22 Stunden vor Ratsentscheid „Einwohnerversammlung“ zur Wertstofftonne
- Sonntag, 13. März 2011 00:00
- Gudrun Beneke
Wo bleiben definitve Aussagen zu den Kosten und zur Öko-Bilanz?
Der Abfallwirtschaftsbetrieb München schafft es, die Sammelstellen sauber zu halten; ALBA nicht!
Quelle © www.mux.de
Der Rat der Stadt Braunschweig hat vor zweieinhalb Wochen die Entscheidung über eine Verwaltungsvorlage zur Einführung der Wertstofftonne, auch gelbe Tonne genannt, vertagt. Die finanziellen Auswirkungen für die Bürger sind ungeklärt. Trotzdem scheint es im Rathaus Kräfte zu geben, die eine Hals-über-Kopf-Entscheidung wollen.
Oberbürgermeister Dr. Hoffmann durchbricht sein Prinzip der jährlichen Beschränkung auf sechs Ratssitzungen und hat eine Sondersitzung am 15. März, 16.00Uhr, anberaumt. Nun wird dieser Sondersitzung noch eine „Einwohnerversammlung“ vorgeschaltet. Vor 4 Tagen ließ der OB per Pressemitteilung zum 14. März, 18.00Uhr, in den Kleinen Saal der Stadthalle einladen.
Warum plötzlich diese Hektik bei einer Angelegenheit, die sämtliche Bürger der Stadt Braunschweig betrifft und eine unausweichliche Kostensteigerungen in der tagtäglichen Daseinsvorsorge nach sich zieht?
Zum Bestreben, die Gelbe Tonne einzuführen, gibt die Stadtverwaltung folgende Begründung: In Braunschweig enthält der Restmüll vergleichsweise hohe Anteile von Leichtverpackungen und materialgleichen Nichtverpackungen; somit werden beachtliche Mengen an Wertstoffen nicht recycelt und unnötigerweise der Müllverbrennungsanlage zugeführt. Mit der Einrichtung einer haushaltsnahen Tonne, die - wie die Restmülltonne - komfortabel per Holsystem geleert wird, sollen die anfallenden Kunststoffmengen für eine erneute Nutzung gesichert werden. Die Stadt lässt in ihren Erläuterungen offen, welchen Weg die Kunststoffmengen nach der Abholung und Feinsortierung durch Alba nehmen.
Eine aktuelle Bilanz, die die Umweltvorteile des - von den Braunschweiger Grünen vehement geforderten - Systemwechsels nachvollziehbar nachweist, liegt nicht vor.
Begründung ist nicht plausibel
Die von der Stadtverwaltung benannten Sachverhalte legen nicht zwangsläufig die kostenintensive Einführung einer Wertstofftonne nahe. Denn deren Befürwortung basiert bislang allein auf der unausgesprochenen und ungeprüften Annahme, die Braunschweiger Bürger seien zu bequem, die Leichtverpackungen zu den Abfallsammelinseln zu bringen und in die dafür vorgesehenen Container einzuwerfen.
Gegen diese Annahme spricht, dass die Braunschweiger Bürger - wie das von der TU Braunschweig erstellte und mit Alba und der Stadt abgestimmte Abfallwirtschaftskonzept belegt - relativ beständig Glasabfälle zu den vorgesehenen Sammelstellen tragen. Bei der Glasfraktion bewegt sich das Braunschweiger Sammelverhalten im Bundesdurchschnitt.
Bleibt die Frage: Warum bringen die Braunschweiger Bürger das Altglas zu den Wertstoffinseln und lassen die Leichtverpackungen zu Hause? Die Antwort ergibt sich aus einer weiteren Frage: Welches Ratsmitglied würde schon gerne seinem Plastikmüll wegen überquellender Sammelcontainer zur Ratssitzung mitbringen? Will nicht ein Ratsmitglied, wie jeder andere Bürger, sich darauf verlassen können, dass der Weg zur Abfallsammelinsel erfolgreich ist und der Müll nicht zum Einkaufen, zur Arbeit oder zum Arzt und dann wieder nach Hause mitgeschleppt werden muss?
Im Interesse der Gebührenzahler ist es geboten, kostengünstigere und nicht minder umweltverträgliche Lösungen vorrangig in den Blick zu nehmen und eine Optimierung des bestehenden Sammelsystems auf den Weg zu bringen. Der CDU-Fraktionschef, Wolfgang Sehrt, plädiert dafür, stark frequentierte Container erforderlichenfalls täglich zu leeren und für deren Nutzung zu werben.
