

Justitia, die Fritz Bauer an der Braunschweiger Staatsanwaltschaft anbringen liess.

 

 

In der nicht gehaltenen Eröffnungsrede (3) ging es u.a. darum, dass jedes Kind, das verhungert, ermordet worden ist. Im Grunde gäbe es genug Nahrungsmittel auf der Welt. Das Problem sei nicht das "Zu wenig", sondern die ungerechte Verteilung. Nahrung sei nach Berichten der FAO für 12 Milliarden Menschen vorhanden.

Das Thema Hunger ist eines der Hauptanliegen von Jean Ziegler. Sein Buch "Wie kommt der Hunger in die Welt" (2002) war lange Zeit Standardlektüre in den Gymnasien Frankreichs. (4) Immerhin war er in den Jahren 2000-2008 UN-Sonderberichtserstatter für das Recht auf Nahrung.

Darüberhinaus hat er sich mit Fragen der Armut  in der Welt, dem Finanz- und Bankensystem, der WTO (5), dem IWF und anderem kritisch auseinandergesetzt und ist einer der wichtigen Vordenker der Gegenwart. Eng verbunden ist bei ihm damit auch die Frage der Menschenrechte. 2008 wurde Jean Ziegler in den Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrats gewählt. (6).

Und hier ist der Bezug zu Fritz Bauer, der als Generalstaatsanwalt in Braunschweig wirkte (siehe B-S). Auch ihm ging es um Menschenrechte (siehe dazu auch seinen autobiographischen Aufsatz von 1955 "Im Kampf um des Menschen Rechte" (7). Es ging ihm dabei nicht nur um NS-Verbrechen, sondern um Verbrechen schlechthin und ihre Aufarbeitung.

Wichtig, ja eigentlich kennzeichnend für Fritz Bauer war dabei, dass es ihm nicht um Rache oder Vergeltung ging, sondern um Anklage. Ein Vergeltungsstrafrecht lehnte er ab. (8) Die Höhe des Strafmaßes war ihm nicht wichtig, das Urteil sollten die Richter sprechen. So vergaß er sogar im Remer-Prozess in seinem Plädoyer, ein Strafmaß zu beantragen. Die Anklage selber war ihm wichtig. Mit modernen Worten würde man sagen, es ging ihm um den Kampf gegen Straflosigkeit - wie es in der Sprache von amnesty international heute heißt.

In gewisser Weise ist Jean Ziegler auch ein Ankläger - gegen Ungerechtigkeit, gegen Institutionen und Strukturen, die Armut, Hunger und Unterdrückung verursachen. Insofern hat er mächtige Gegner, die ihm immer wieder Prozesse machten, die er z.T. auch verlor.

Aber auch Fritz Bauer hatte mächtige Gegner, insbesondere inden Reihen der Justiz und Politik. Er musste vorsichtig sein. Nicht ohne Grund meldete er den Aufenthaltsort des Judenjägers Adolf Eichmann an den israelischen Geiheimdienst Mossad und nicht an die deutschen Justizbehörden. In Frankfurt rechnete er immer wieder mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde, die das Ziel hatte, ihn letztlich "mundtot" zu machen. (9)

Im Mittelpunkt des Denkens bei Fritz Bauer stand der Widerstandsbegriff. In vielen Aufsätzen, Vorträgen und Prozessen kam er immer wieder darauf zurück. Claudia Fröhlich hat in der wissenschaftlichen Reihe des Fritz Bauer Institutes ein hervorragendes Buch über den Widerstandsbegriff bei Fritz Bauer geschrieben. (10) Gerade im Remer-Prozess in Braunschweig ging es um dieses Widerstandsrecht. Indem er das Widerstandsrecht dort begründete und er damit dafür sorgte, dass offiziell per Gerichtsbeschluss der NS-Staat zum Unrechtsstaat erklärt wurde, erreichte er die Rehabilitation der Männer und Frauen aus dem Widerstand gegen Hitler, den Menschen des 20. Juli.

