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Gebetsräume für Muslime an niedersächsischen Schulen?

Niedersachsen plant einen Vertrag mit muslimischen Verbänden, in denen es auch um Gebetsräume an Schulen geht. Dazu einige kritische Anmerkungen, die eher eine Diskussionsgrundlage sin.

Hintergrund ist ein Artikel in der Braunschweiger Zeitung vom 12. Dez. 2015 mit dem Titel „Kommen Gebetsräume an Schulen?“

Eigentlich sollte es ein „Staatsvertrag“ mit Muslimverbänden in Niedersachsen werden, so sah es der Koalitionsvertrag von SPD und Grünen 2013 vor. Nun wird es eher ein „Vertrag“, in dem es um religiöse Feiertage der Muslime, den Bau und Betrieb von Moscheen oder Regelungen für Friedhöfe geht. In Artikel 8 geht es auch um „Gebetsmöglichkeiten an öffentlichen Schulen“.

 

Die niedersächsische Kultusministerin, Frauke Heiligenstedt (SPD), drückt dabei aus, dass es sich „nicht um Gebetsräume nur für Muslime“ handelt. Warum diese Anmerkung, warum Gebetsräume in einem „Vertrag“ mit Muslimen, wo bleiben die anderen Kirchen? Etwas scheint suspekt zu sein an diesem Thema. Sicher, ein Vertrag, vielleicht auch „Staatsvertrag“ mit Muslimen ist zu befürworten, aber was bedeutet das konkret? Gibt es einen solchen Vertrag auch mit der jüdischen Kirche, mit Buddhisten?

Etwas Schiefes ist vielleicht überhaupt in diesem Thema. Nachdem im Sommer 2014 der Antrag von CDU und FDP auf Wiedereinführung des Buß- und Bettages als Feiertag mit Stimmen von SPD und Grünen abgelehnt wurde, schlugen sie ein halbes Jahr später die Einführung von muslimischen Feiertagen vor. Das wirkte merkwürdig, vielleicht geht es letztlich nur um Stimmen von muslimischen Wählern, die immer zahlreicher werden.

Andererseits hörte man kaum Proteste der evangelischen Kirche, als die Wiedereinführung des Buß-und Bettages abgelehnt wurde. Auch hinsichtlich eines Vertrages bzw. „Staatsvertrages“ mit Muslimen hört man keine Stimmen der christlichen Kirchen; sie dürften eher zustimmend sein.

Christliche Kirchen in Deutschland auf dem Rückzug

Gerade in der Debatte um die Wiedereinführung des Buß- und Bettages (aber auch des Reformationstages) ist die Kraftlosigkeit insbesondere der Evangelischen Kirche zu spüren. Nicht viel anders sieht es aber auch mit der katholischen Kirche in Deutschland aus. –

Seit der Wiedervereinigung, also seit 1990, treten jedes Jahr über 100.000 Menschen aus der evangelischen sowie aus der katholischen Kirche aus, im Jahr 2014 waren es sogar über 200.000 Menschen (aus jeder der beiden großen Kirchen). Und die Entwicklung scheint anzuhalten. Noch ist kein Ende dieser Entwicklung abzusehen.

Im Jahr 2012 gab es in Deutschland noch 24,3 Millionen Katholiken (30,2%) und 23,3 Millionen Protestanten (29,0 %). Seit 1970 ist dieser stete Rückgang zu beobachten (nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und der Schweiz; in den Niederlanden setzte die Entwicklung schon Anfang des 20. Jahrhunderts ein). Von 1871- 1970 war die Zahl von Christen in Deutschland relativ konstant; sie betrug ca. 96,4 %. Ab den 70iger Jahren begann die Entwicklung mit den Kirchenaustritten, die sich dann nach der Wende dramatisch erhöhte.

Was hat das mit der aktuellen Frage der Gebetsräume an Schulen zu tun?

