-
Montag, 13. Februar 2006 01:00
-
Nicole Palm
In der aktuellen Ausgabe der
Umweltzeitung schildert die Berlinerin Gerlinde Schermer ihre Erfahrungen mit der Privatisierungswelle in der Hauptstadt. Schermer saß für die SPD jahrelang selbst im Berliner Abgeordnetenhaus und gehörte in der entscheidenden Phase der Privatisierungswelle dem Wirtschaftsausschuss der Stadt an.
Geheime Verträge und garantierte Gewinne
Verdienen an leeren Kassen
Der Staat ist weitgehend ausgeraubt. Alles, was sich für Private lohnte, wurde privatisiert: Wasser, Energie, öffentliches Verkehrswesen, Wohnen – kurz alles das, was Menschen kaufen müssen, um zu überleben, befindet sich weitgehend in den Händen Privater. Die Kommunen sind dessen ungeachtet immer ärmer geworden. Sie reduzieren Ihre Ausgaben, öffentliche Aufträge sind kaum noch zu erlangen.
Private rentabler als Kommune?
Seit einigen Jahren hat sich eine neue "Branche" etabliert: Die Beraterindustrie. Sie ist ein Wirtschaftsfaktor geworden, der gut ausgebildeten Juristen, Steuerberatern, Wirtschaftswissenschaftlern und ehemaligen, aber auch noch aktiven Politikern gut dotierte Arbeitsplätze bietet. Alle wollen Geld machen – und viele haben das auch schon seit Jahren getan! Da sie aber nichts produzieren, sondern nur "vermitteln", spähen sie gierig nach profitabler Beschäftigung. Und sie suchen vor allem dort, wo nach ihrer Erfahrung immer leicht etwas zu holen ist: beim Staat.
Nun wollen die Berater in Braunschweig erkannt haben, dass die öffentliche Abwasserentsorgung –"lebenszyklisch" also 30 Jahre lang von Privaten viel rentabler betrieben werden kann, als das bisher der Fall ist. Die Berater – hier KPMG – empfehlen sich mit ihrem Wissen und sehr einflussreichen Klienten, – hier Veolia –, die vor allem haben, was dem Staat fehlt: Geld!
Nun haben Private nichts weniger im Sinn, als etwas zu verschenken. Im Gegenteil: Sie wollen mit ihrem Kapital möglichst viel verdienen. Der freie Markt ist risikobehaftet, deshalb suchen die Konzerne weltweit nach langfristig sicheren Kapitalrenditen für ihre Geldgeber.
Das Mittel , dem nackten Mann "Staat" in die Tasche zu fassen, nennen die Berater listig "öffentlich private Partnerschaft"(ÖPP). Diese Bezeichnung gaukelt vor, dass es eine "Partnerschaft von öffentlich und privaten Interessen gäbe. Privaten geht es aber immer nur um einen möglichst hohen Gewinn – und um nichts anderes. Das hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 11.1.2005 (EuGH C-26/03) unemotional, schlicht und zutreffend dargestellt.
Beschaffungsvariante ÖPP
Auch der Vertrag in Braunschweig ist – wie die Berliner Teilprivatisierung der Wasserbetriebe von 1999 – ein ÖPP-Modell. ÖPP ist – nach Eigendefinition der Berater – eine "Beschaffungsvariante". Dem Staat wird Geld angedient, das er teuer zurückzahlen muss. Gegenstand des Kreditgeschäftes ist immer die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, deren profitabler Teil in verschleiernden, komplizierten Verträgen – mit bis zu 17.000 Seiten – für bis zu 30 Jahre privatisiert wird.
Geldmangel hat der Staat bislang durch schlichte Kreditaufnahme bei Banken behoben. Da der Staat ein sicherer Schuldner ist, bekommt er Kredite immer zu günstigsten Konditionen. Derzeit so um die 3,35 Prozent. An einer solchen Kreditaufnahme verdienen zwar die Banken – nicht besonders gut, aber sicher– und niemand sonst. Insbesondere verdienen die "Berater" nichts.
Aber unter der direkten Kreditaufnahme leidet auch eine andere Klasse: Die Politiker. Ihnen wird vorgehalten, durch immer neue Schulden die Zukunft unserer Kinder zu verspielen. Andererseits gibt es öffentliche Aufgaben, die keinen Verzug dulden. Da Kreditaufnahmen sehr leicht nachzuweisen sind – sie ergeben sich aus dem Haushalt – versuchen Politiker, diese zu vermeiden.
