Der Armutsbericht ist ein Armutszeugnis für die SPD
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- Veröffentlicht: Donnerstag, 15. Juni 2017 19:54
- Geschrieben von Klaus Knodt
Wollten, hätten, könnten, würden – Worte, die häufig fielen, als die Braunschweiger Bundestagsabgeordnete Dr. Carola Reimann (SPD) ins AWO-Zentrum Frankfurter Straße zur Vorstellung und Diskussion des „Armuts- und Reichtumsberichts“ der Bundesregierung einlud. Trotz Podiums-Unterstützung durch Norbert Velten (Geschäftsführer Diakonie BS-Land) und Annette Schütze sowie Christiane Jaschinski-Gaus (SPD-Ratsfrauen) wurde es kein sozialdemokratischer Jubelabend. Kritik am Festhalten an den Hartz-IV-Gesetzen, an mangelnder Unterstützung für Familien, an existientiellen Rentenängsten und fehlender Förderung von bezahlbarem Wohnraum dominierten die Publikumsdiskussion.
Dr. Carola Reimann ist seit Dezember 2013 eine der sieben stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion und in dieser Funktion zuständig für die Bereiche Arbeit und Soziales, Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Also eigentlich eine Fachfrau, die den Kurs der GroKo parlamentarisch gestalten soll. Doch sie beklagt nur:
„Der aktuelle Bericht weist aus, dass Beschäftigte im oberen Bereich Reallohnsteigerungen verzeichnen konnten, im unteren Bereich gab es dagegen Verluste. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung besitzen 50 Prozent des Vermögens. Zwei Drittel der Hochvermögenden profitieren von Erbschaft und Schenkung. Nur jeder 10. Vermögende hat selbst gesagt, er habe sein Vermögen durch abhängige Arbeit erworben. Jedes fünfte Kind ist von Armut bedroht.“ Aha. Und was folgt daraus? Muss jetzt eine Vermögenssteuer her?
Reimann: „Das wollen wir über die Erbschaftssteuer regeln. Ich will keine Vermögenssteuer, die alle trifft. Das würde ja auch Wohneigentümer treffen.“ Als wenn man eine Vermögenssteuer nicht nach UNTEN deckeln könnte, wie man ja auch Vermögen von Hartz-IV-Empfängern nach OBEN deckeln kann!
Dafür sieht Reimann nach vier Jahren GroKo „weitere Herausforderungen“, die bislang nicht abgearbeitet wurden: „Wir wollen einen Finanztransaktionssteuer auch für Großunternehmen. Und wir brauchen noch was für RentnerInnen mit kleinen Einkommen, deshalb wollen wir auch eine Solidarrente ab 35 Beitragsjahren.“ Diese solle z.T. steuerfinanziert werden und Selbständige mit einbeziehen. Natürlich gäbe es dann ein Problem für Menschen, die wegen Krankheit frühzeitig aus dem Erwerb herausfallen, so Christiane Jaschinski-Gaus. Doch denen hilft Ratskollegin Annette Schütze: Es gäbe kommunal ein „Handlungskonzept sozialer Wohnraum“ und das „Bündnis für Wohnen“. Und schließlich: „Das Jobcenter versucht ja auch, die Leute vorzubereiten auf ein zufriedenstellendes Leben.“
Carola Reimann preist indessen den Mindestlohn, die Tarifeinheit, „Anreize für die Einführung von Betriebsrenten durch Arbeitgeber“ und die „Regulation bei Leih- und Werkverträgen“, die schon nach neun Monaten dem ausgeliehenen Kollegen an der Werkbank ein „Equal Pay“ mit Festangestellten garantieren würde. Warum aber gilt für Arbeitnehmer, die aus Hartz-IV kommen, kein Mindestlohn? Werden ehemalige Hartz-IV-Empfänger zu Lohndrückern für Arbeitsplatzbesitzer?
Dr. Carola Reimann: „Es gibt kein systematisches Lohndumping mit Langzeitarbeitslosen.“ Denn die Absenkung der Lohnuntergrenze „bei Hartz IV“ habe ohnehin „nichts gebracht“. Heißt auf Deutsch: Hartz IV, an dem die SPD mantrahaft festhält, ist gescheitert und bringt Niemanden in (unterbezahlten) Lohn und Brot.
Einer Sozialarbeiterin im Publikum ist das zuviel, sie steht auf und sagt: „Ich sitz auf meinem Frust, warum ändert sich nichts bei Hartz IV? Da wird Menschen einfach der Strom abgestellt, wo leben wir denn?“ Dann verlässt sie die Veranstaltung. Das Podium schweigt.
Und auch ein religiöses Mantra der CDU kommt in die Kritik: Warum unterstützt die SPD seit Beginn der Legislatur die strikte Austeritätspolitik ihres Koalitionsgegners CDU? Wolfgang Schäubles Glaube an die „schwarze Null“ ist bei Wissenschaftlern umstritten. Klaus Busch, Professor (i.R.) für Europäische Studien an der Universität Osnabrück und europapolitischer Berater der Gewerkschaft ver.di., befand 2014, „dass gerade die deutsche Politik der - im europäischen Kontext - weit überdurchschnittlichen Lohnmäßigung einen großen Beitrag zu den Leistungsbilanzungleichgewichten in der Eurozone leistete“, woraus „eine weitere Rezession“ nach der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 folgte. Und bemängelt: „Auch die schwarz-rote Bundesregierung setzt diesen wirtschaftspolitischen Kurs – trotz des konträren Wahlprogramms der SPD – in allen genannten Aspekten uneingeschränkt fort.“
Dr. Carola Reimann wischt die Frage lapidar zur Seite: „Das Ziel der ‚Schwarzen Null’ tolerieren wir, aber für uns als SPD ist das keine Doktrin.“ Aha. Gegenentwurf? Fehlanzeige.
Aber vielleicht agiert eine ausgewiesene Sozialpolitikerin in Wirtschaftsfragen ja auch etwas blauäugig.
Ein Abend, der manch Unzufriedene zurück ließ. Selbst Diakonie-Mann Velten übte Kritik: „Zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit sagt der Armuts- und Reichtumsbericht, das läge an den Vermittlungshemmnissen der Betroffenen. Das kann nicht wahr sein. Ich habe nie Jemanden getroffen, der keine Arbeit haben will. Prekäre Karrieren brauchen mehr Beistand und Beratung.“
Über die Frage, wie Reichtum anders verteilt werden kann, verloren die Podiumsteilnehmer kein Wort. War aber auch kein Reicher (Wähler) im Saal.