Die christlichen Kirchen in Deutschland haben wahrscheinlich andere Probleme, als sich um Gebetsräume an Schulen zu kümmern. Sie müssen eher den Mangel verwalten und zusehen, ob sie Pfarrer, Kirchen und ein Gemeindeleben überhaupt noch aufrecht erhalten können. Ein besonderes Bedürfnis christlicher Schüler an Gebetsräumen ist jedenfalls nicht ersichtlich.

Dazu haben die christlichen Kirchen in Deutschland mit weiteren Problemen zu kämpfen; sei es Missbrauchsfälle, Misswirtschaft usw. Auch dadurch verlieren sie Mitglieder. Und wenn an Feiertagen wie Reformationstag oder Buß- und Bettag Vertreter aus Wirtschaft, Fußball oder Politiker die Predigt halten oder eine Schauspielerin, dann muss das nicht nur von Vorteil sein, sondern zeigt vielleicht auch, dass die Pastoren nicht viel zu sagen haben. So wird Himmelfahrt zum Vatertag (mit Besäufnis), der Reformationstag zum Halloween und Ostern als neuer Tag für Geschenke gefeiert.

Übrigens kommen in der evangelischen Kirche noch die Diskussionen um die antisemitischen Schriften von Luther hinzu, die diese Lichtgestalt der Reformation wesentlich trüben. Weniger bekannt sind noch die Ausfälle von Luther gegen missgebildete Kinder in den Tischreden, die mindestens genauso übel sind (und die in den Ermittlungen von Fritz Bauer zur NS-„Euthanasie“ ausführlich beschrieben sind – in seiner Anklageschrift gegen den Leiter der Euthanasie-Zentrale, Prof. Werner Heyde, von 1962).

Wo bleibt die Substanz der christlichen Kirchen? Gibt es diese noch, oder ist Gott schon tot, wie es Nietzsche gesagt hatte. – Kann die christliche Kirche in dieser Niedergangssituation überhaupt einen interreligiösen Dialog pflegen, oder geht es nur noch um Beliebigkeit. Da hat möglicherweise der Islam zur Zeit mehr zu bieten. In den 70iger und 80iger Jahren fuhren die jungen Leute, die auf der Suche waren, eben nach Indien, praktizierten Yoga oder Meditation.

Dass nun ausgerechnet eine Koalition von SPD und Grünen einen Vertrag mit Muslimen abschließen, nachdem sie die Wiedereinführung des Buß- und Bettages abgelehnt haben, überzeugt daher nicht.

Zum Kopftuch- Verbot

Im Januar 2015 gab es nun das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, dass das Tragen eines Kopftuches in Schulen doch möglich sei, wenn es nicht den Schulfrieden stört. Damit wurde das Urteil von 2003 revidiert. Nun ist es auch möglich, dass eine Richterin mit Kopftuch im Gerichtssaal ein Urteil spricht. Ein Fortschritt?

Die strikte Trennung von Staat und Religion wurde damit aufgehoben, eigentlich ein Rückschritt in die Zeit vor Atatürk. Das Kopftuch-Verbot in Schulen und Universitäten war ein wesentlicher Baustein, der zur Modernisierung der Türkei beigetragen hatte. Noch gibt es die Regelung in der Türkei. In Deutschland ist aber „Beliebigkeit“ zur Regel geworden. Was jemand in seiner Freizeit macht, ist jedem selber überlassen. Aber die Trennung von Staat und Religion sollte ein wichtiges Element bleiben, um die Freiheit des einzelnen zu schützen. Was ist, wenn eine Richterin in Burka auftritt? Ich hätte ein mulmiges Gefühl... Ein Rückschritt ins Mittelalter oder in die Steinzeit als Ausdruck von Toleranz und Beliebigkeit.

Auch ist das Tragen des Kopftuches nicht gerade ein Zeichen von Integration. Die Frau kann es tragen, ob freiwillig oder aus Druck, aber es ist ein Zeichen von Unterscheidung, von Selbst-Ausgrenzung. Dass das als Beitrag zur Integration angesehen wird, mag überraschen; es kann aber auch kritisch gesehen werden.

