Stadt Braunschweig: Privatisierung der Stadtwerke verdoppelt langfristig die städtische Schuldenlast

Dass durch Privatisierungen kurzfristig der Verschuldungsstand gesenkt werden kann, ist unbestritten. Als gelungen kann eine Privatisierung jedoch nur gelten, wenn sie nachhaltig Vorteile bringt.

Die unter Federführung von KPMG erfolgte Privatisierung von Dreivierteln der Braunschweiger Stadtwerke im Jahr 2002 galt bislang als Musterbeispiel einer gelungenen Privatisierung. So gelungen, dass bundesweit über das „Haushaltswunder von Braunschweig“ berichtet wurde. Als Beweis galt der Stadtverwaltung ein im Jahr 2010 veröffentlichtes ebenfalls von KPMG erstelltes Gutachten. Darin errechnete KPMG, dass die Privatisierung der Stadtwerke der Stadt einen Barwertvorteil von 242 Mio € gebracht hätte.

Kritiker behaupten jedoch seit langem, dass KPMG zu diesem positiven Ergebnis nur kommen konnte, weil sie auf eine geschickte Weise den Löwenanteil der Einnahmen aus dem Stadtwerkeverkauf doppelt auf der Habenseite der Privatisierung verbuchen.

Fragen zur Methode des Gutachtens jedoch wurden von der Stadtverwaltung bislang konsequent ausweichend beantwortet. Ratsherr Schicke-Uffmann von den Piraten bereitete dem Katz und Maus Spiel ein Ende, indem er die Methode von KPMG nicht direkt angriff, sondern einfach genauer fragte, welchen konkreten Einfluss die Privatisierung auf die Finanzlage der Stadt langfristig hat.[1]

Auf der Ratssitzung musste die Verwaltung folgenden Sachverhalt einräumen: Unter der Annahme, dass die jährlichen Defizite der Stadt ab dem Zeitpunkt der Privatisierung grundsätzlich durch Neuverschuldung gedeckt werden, wird auf Datenbasis des KPMG-Gutachtens der Schuldenstand der Stadt aufgrund der Privatisierung der Stadtwerke in hundert Jahren doppelt so hoch sein, wie er im Falle der Nichtprivatisierung gewesen wäre.

Langfristig gesehen hat der Verkauf der Stadtwerke der Stadt also keine Verringerung der Schuldenlast eingebracht, sondern zu einer Mehrverschuldung geführt, deren Höhe mit 130 Mio € Barwert (zum Zeitpunkt 2014) zu beziffern ist. [2]  Das ist die Quintessenz der Antwort der Stadtverwaltung auf die Frage von Herrn Schicke-Uffmann.

KPMG aber errechnete einen Vorteil von 242 Mio € für die Stadt. Dieses nach jener Methode, die von Kritikern seit langem als simple Doppelrechnung der Privatisierungseinnahmen gebrandmarkt wird. Piratenratsherr Schicke-Uffmann stellte in seiner Anfrage zunächst diese Doppeltrechnung sehr plastisch dar[3], um dann schlicht zu fragen, ob der Verwaltung irgendein anderes Gutachten bekannt sei, in der nach der fragwürdigen Methode gerechnet wird, mit der KPMG der Stadt ihren Privatisierungsgewinn errechnet. Die Antwort des Finanzdezernenten lautete: Nein; aber das würde die Stadt auch nicht weiter interessieren.


[1] KPMG liefert für die Antwort darauf in ihrem Gutachten alle nötigen Daten.

Gegenstand des KPMG-Gutachtens ist ein System, das aus den von der Privatisierung betroffenen Einrichtungen der Stadt besteht: die teilprivatisierten Betriebe und der Schuldenkasse.

Dieses System betrachtet KPMG für den Fall der Privatisierung und der fiktiven Fall der Nicht-Privatisierung - und weist für beide Fälle die Jahresergebnisse -generell Defizite- ab der Privatisierungszeitpunkt 2002 bis in alle Zukunft aus. Sofern dafür konkrete Zahlen vorliegen, werden diese zugrundegelegt. Ansonsten werden Modellierungen und Prognosen verwendet.

[2] Konkret bezifferte Finanzdezernent Stegemann den städtischen Schuldenstand in 100 Jahren mit rund 36 Milliarden € im Privatisierungsfall und 18 Milliarden € im Nichtprivatisierungsfall. Die Zahlen klingen zunächst absurd hoch. Jedoch ist der Kaufkraftverlust des Geldes über 100 Jahre auch bei moderater Inflationsrate dramatisch, und bei dem von KPMG angenommenen Zinssatz von 5% haben 18 Milliarden € im Jahr 2114 einen Barwert von gerade einmal ca. 130 Millionen € im Jahr 2014.

[3] Schicke-Uffmann im Wortlaut:

„Das Gutachten berechnet als Kennzahl den "Kalkulatorischen Gesamtverschuldungsstand" der beiden betrachteten Szenarien "Privatisierung" und "Nicht-Privatisierung". In der Tat fällt der "Kalkulatorische Gesamtverschuldungsstand" im Falle der Privatisierung um rund 240 Mio. EUR positiver aus. Diese Kennzahl ist unseres Erachtens jedoch für eine sinnvolle Bewertung der Wirtschaftlichkeit der beiden Szenarien gänzlich ungeeignet: Zur Ermittlung des "Kalkulatorischen Gesamtverschuldungsstands" wurden zwei Werte addiert: Zum einen der Schuldenstand zu Jahresbeginn 2009. Zum anderen die Kapitalmenge, die benötigt würde, um die jährlichen Zahlungsströme, die sich aus den Jahresergebnissen der Gesellschaften und die Zinszahlungen auf den Schuldenstand ergeben, bis in alle Ewigkeit zu decken. Der "Kalkulatorische Gesamtverschuldungsstand" ist somit die Kapitalmenge, die benötigt wird, um die
Zinsen aller Schulden bis in alle Ewigkeit zu bedienen und zusätzlich dieSchulden im Jahre 2009 vollständig zu tilgen.

Eine vernünftige Betrachtung hätte stattdessen annehmen müssen, dass entweder die Schulden nach endlicher Zeit getilgt und die Zinszahlungen damit beendet, oder niemals getilgt und letztlich durch Inflation wertlos werden würden. Beides gleichzeitig kann offensichtlich nicht eintreten.“