Flughafen Braunschweig: Startbahnverlängerung für die Luftfahrtforschung in Hamburg
- Mittwoch, 15. Oktober 2008 02:00
- Ralf Beyer
Im Jahre 2002 hatte der Rat der Stadt Braunschweig mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD trotz aller Widerstände aus Fachkreisen und aus der Bürgerschaft eine Verlängerung der Start-/Landebahn des Flughafens Braunschweig-Wolfsburg beschlossen. Ziel war, die neue Bahn im Jahre 2004 in Betrieb zu nehmen. Mittlerweile jährt sich die Beschlussfassung zum sechsten Mal und nichts ist passiert. Statt dessen wurde in den vergangenen Jahren die Luftfahrtforschung in Hamburg rasant ausgebaut.
Die für einen Ausbau des Braunschweiger Flughafens erforderlichen Fördermittel der EU wurden nach Auskunft der Europäischen Kommission bisher weder beantragt noch genehmigt. Offenbar aus gutem Grund, denn mittlerweile hat die Sinnlosigkeit des Ausbaus schon bundesweite Aufmerksamkeit erregt: "Der Ausbau der Flughäfen Kassel-Calden als auch Braunschweig ist überflüssig, denn sie sind schwache Flughäfen der dritten Kategorie und Windmaschinen zur Verschwendung von Steuermitteln." heißt es da unter anderem.
Insbesondere befürchtet die Braunschweiger Bevölkerung eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Lebensgrundlagen, wenn der beabsichtigten Verlängerung der Start-/Landebahn bis zu ca. 60.000 Bäume zum Opfer fallen sollen, durch eine notwendige Umfahrung der verlängerten Start-/Landebahn längere Verkehrswege hinzunehmen wären und durch eine weiträumige Versiegelung von Flächen die ohnehin schon problematische Wasserhaltung und -führung in den benachbarten Ortschaften weiter belastet würde.
Noch im Jahre 2005 hatte der Geschäftsführer der Flughafengesellschaft die Begründung für eine Verlängerung der Start-/Landebahn in Braunschweig für mehr "Ferienflieger" geliefert: "Nur so lasse sich das Defizit des Flughafens Braunschweig-Wolfsburg von derzeit 1,2 Mio. Euro auf Dauer ausgleichen" (Financial Times Deutschland vom 21.10.2005). Die Entwicklung geht "auf Dauer" jedoch in eine ganz andere Richtung: So wird im Jahre 2009 das jährliche Defizit des Braunschweiger Flughafens bereits fast 2,5 Mio. Euro erreichen und sich damit innerhalb weniger Jahre verdoppelt haben. Mit Braunschweig vergleichbare Flughäfen sind ebenfalls seit Jahren defizitär - Tendenz steigend.
Alles in allem eine verfahrene Situation. Um der beabsichtigten Verlängerung der Start-/Landebahn doch noch Chancen einzuräumen, musste ein Strategiewechsel her. "Ausbau nur noch für die Forschung" hieß es von jetzt an bei den noch verbliebenen Ausbaubefürwortern. Folgerichtig meinte der Oberbürgermeister der Stadt Braunschweig auf Nachfrage nach dem ehemals geforderten Linien- und Charterverkehr nun: "Das halte ich für ausgeschlossen." (Braunschweiger Zeitung, 22. August 2008, Seite 23).
Also eine längere Start-/Landebahn nur für die Forschung? Immerhin ein fragwürdiges Unterfangen angesichts der mittlerweile geschaffenen Tatsachen:
- Konzentration der Flugerprobung bei der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) und bei Airbus in Hamburg.
- Als Ausgleich zum Ausbau der Luftfahrtforschung in Hamburg: Förderung der rechnergestützten Simulation von Luftfahrzeugen durch Airbus, DLR und Land Niedersachsen mit 30 Mio. Euro in den nächsten 15 Jahren in Braunschweig.
