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Generalstaatsanwalt Fritz Bauer verschonte Nazi-Richter

In der TAZ und auch in der Frankfurter Rundschau standen am 26.10.2015 folgende Artikel:

"Fritz Bauer verschonte Nazirichter"

"Aktenfund Nazijäger Fritz Bauer stellte rund 100 Verfahren ein, so ein Exrichter des OLG Frankfurt"

"Fritz Bauer bleibt mein Held"

Dieser Sachverhalt geht aus Unterlagen hervor, die der frühere Vorsitzende Richter am Frankfurter Oberlandesgericht, Georg D. Falk, ausgewertet hat.

Ich fragte Dr. Helmut Kramer, den ehemaligen Richter am Oberlandesgericht Braunschweig und engagierten Forscher und Rechtshistoriker nach seiner Einschätzung. Denn ich war schon überrascht, weil ich Fritz Bauer anders wahrgenommen hatte, der u. a. auch konsequent gegen Verbrecher in den Roben vorging, die in der Nazizeit Terrorurteile ausgesprochen hatten. Helmut Kramer sagte zu mir, dass er den Richter und Autor Herrn Georg D. Falk gut kenne und schätze, und er zudem seit Jahren im Austausch mit ihm stehe.

Ich bat Helmut Kramer seine Sicht der Dinge zu veröffentlichen. Zunächst schrieb er als Reaktion auf den Artikel einen Leserbrief an die TAZ. Und dann ein Vorwort zu seinem TAZ-Leserbrief über den Beitrag von Richter Georg D. Falk zu Fritz Bauer für den Braunschweig-Spiegel.

Vorwort

45 Jahre nach seinem Tod und nachdem scheinbar alles über ihn gesagt war, gibt es in letzter Zeit wieder besondere Aufmerksamkeit für Fritz Bauer. Erst waren es zwei Filme mit dem Versuch, sich in die Person von Fritz Bauer einzufühlen. Nun hat Georg D. Falk (Vorsitzender am OLG Frankfurt i. R.) in der vom Fritz Bauer-Institut herausgegebenen Zeitschrift Einsicht Nr. 14 (September 2015) ans Licht gebracht, dass Fritz Bauer in mehr als 100 Fällen Verfahren gegen an NS-Unrechtsurteilen beteiligte Richter und Staatsanwälte eingestellt hat.

Dazu gehört auch die justizförmige Ermordung der Lemberger Polin Stanislawa Janczyszyn durch das Sondergericht Lemberg im polnischen Galizien im Jahre 1943. Die 37-jährige Stanislawa hatte aus Mitleid den dreieinhalbjährigen Marian Frischmann selbstlos bei sich aufgenommen und versorgt. Seine zur Zwangsarbeit inhaftierten jüdischen Eltern mussten ihn mittel-, wohnungs- und schutzlos in Lemberg zurücklassen. Was Stanislawa getan hatte, war nach einem für das Generalgouvernement geltenden Gesetz todeswürdige „Unterschlupfgewährung“.

Übrigens sind in jenen Jahren Dutzende, wohl sogar Hunderte solcher Justizmorde wegen „Unterschlupfgewährung“ von der deutschen Justiz nicht verfolgt worden, ebenso sogar in der Tschechoslowakei, wo es dafür nicht einmal einen Wisch von gesetzlicher Grundlage gab.

Im November 1963 veranlasste die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt unter Fritz Bauer umfangreiche Ermittlungen gegen die an dem Urteil gegen Stanislawa beteiligten Richter und Staatsanwälte. Am 27. Februar 1964 unterzeichnete Fritz Bauer die von einem Mitarbeiter entworfene Einstellungsverfügung. Er muss sie gründlich durchgelesen haben, denn er formulierte die Begründung so, dass sie den Anzeigeerstatter, den Vater des ermordeten Jungen, nicht zusätzlich kränkte.

Georg Falk bedauert, dass „ausgerechnet Fritz Bauer, der immer wieder gegen die Unzulänglichkeiten der rechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechen ins Feld gezogen ist, seinerseits bei unter Mitwirkung ‚von kleinen Staatsanwälten, von kleinen Landgerichtsräten‘ gefällten Todesurteilen den Kampf nicht wirklich aufgenommen hat“. Heute muss ich mir vorwerfen, dass ich in den vielen Gesprächen mit Georg Falk (darunter auch anlässlich der Podiumsdiskussion bei der Aufführung des Films Dem Unrecht auf der Spur. Der Richter Helmut Kramer am 30. September 2013) anscheinend nie ausführlich von dem von Fritz Bauer in Braunschweig geführten Kampf gegen die Richter des Sondergerichts Braunschweig wegen des Todesurteils gegen Moritz Klein berichtet habe.

Im Jahre 1951, schon wenige Wochen nach seinem Dienstantritt in Braunschweig, hatte Fritz Bauer sich in das damals längst laufende Anklageverfahren gegen die an dem Todesurteil beteiligten Richter des Braunschweiger Sondergerichts mit großem Engagement und Verve eingeschaltet. In diesem Kampf war er bei dem Braunschweiger Strafsenat gescheitert. Vorsitzender des Strafsenats war Dr. Hans Meier-Branecke. Der war noch wenige Jahre zuvor einer der allerhöchsten Wehrmachtsjuristen gewesen, somit ein Antipode zu dem Emigranten und Widerstandskämpfer Fritz Bauer. Wenn die Fritz Bauer-Forschung von dem Engagement im Kampf gegen die Schreibtischmörder von Moritz Klein bislang wenig Kenntnis genommen haben, wäre es jetzt umso notwendiger, dass die Braunschweiger Lokalhistoriker sich endlich mehr um diesen interessanten Fall bemühen. Oder liegt vielen Fritz Bauer-Fans mehr an einer zum Zweck der eigenen Selbstdarstellung instrumentell genutzten und entmenschlichenden Idealisierung von Fritz Bauer?

Fritz Bauer ging es um Aufklärung über die Ursachen der Massenmorde und der faschistischen Herrschaft. Neben den „großen“ Themen – Widerstand mit dem Remer-Prozess und der Holocaust als Gegenstand des Auschwitz-Prozesses – konnte ihm die Auseinandersetzung mit den Juristen weniger vordringlich erscheinen. Von einigen Ansätzen in der Zeit vor 1945 abgesehen, kritisierten auch progressive Beobachter mehr skandalöse einzelne Unrechtsurteile, weniger aber die überragende Funktion der Justiz als Stützpfeiler bei der systematischen Legalisierung und Stabilisierung des NS-Unrechts. Eine umfassende Einsicht in diese Funktionen entwickelte sich erst ab 1968 und in den Jahren danach. Auch mir selbst sind diese Zusammenhänge erst nach und nach klar geworden, in der Zusammenarbeit mit befreundeten Justizkritikern.

Über den Aufsatz Georg Falks ist am 05. November 2015 ein kurzer Bericht in der taz erschienen. Diesen Bericht und den in der taz vom 09. November 2015 abgedruckten Leserbrief von Helmut Kramer sind oben verlinkt.

Am 03. September 2015 gab es im Lessing-Haus der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel ein Gespräch von Helmut Kramer mit Claus-Dieter Klein, dem Enkel von Moritz Klein. Darüber hat der Vorsitzende des Forum Justizgeschichte, Ralf Oberndörfer in der Rundmail 6/2015 vom 21.09.2015 des Forum Justizgeschichte berichtet (Anlage).

Ein existenzieller Prozess

Von Michael Brumlik

Neues zum Fall des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer: Er hat Verfahren gegen NS-Juristen eingestellt. Tragik oder der Wille zum Rechtsstaat?

 

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