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70 Jahre NATO: Globale Zündschnur zum Krieg. Was gibt es da zu feiern?

Die stundenlangen Gespräche mit dem ehema-ligen Bundeskanzler Helmut Schmidt in seinem Büro in Hamburg waren erhellend. In gewisser Weise waren diese Gespräche damit vergleich-bar, wie sein Amtsnachfolger Helmut Kohl Gespräche gestaltete. Bei Altkanzler Helmut Schmidt war es der „kontinuierliche Rollgriff“ zu den vorhandenen Menthol-Zigaretten. Bei seinem Nachfolger galt dieser Griff „Heinemann-Pralinen vom Niederrhein“.

Es war keinesfalls so, daß sich darin die Gemeinsamkeiten beider Kanzler erschöpften. Was den Westen und seine Politik sowie innere Struktur anbelangt, waren beide Kanzler von der Notwendigkeit überzeugt, auch in Zukunft und auf längere Zeit ein starkes, transatlantisches Band vorfinden zu sollen. Dafür schien der bestehende NATO-Vertrag ein geeignetes Mittel zu sein, allerdings mit einer stärkeren Hinwendung zu einem europäischen Pfeiler mit einem Eigengewicht von Bedeutung. Dieses Gewicht sollte die Balance zu der augenfälligen Dominanz Washingtons ausmachen und auch die Europäische Union einbeziehen.

Für völlig aus der Zeit gefallen hielten beide ehemalige Bundeskanzler die militä-rische Integration in der NATO, die die politische Dimension eines transat-lantischen Vertrages in den Hintergrund treten lassen würde. Für geradezu zwingend war für beide ehemailge Bundeskanzler eine enge Zusammenarbeit auf allen Gebieten mit der Russischen Föderation. Dies sollte unabdingbar die transatlantischen Strukturen einbeziehen. Das war für beide Gesprächspartner immer verbunden mit einer äußerst kooperativen Haltung Deutschlands gegen-über den Staaten Mittel- und Osteuropas unter dem gemeinsamen Dach der Europäischen Union. Damit sollte ein deutsche Beitrag dazu geleistet werden, sich in der gegenwärtigen Struktur Europas wohlfühlen zu können. Geschichte ist neben den heutigen Realitäten eine Triebfeder für staatliches und gesellschaft-liches Handeln. Es ist geradezu eine Ironie der Geschichte, daß diese nachbar-schaftsbezogene deutsche Grundhaltung Anfang September 2015 durch die deutsche Bundeskanzlerin wegen ihrer einsamen Migrationsentscheidung irreparabel aufgegeben worden ist.

Die Wirklichkeit in Europa ist weit entfernt von den Vorstellungen beider Kanzler, die erst 2008 zu einer engen und sehr persönlichen Verbindung zueinander fanden. Statt Diplomatie und eine Politik der guten Nachbarschaft bestimmen heute amerikanische Militärbefehlshaber und die parteiübergreifende Kriegs-koalition in Washington die europäischen Abläufe.

Man kommt über die bisherige Entwicklung, auch wegen der durch nichts gerechtfertigten Aufrüstung in eine Lage, den erwarteten Konflikt mit der Russischen Föderation ohne jede Rücksicht auf ein deutsches parlamentarisches Entscheidungsrecht oder gar dem Verbot eines Angriffskrieges im deutschen Grundgesetz lostreten zu können. Alle Vorkehrungen im NATO-Vertrag, die militärischen Zwangsvorstellungen Hürden in den Weg stellen sollten, wie die Beachtung staatliches Grenzen, sind längst weggeräumt.

In einem Jahr, das zwischen März und November von sehr speziellen Gedenktagen geprägt ist, muß auf die gravierende politische Missbildung der NATO aufmerksam gemacht werden. Bis zum „Neuen strategischen Konzept“ des Frühjahres 1999 und dem ordinären Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, war die NATO fest in das internationale Recht und vor allem die Charta der Vereinten Nationen eingebunden und nur dadurch legitimiert. Das zeigte sich an der erforderlichen Zustimmung der nationalen Parlamente zum NATO-Vertrag ebenso wie in der Anbindung an die Ächtung des Krieges durch die Charta der Vereinten Nationen. Durch diese Charta wurde nach 1945 festgelegt, daß Krieg nur noch möglich sein sollte zur Selbstverteidigung oder nach einem vorherigen Beschluß des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Durch die Bombenangriffe auf Belgrad nach dem 24. März 1999 wurde diese internationale Ordnung als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges geradezu pulverisiert.

Die NATO hat seither die internationale Ordnung auf das Niveau des 1. September 1939 heruntergedrückt. Daran wird in diesem Jahr ebenfalls erinnert, weil der Zeitpunkt achtzig Jahre zurückliegt. Heute ist die NATO in diesem Zusammen-hang die Kriegslunte der angelsächsischen Mächte, die 1914 mit dem Krieg gegen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich über Versailles 1919 und den Zweiten Weltkrieg ausgelegt worden ist.

Kommentar der Redaktion des B-S:  der ehemalige Parl. Staatssekretär unter Bundeskanzler Helmut Kohl Willy Wimmer ist seit Oktober 2018, seit er in der Ev. Akademie Abt Jerusalem einen Vortrag gehalten hat, öfter Gastkommentator im Braunschweig-Spiegel. Er leistet in seinen Kommentaren wichtige Beiträge. u.a. zur Friedenspolitik, die er einstmals selber mitgestaltet hat. Er kommentiert also aus politischer Erfahrung heraus. So auch den Kommentar oben zum NATO-Geburtstag, den die Redaktion ausdrücklich begrüßt. Jedoch nicht immer ist die Redaktion des B-S mit einigen seiner Ausführungen einverstanden. In den o.g. Ausführungen gilt das insbesondere für die Ausführungen im letzten Halbsatz über die Kriegsursachen.

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