Nun kann man auch Verweigerung am Schwimmunterricht oder Sportunterricht als Integrationsleistung ansehen. Irgendwie scheint da aber etwas nicht zu stimmen.

Multikurelle Gesellschaft contra Multikulti

Eine Gesellschaft der Zukunft ist sicher eine multikulturelle Gesellschaft, in der Vielfalt und die Freiheit des einzelnen gelebt werden kann. Deutschland ist auf dem Weg dahin, aber es gibt noch viele Probleme. Vor allem fehlt ein Einwanderungsgesetz, dass es Menschen regulär ermöglicht, ins Land zu kommen; wobei auch das Land selbst Wünsche äußern kann, welche Präferenzen es legt. Aktuell wäre es so auch für viele Menschen aus den Westbalkan-Staaten möglich, nach Deutschland zu kommen, wenn sie eine entsprechende Qualifikation haben oder eine konkrete Arbeitsstelle.

Das Prinzip einer mulitkulturellen Gesellschaft ist der Pluralismus, ein Prinzip, das auch rechtlich verankert sein sollte. Offenheit. Toleranz und Freiheit sind wichtige Kennzeichen.

Das Gegenbild einer solchen multikulturellen Gesellschaft ist „multikulti“. Hier geht es nur um Vielfalt ohne jegliche Kritik. Alles wird zugelassen; Kritik ist nicht möglich: Man ist sonst Rassist. Der Rassismus mancher Migranten ist kein Thema. Wenn etwas schief läuft, ist immer die eigene Gesellschaft schuld. Dass es z.B. bei der Integration auch Probleme auf der andern Seite gibt, bei Migranten, kann nicht erwähnt werden. Insofern ist „multikulti“ kein Fortschritt, sondern Ausdruck von Beliebigkeit.

Forderungen an Migranten werden als Zumutung erlebt. Es gibt kein „Fördern“ und „Fordern“, nur ein „Fördern“. Das führt aber letztlich eher zu neuen Problemen, da keine Integrationsleistung erbracht werden muss. – Gerade in Hinblick auf muslimische Migranten kann es da besondere Probleme geben, da islamische Migranten oft ein anderes Integrationsverhalten zeigen als andere Migranten. Auweia, das darf nicht gesagt werden... Man denke an Osteuropäer, Inder, Vietnamesen, Koreaner, die durchaus auch in der Schule oft ein anderes Verhalten und eine andere Leistungsbereitschaft zeigen. Allerdings darf man nicht verallgemeinern: natürlich gibt es auch hervorragende Leistungen unter muslimischen Schülern und Studenten.

Die große Aufgabe ist eine Reform des Islam

Nun kommen auch mit den Flüchtlingen eine große Zahl von Muslimen ins Land. Sie kommen aus Not und sollten integriert werden. Sie sind Bürgerkriegsflüchtlinge, die dem Asylstatus gleichgestellt sind. Wenn die Wirtschaft nach mehr „Flüchtlingen“ ruft, weil sie mehr Arbeitskräfte benötigt, ist das schon merkwürdig und höhlt eigentlich das Asylrecht aus. Dafür ist ein Einwanderungsgesetz nötig und nicht das Recht auf Asyl.

Für den deutschen Staat ist gerade die Integration von Muslimen eine große Aufgabe. die nicht ganz einfach ist. Vielleicht stellen sich die Probleme auch erst in der 2. oder 3. Generation, wenn einige oder auch viele feststellen, dass sie nicht richtig in der Gesellschaft angekommen sind, dass sie doch andere Vorstellungen von einer freiheitlichen Gesellschaft hatten.