Genau auf dieses Recht zum Widerstand geht auch Stéphane Hessel in seiner Streitschrift "Empört Euch": Das Büchlein "Empört Euch" ist ein Appell gegen die Gleichgültigkeit und endet mit den Worten: (11)

"Den Männern und Frauen, die das 21.Jahrhundert gestalten werden, rufe ich aus ganzem Herzen und in voller Überzeugung zu:

 

Neues schaffen heißt

Widerstand leisten.

Widerstand leisten heißt

Neues schaffen."

 

Diese Worte könnten von Fritz Bauer stammen.

 Die Ausführungen möchte ich aber gern mit einem Zitat von Bauer beenden, das einen direkten Bezug zu Jean Ziegler herstellt. In dem (eher unbekannten) Buch von Fritz Bauer "Auf der Suche nach dem Recht" von 1966 gibt es ein Kapitel, in dem Bauer sich mit der "Kriminalität der Weißen Kragen" beschäftigt. In diesem Kapitel schreibt er u.a.:

Der Präsident der New Yorker Börse hat einmal völlig zutreffend gesagt, es sei strafrechtlich und sozial riskanter, ein Stück Brot im Wert von 10 Cent zu stehlen, als in betrügerischer Weise Aktien im Nennwert von Hunderten von Millionen Dollar zu verkaufen (12).

Aus einer Buchbesprechung: Der Verfasser widerlegt den weit verbreiteten Aberglauben, daß Kriminalität in aller Regel in den „unteren" Schichten der Gesellschaft zu Hause sei und verweist auf die „weiße-Kragen-Kriminalität" der „hohen" und „mittleren" Schichten. Wer im Kaufhaus Strümpfe stiehlt, wird allerdings leichter gefaßt als der Steuerdieb und Millionenbetrüger und Warenverfälscher, obwohl der Schaden für die Allgemeinheit bei den Letzteren in die Milliarden geht.

 Dieser Satz könnte von Jean Ziegler stammen.

Eine letzte Anmerkung noch: Am 10.März 2004 war Jean Ziegler nach Goslar in die Klosterkirche St.Peter und Paul gekommen, um einen Vortrag im Rahmen der Frankenberger Winterabende zu halten. Viele Braunschweiger waren dort. Schon damals stand der entscheidende Satz im Mittelpunkt seiner Rede: "Alle sieben Sekunden verhungert ein Kind auf dieser Welt".  Im Grunde gibt es nichts Schlimmeres als Gleichgültigkeit. In diesem Sinn ist der Aufruf "Empört Euch" angebracht. Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

 

 

Nachweise

1.  Stéphane Hessel: Empört Euch! Berlin. 2010.

2.  www.sueddeutsche.de/kultur/2.220/jean-ziegler-im gespraech.de

3.  Jean Zieglers ungekürzte, nicht gehaltene Eröffnungsrede der Salzburger Festspiele findet man unter www.sueddeutsche.de/ziegler

4.  Jean Ziegler: Wie kommt der Hunger in die Welt? Ein Gespräch mit meinem Sohn. München..2002

5.  siehe Jean Ziegler: Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher. München 2003.

 

6.  siehe www.wikepedia.org/wiki/Jean_Ziegler, S.1

7. Fritz Bauer: Im Kampf um des Menschen Rechte. (1955). In: Fitz Bauer: Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hg.  von Joachim Perels/ Irmtrut Wojak. Frankfurt 1998.

8.  In: Fritz Bauer: Die Schuld im Strafrecht. (1962). In Bauer: Die Humanität der Rechtsordnung. S.249- 278

9.  Brief von Fritz Bauer an Thomas Harlan: "Ich kann mich nicht auf Disziplinarverfahren Strafverfahren usw. einlassen, die ich verliere, z.B. wenn ich Namen nenne..."

10. Claudia Fröhlich: "Wider die Tabuisierung des Ungehorsams". Fritz Bauers Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Frankfurt. 2006.

12. Fritz Bauer: Auf der Suche nach dem Recht. Stuttgart. 1966. S. 255

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