Das wissen die Berater. Da viele Berater selbst in der Politik tätig waren oder noch sind, wissen sie noch weiteres über Politiker: Die denken in sehr engen Zeiträumen, sie denken vor allem an sich – und die meisten sind unqualifiziert.
Wenn die Folgen einer Privatisierungsentscheidung erst in zehn oder gar 20 Jahren über die Bürger hereinbricht, interessieren diese Folgen die aktiven Politiker meist überhaupt nicht. Sie sind raus aus der Politik und niemand erinnert sich mehr an die unselige Rolle, die sie vor 20 Jahren gespielt haben. Die Berater bleiben ohnehin anonym. Es fehlt an kritischer Öffentlichkeit, die diejenigen unterstützen, die kritisch hinterfragen. Selbst da, wo das ureigenste Interesse der Presse angesprochen ist, nämlich umfassend zu informieren, stehen die Kritischen zumeist allein.
Langfristige Schulden verschleiert
Auch bei der Öffentlich privaten Partnerschaft des Verkaufs der Abwasserbersorgung in Braunschweig an Veolia handelt es sich um nichts weiter als die teuerste Variante einer Kreditaufnahme. Kurz gesagt: ein verdecktes Kreditgeschäft. Für kurzsichtige Politiker wie Herrn Oberbürgermeister Hoffmann ist das Schöne, dass die hohen langfristigen Schulden über 30 Jahre, die die Stadt Braunschweig nun doch macht, im Haushalt nur verschleiert auftauchen sollen. Und noch schöner ist, der Haushalt hat eine Geldzufuhr von 115 Millionen Euro, die Politiker heute ausgeben oder für sicher gute Zwecke planen werden, den Bürgen wird erzählt, ihre Abwassergebühren sinken.
Um das Kreditgeschäft positiv darstellen zu können, sagen die Berater selbst, man muss "den Bock zum Gärtner machen". Der Bock , das sind die Finanzer in der öffentlichen Verwaltung. Die müssen aus Sicht der Berater gewonnen werden. Vor der Auschreibung der öffentlichen Aufgabe behaupten die Berater deshalb regelmäßig frech, dass das Projekt den Staat, also am Ende den Bürger, 20 Prozent weniger kostet, als die koventionelle Bewirtschaftung. Dies ist eine erstaunliche Feststellung, wenn man bedenkt, dass die Privaten die Kredite erheblich teurer aufnehmen müssen, die Banken an ihnen also mehr verdienen. An ÖPP verdienen aber noch andere "Staatsknete". Das sind die Generalunternehmer, die Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Versicherungen, die Vergabeverfahrenexperten für gemischtwirtschaftliche Gesellschaften usw.
Diese "Transaktionskosten" lassen sie sich gut bezahlen. Auch in Braunschweig werden diese Kosten vom Kaufpreis abgezogen, also vom Bürger bezahlt.
Woher kommt die Kostenersparnis?
Erforderlich sind Berater nach der Ausschreibung, weil jede Leistung erfasst, jedes Risiko "eingepreist" werden muss. Wo sollen aber dies zusätzlichen enormen Kosten eingespart werden? Wodurch werden dann noch darüber hinaus die versprochenen zusätzlichen weiteren 20 Prozent Kostenersparnis herkommen?
- Bei den kleinen Handwerkern und deren Mitarbeitern, die durch private Firmen als Subunternehmer besser erpresst werden können.
- Durch effizientere Bewirtschaftung sollen ebenfalls Kosten eingespart werden – ohne zu sagen, welche Folgen beispielsweise durch Incourcing bei Veolia, durch Arbeitslosigkeit innerhalb der Kommune Lasten werden.
Die Berater rechnen nun mit Hilfe der Barwertmethode den Kommunalpolitikern vor, dass über den "Lebenszyklus" des Vertrages die Abwasserversorgung in Braunschweig von Veolia 20 Prozent billiger erbracht wird. Es wird von 20 Millionen Euro Mehrgewinn gesprochen. Im Fall Braunschweig bürgt die Kommune für den Kredit der Privaten bei der Bank! Für mindestens 50 Prozent des Kaufpreises von 238 Millionen, den Veolia zahlt, und der den Bürgern als Einnahmehappen vorgegaukelt wird, zahlt die Kommune den Zins! Wo steht das im Haushalt als Zinslast?
In 30 Jahren kann dann verifiziert werden, was das Ganze die Bürger wirklich kostet. Die Politiker die dieses Projekt abgenickt haben, dürften dann überwiegend das Zeitliche gesegnet haben oder ihren "verdienten Ruhestand" genießen.
