„Die letzten Tage der Menschheit“
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- Veröffentlicht: Sonntag, 11. Mai 2014 22:28
- Geschrieben von Ingeborg Gerlach
Erich Schaffner sprach und spielte 48 Szenen aus Karl Kraus´ Antikriegsdrama
„Die letzten Tage der Menschheit“
Das Staatstheater hatte den Vorschlag des Braunschweiger Friedenszentrums, zum hundertsten Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges Karl Kraus´1922 erschienene tiefschwarze Satire „Die letzten Tage der Menschheit“ ins Programm aufzunehmen, nicht einmal in Erwägung gezogen. Der Schauspieler Erich Schaffner hingegen brachte das „unspielbare“ Stück am 9. Mai im Alleingang auf die Bühne der Neuen Oberschule, was allein eine kaum wahrhaft ungeheure Konzentrations- und Regieleistung darstellt. Eingeladen hatte der überparteiliche „Arbeitskreis 1913-2014“, kurz AK 13, der sich bereits im vergangenen Jahr durch monarchiekritische Veranstaltungen der Victoria-Luise-Kultur der Stadtverwaltung entgegengestellt hatte.
Kraus´ monumentales Stück beruht weitgehend auf Realität „Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen, ich habe gemalt, was sie taten. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden, die grellsten Erfindungen sind Zitate“, gibt er zu Protokoll. Kraus hat aufgespießt, was an Unverantwortlichem in und zu diesem Krieg gesagt wurde, und er entlarvt so durch Sprache die Kriegstreiber, die Opportunisten und die Mitläufer jeder Art und Sorte. Sein Hauptmittel ist die Unangemessenheit der Gesagten im Verhältnis zu dem Ungeheuren, was geschieht. Für Verharmlosung und Beschönigung des massenhaften Sterbens ist nicht nur die Presse zuständig (man wünscht sich einen, der den Medien von heute entsprechend ihr Fett gibt!), sondern auch die Militärs und die Bürger aller Schichten, Männlein wie Weiblein. Auch die Geistlichkeit und die Literaten, die alle den Krieg als heilsam gepriesen haben, bleiben nicht ungeschoren. Je weiter der Krieg und mit ihm der Hunger voranschreitet, desto barbarischer werden die Menschen.
Am Ende steht allerdings nicht, wie in der Buchausgabe des Werks, Gott, der beteuert, er habe das nicht gewollt. Schaffner beendet seine furiose Parforce-Tour mit dem letzten Wiener, der, der vor der Pestsäule, dem „Herzen Wiens“, stehend, noch immer „Genuss“ verlangt. Man kann das so machen; die eher gemessene, von vielen Hantierungen unterbrochene Sprechweise des Allroundkünstlers passte dazu. Man hätte das Ganze aber auch schärfer angehen und dadurch das Unfassbare dieser allgemeinen Gleichgültigkeit deutlicher herausarbeiten können. Vielleicht war das für Schaffner zu wenig der österreichischen Mentalität angemessen: In den Partien, in denen Deutsche auftraten, wurde scharf und schneidig gesprochen. Etwas mehr davon hätte man sich angesichts der allgemeinen Phrasendrescherei, die einem auch hundert Jahre später sehr vertraut vorkommt, auch sonst gewünscht. Der politische Charakter des Stückes wäre dann noch deutlicher akzentuiert worden.
Dennoch: Starker und verdienter Beifall des erstaunlich zahlreich erschienene Publikums, das sich trotz Regen und Kälte vom Besuch nicht hatte abhalten lassen.