München hat funktionierende und saubere Wertstoffinseln
Die Stadt München orientiert sich in ihrem Abfallhandeln (4) an einer Studie vom bifa Umweltinstitut; danach liegen die wesentlichen Rohstoffpotentiale in Bioabfällen und Altpapier sowie in Elektroaltgeräten. Deshalb praktiziert der Abfallwirtschaftsbetrieb München, AWM, ein haushaltnahes 3-Tonnen-System, mit dem der Restmüll sowie die vergleichsweise wertvollen Bio- und Papierabfälle erfasst werden.
Die ökologischen und ökonomischen Effekte der Abfallfraktion Kunststoffe beurteilt der AWM als „überschaubar“. Dazu heißt es: „Während PE-Folien und PET-Flaschen sehr gut stofflich zu verwerten sind, werden die übrigen Kunststoffe in der Regel energetisch verwertet. Dies gilt insbesondere für Kunststoffe, die mit Weichmachern und Schwermetallen verunreinigt sind.“ Des Weiteren wird erklärt: „Die über die Dualen Systeme entsorgten Kunststoffverpackungen werden zu über 50% energetisch verwertet und zu erheblichen Teilen nach Asien exportiert. Und das zu Kosten für Bürger, die 5mal höher sind im Vergleich zur Entsorgung über die kommunale Restmülltonne.“
Das Fazit der Abfallwirtschaftsbetriebe München vom 7. Februar 2011 zur Beibehaltung bzw. zur Abschaffung von Sammelcontainern für Kunststoffe lautet: „Das mit den Dualen Systemen abgestimmte Münchner Abfallwirtschaftskonzept mit dem 3-Tonnen-System am Haus und Wertstoffinseln im Stadtgebiet hat sich aufgrund der Sauberkeit und der guten Qualität der gesammelten Wertstoffe bewährt.“
„Einwohnerversammlung“ oder „Bürgerversammlung“
Quelle: Braunschweiger Zeitung
Unabhängig von den noch zu klärenden Sachverhalten verwundert bei der vom OB ausgesprochen Einladung an die „Einwohner“ das Fehlen des Wortes „Bürger“. Der Begriff “Einwohner“ wird in der Regel in Verbindung mit statistischen Angaben zur Beschreibung abstrakter Größen verwendet. Der Begriff „Bürger“ hingegen zielt auf das in der Verantwortung stehende, handelnde Subjekt ab. Bürger haben z.B. die Pflicht, den Abfall zu trennen und Abfallgebühren zu bezahlen. Sie haben aber auch das Recht, in Fragen der alltäglichen Daseinsvorsorge adäquat informiert zu werden, um über die gewählten Vertreter auf eine sozial- und umweltverträgliche Ver- und Entsorgung hinwirken können.
Obwohl im Rathaus seit Juni 2010 die Umstellung auf die Gelbe Tonne zur Diskussion steht, fehlen aussagefähige Erklärungen zu den Umweltauswirkungen und zu den finanziellen Konsequenzen. Die „Bürger“ fordern deshalb eine nachvollziehbar begründete und verständliche Stellungnahme zu drei Fragenkomplexen:
1. Warum werden in Braunschweig die Umweltvorteile der Gelben Tonnen als selbstverständlich erachtet, während der Abfallwirtschaftsbetrieb München den Umwelteffekt des Kunststoffrecyclings als „überschaubar“ beurteilt und auf das ökologische und ökonomische Problem des Exports von Plastikmüll verweist?
2. Weshalb forciert die Stadt Braunschweig eine Entscheidung zugunsten der gelben Tonne, obwohl die Kosten für deren Einführung und Betrieb bislang nur geschätzt sind?
3. Warum wurde in Braunschweig bislang eine vermehrte Leerung der Plastikmüll-Container nicht ernsthaft in Betracht gezogen?
Die Sorge der Bürger, dass Ver- und Entsorgungskonzerne unter dem Deckmantel des Umweltschutzes schamlos Traumgewinne auf Kosten der Umwelt und der Gebührenzahler erwirtschaften, ist groß. Der Rat der Stadt Braunschweig sollte die Devise des Abfallwirtschaftsbetriebes München bedenken: "Die Siedlungsabfallwirtschaft muss mehr von Fakten statt von Interessen geleitet werden. - Bayern braucht keine Wertstofftonne!" Braunschweig aller Voraussicht nach auch nicht.