Die Ergebnisse der damit eingeleiteten Entwicklung in Hamburg werden in Veröffentlichungen des DLR sichtbar. So heisst es dort unter anderem:
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"Das neue Forschungsflugzeug ATRA des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), ein Airbus A320, bestand erfolgreich seinen ersten Testflug mit einem Brennstoffzellensystem, das versuchsweise zur Bereitstellung der Notstromversorgung eingesetzt wurde."
Anmerkung: Die Flugversuche fanden in Hamburg und in Toulouse und nicht in Braunschweig statt. - "Mit seinem Verbundvorhaben "Effizienter Flughafen 2030" sowie mit zusätzlichen Beiträgen zu einem weiteren Leuchtturmprojekt "Kabinentechnologie und innovative Brennstoffzellenanwendung" ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) maßgeblich am neuen Hamburger Luftfahrtcluster beteiligt. Der Luftfahrtstandort Hamburg wurde am Dienstag, 2. September 2008 als Gewinner beim Clusterwettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ausgezeichnet. über einen Zeitraum von fünf Jahren wird dieses weltweit drittgrößte Netzwerk der zivilen Luftfahrtindustrie und -forschung mit voraussichtlich 40 Millionen Euro gefördert. Das Projekt "Effizienter Flughafen 2030" bündelt unter Führung des DLR-Instituts für Lufttransportkonzepte und Technologiebewertung (Hamburg) eine Vielzahl unterschiedlichster Forschungsvorhaben aus den Bereichen Flughafenmanagement und Flugführung. Die gesamte Prozesskette soll an zukunftsweisenden Einzelmaßnahmen am Beispiel des Hamburger Flughafens optimiert werden."
- "In das Verbundvorhaben "Kabinentechnologie und innovative Brennstoffzellenanwendung" unter Federführung von Airbus bringt das DLR seine Erfahrungen und Kompetenzen in der Anwendung modernster Brennstoffzellennutzung ein. Relevant für das Vorhaben sind auch die mittlerweile umfangreichen Arbeiten aus dem Bereich der Kabinenforschung. Das Luftfahrtcluster der Metropolregion Hamburg zählt mit mehr als 36.000 Beschäftigten mittlerweile weltweit zu den drei größten Standorten im zivilen Luftfahrtbereich. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist in Hamburg neben dem Institut für Lufttransportkonzepte und Technologiebewertung auch mit der Abteilung "Luft- und Raumfahrtpsychologie" seines Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin vertreten. Diese Abteilung betreut im Rahmen einer umfangreichen Eignungsdiagnostik die Auswahl und in Teilbereichen das Verhaltenstraining von künftigen Piloten, Fluglotsen und Astronauten."
Im übrigen dürften die für die beabsichtigte Verlängerung der Start-/Landebahn des Braunschweiger Flughafens immer wieder bemühten angeblichen Gewichts- und Betankungsprobleme beim Airbus A320 des DLR kein Grund für die Flugversuche außerhalb Braunschweigs gewesen sein:
- Einerseits kann der Airbus A320 des DLR nach Angaben der Ausbaubefürworter angeblich in Braunschweig nur "leer" und "wenig betankt" fliegen.
- Andererseits wird munterer Flugverkehr zu weit entfernten Zielen von Braunschweig aus durchgeführt. So fliegen beispielsweise 147 Passagiere mit einer Boeing B737-700 von Braunschweig nach Luxor/Ägypten oder der Airbus A319 der Volkswagen AG bringt eine 26-köpfige Delegation des VFL Wolfsburg von Braunschweig nach Argentinien.
Es ist daher zu vermuten, dass die Musik für Forschungsflüge mit dem Airbus A320 des DLR in Zukunft nicht gerade in Braunschweig spielen wird und die beabsichtigte Verlängerung der hiesigen Start-/Landebahn kaum mit Forschungsflügen in Braunschweig, die über das bisherige Maß hinausgehen, zu begründen ist.