Umgekehrt bedeutet für viele Muslime die Situation in Europa bzw. in Deutschland eine neue Erfahrung und ist vielleicht mit der jüdischen Diaspora vergleichbar. Traditionell lebten die Muslime immer in Gesellschaften, in der sie die Mehrheit waren und die Kultur prägten. Nun sind sie eine Minderheit und erleben eine andere Form der Auseinandersetzung. dabei gibt es sicherlich zwei Möglichkeiten: entweder mit Rückzug zu reagieren (in eine eigene Parallelwelt) oder sich auf Entwicklung einzulassen. Gerade das letzte wäre eine große Chance auch für Muslime.

Das eigentliche Kernproblem in den islamischen Ländern ist die Rückständigkeit, sei es in technischer, wirtschaftlicher oder kultureller Hinsicht, die auch mit dem Islam zusammenhängt, der lange Zeit zur Stagnation in den Länden geführt hat. Das war nicht immer so, im frühen Mittelalter waren gerade die islamischen Länder den christlichen Ländern voraus, sei es in Medizin, Mathematik, Astronomie usw. Dann setzte im 12., 13. Jahrhundert ein Einbruch ein (durch Kreuzzüge, Mongolensturm usw.) und in der frühen Neuzeit wurde der Anschluss an die Moderne verpasst (trotz Aufstieg des Osmanischen reiches ab dem 15. Jahrhundert).

Der Koran wurde statisch ausgelegt, und führte dazu, dass der Buchdruck erst 300 Jahre später in islamischen Ländern eingeführt werden durfte. Gerade der Buchdruck hat die wesentlichen Neuerungen wie Reformation, Renaissance befördert und neue Wirtschaftsweisen ausgebildet. Diese Entwicklungen hat quasi der Islam verschlafen, insbesondere das Osmanische Reich war am Ende des 19. Jahrhunderts auf einem Tiefpunkt angelangt, dass es nun Spielball ausländischer Mächte wurde. Der Kolonialismus in den islamischen Ländern war nur möglich durch die selbstverschuldete Stagnation, die jetzt sozusagen in einem Eiltempo wieder korrigiert werden soll. Die Erinnerung an die Zeit des frühen Mittelalters ist in islamischen Ländern noch sehr präsent, an die möchte man wieder anknüpfen.

Man kann nur hoffen, dass dies auf einem friedlichen Weg geschieht. Die gegenwärtigen Entwicklungen mit Dschihad und Islamischen Staat sind da eher bedenklich. Es sind Versuche, sich wieder auf das Eigene zu besinnen. Wirklicher Fortschritt ist aber immer mit Freiheit gekoppelt, auch das gilt es entsprechend zu entwickeln.

Zur Frage von Gebetsräumen an Schulen

Die Einrichtung von Gebetsräumen an Schulen scheint mir eher fragwürdig zu sein. Man scheint hier eher einer Forderung von Islamverbänden nachzugeben, wo man nicht weiß, was als nächstes kommt. Wird ein getrennter Sport- und Schwimmunterricht für Jungen und Mädchen als nächstes gefordert, die Teilnahme an Klassenfahrten in Frage gestellt usw.

Gebetsräume können durchaus in Moscheen eingerichtet werden; wer möchte, kann es auch in seiner eigenen Wohnung tun. In einer Schule ist es schon merkwürdig und kann eher zu Vorurteilen und Ablehnung führen. Dass ausgerechnet die SPD und Grünen dafür eintreten, muss nicht mit ihrem besonderen Hang zur Religiosität oder zur Religionsfreiheit zusammenhängen. Es scheinen eher taktische Gründe zu sein, möglicherweise mit weitreichenden Folgen.

Aber wir leben in einer Zeit, wo nun auch die Linke anfängt, im Bundestag die Bibel zu zitieren (Lukas 2,7). Bahnt sich da plötzlich eine neue Religiosität an? SPD und Grüne entdecken Muslime als potentielle Wähler, und die Linke nun gar Christen?

Vielleicht sollte man wirklich bei der klaren Trennung von Staat und Kirche bleiben. Das würde auch in Zukunft manches einfacher machen ... und die Gesellschaft vielleicht etwas friedlicher.

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