Dreißig-Jahres-Verträge nicht haltbar
Die grundsätzliche Kritik an diesen Modellen muss von der Erkenntnis ausgehen, dass hier nichts anderes als Planwirtschaft betrieben wird. Diesmal plant allerdings nicht der Staat, diesmal plant die Privatwirtschaft. Der Staat ist bereits mit Fünf-Jahr-Plänen gescheitert. Auf der Grundlage gleicher Datenerhebungen maßt sich jetzt die private Wirtschaft an, Dreißig-Jahres-Pläne zu erstellen. Was die Interessen der Privatwirtschaft selbst betrifft, steht diese freilich auf der sicheren Seite. Sie hat für 30 Jahre sichere Einkünfte und Gewinn! Das Geld, was die Kommune Braunschweig nun 30 Jahre lang an Veolia bezahlen soll, ist festgeschrieben, die Politiker haben für andere Aufgaben dann kein Geld mehr. Das sagen die Berater nicht, weil es ihnen egal ist.
Aus Erfahrung lernen – das Berliner Beispiel
1999 wurden 49,9 Prozent der Wasserbetriebe an Veolia bzw. damals Vivendi verkauft. Das bedeutet, das Trink- und Abwasser für 3,3 Millionen Menschen wurde privatisiert . Vivendi heißt heute Veolia – der Name Vivendi hatte in der Konzernheimat Frankreich einen schlechten Ruf bekommen wegen Korruption. Das Land Berlin konnte den einmalig erzielten Kaufpreis von 1,68 Milliarden Euro im Haushalt verbuchen.
Und doch – die Verschuldung der Stadt wächst weiter! Im geheimen Konsortialvertrag wurde den Konzernen ein jährliche Rendite von zirka acht Prozent für eine Laufzeit von 28 Jahren garantiert. Weil sich die Rendite auf das "betriebsnotwendige Kapital" bezieht, ist dies freilich keine feststehende Größe. Vielmehr wächst die staatlich garantierte Rendite von Jahr zu Jahr. Damit wächst auch die Bemessungsgrundlage der garantierten Rendite. 2004 betrug das "betriebsnotwendige Kapital" 3,3 Miliiarden Euro mit zu erwartenden Steigerungsstufen um 200 Millionen Euro jährlich, 2009 werden es 4,1 Milliarden Euro sein.
Renditegarantie als Ursache für Preiserhöhungen
Diese Renditegarantie ist die eigentliche Urasache der in Berlin nach der Privatisierung erfolgten Wasserpreiserhöhung. Bis zum Jahr 2003, war im Vertrag festgelegt worden, sollen die Preise den zuvor seit sechs Jahren konstanten Preisen der Kommune entsprechen. Schon ab dem 1.1.2004 wurden die Preise dann allerdings um 15 Prozent erhöht. 2005 folgte eine Preiserhöhung um 5,4 Prozent. Kürzlich wurde in der Berliner Presse angekündigt, dass der Wasserpreis am 1.1.2006 weiter um 2,5 Prozent steigen wird. Der Berliner Wirtschaftssenator Wolf (Linkspartei) genehmigt die Preiserhöhungen und stellte bereits öffentlich klar, dass die Preiserhöhungen bis 2009 bei 30 Prozent liegen werden.
Doch das ist längst nicht die ganze Wahrheit. Durch den geheim gehaltenen Konsortialvertrag mit all seinen Änderungsverträgen wird die Landesregierung (egal welcher Partei) gezwungen, einen Vertrag zu erfüllen, der das Vermögen des Landes und der Berliner doppelt schädigt. Um die überhöhte Rendite bezahlen zu können, muss Berlin auf Einnahmen verzichten. Im Jahr 2004 auf 41,2 Millionen Euro, weil die bisherigen Preiserhöhungen nicht genügten, die Forderungen von Veolia und RWE zu bedienen. Ein Prozent in der Verzinsung des Kapitals macht drei Prozent Preissteigerung aus. Dieser Grund der Preiserhöhung wird aber in der Öffentlichkeit verschleiert. Man sagt den Berlinern als Grund für die Preiserhöhung, dass die Ursache sei, dass sie selbst immer mehr Wasser sparen und die Energiekosten steigen. Alle damaligen Privatisierungsbefürworter sind entweder heute noch Politiker, im gehobenen Mangment des Unternehmens gelandet oder als Berater tätig.
Gerlinde Schermer