Buchbesprechung: Asse II-Geschichte auf SPDisch

Der SPD-Unterbezirk Wolfenbüttel hat zum 150. Jubiläum der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ein Buch herausgegeben. Ein an sich lobenswerter Beitrag zur Geschichte dieser Region. Tatsächlich enthält das Buch zwei sehr interessante Beiträge von Gerd Biegel und Rudolf A. Fricke zur SPD-Geschichte bis zum Ende des "Dritten Reiches".

Biegel berichtet in kräftigen Details über die Geschichte der SPD bis zum Ersten Weltkrieg mit auch in der Partei bisher wenig bekannten Bezügen zur Region Braunschweig und Wolfenbüttel: Zwei Namen, wer kennt sie noch?: Wilhelm Bracke und Samuel Spier.

Rudolf A. Fricke dokumentiert die Entwicklung nach der Revolution 1918 und ermöglicht es dem Leser und der Leserin, die mühevolle Entwicklung vom Durchsetzen des Frauenwahlrechts bis zu SPD-Regierungen im Freistaat Braunschweig nachzuvollziehen. Die mühsam aufgebaute Demokratie wird brutal zusammengehauen und eliminiert. In Wolfenbüttel gründen die Nationalsozialisten bereits im November 1922 die erste NSDAP-Ortsgruppe der Region und schaffen der Lessingstadt Wolfenbüttel einen neuen Beinamen: Keimzelle des Nationalsozialismus in Norddeutschland.

Im dritten Beitrag "Demokratischer Neubeginn - 1945-2013" verpasst der Autor Gundolf Algermissen weitgehend die in dem Titel  enthaltene Absicht. Ein kleines Beispiel: Das Ende des "Großdeutschen Reiches" wird als "Zusammenbruch" bezeichnet. In einem Buch der SPD, deren Mitglieder von den Nationalsozialisten unterdrückt und zum Teil ermordet worden sind, hätte ich auch den Begriff "Befreiung" erwartet. Fehlanzeige. Ein Manko ist die Aneinanderreihung der Ergebnisse von Bundestags- und Landtagswahlen. Die wohl ebenso wichtigen Kommunalwahlen, zum Beispiel die Kreistagswahlen, finden nur statistisch das Interesse des Autors. Beschreibungen zum Engagement einzelner Genossen verlieren sich zum Teil in Anekdoten wie z.B. über einen Mord in Weddel und dem Besitzanspruch eines Warler Kommunalpolitikers, der dort meinte: Ich glaube, Warle gehört auch ein Stück mir.  Kritische Anmerkungen zur SPD-Kommunalpolitik? Fehlanzeige.

Ein besonderer Tiefpunkt des Buches ist unter dem obigen Titel ein gut zweiseitiger Beitrag mit der Überschrift Dauerthema Asse (siehe Anlage). Unter so einem Titel könnte man die Geschichte der SPD des Landkreises Wolfenbüttel von einer früheren Unterstützung der Atommülldeponie bis hin zur Gegnerschaft mit konstruktiven und erfolgreichen Engagements einiger SPD-Mitglieder zur Lösung des größten Umweltproblems Niedersachsen vermuten würde. Fehlanzeige.

Der Autor hat sich nicht z.B. mit Heike Wiegel und Udo Dettmann und anderen Engagierten zusammengesetzt, um einen geschichtlich zutreffenden Beitrag vorzubereiten - zu einem Thema, das die SPD vor Ort immerhin fast 50 Jahre beschäftigt. Einer der seinerzeit einflussreichsten SPD-Politiker, Helmuth Bosse, wird zu diesem Thema nicht einbezogen. Über ihn gibt es nur eine Faktenbiographie, in der der Begriff "Asse" unerwähnt bleibt.

Der Autor zog es vor, dafür Siegbert Pfeiffer zu Wort kommen zu lassen. Pfeiffer arbeitete seit 1983 bis zu seinem Ruhestand für die GSF in der Atommülldeponie und war ein führender SPD-Kommunalpolitiker in der Samtgemeinde Asse. Er gehört zu den Kommunalpolitikern, die für die Katastrophe in der Asse politische Verantwortung mittragen.

Daher gerät der Artikel, in dem ein anderer Hauptverantwortungsträger, der einstige Landrat Helmuth Bosse und SPD-MdL nicht genannt wird, sondern vielmehr Hans-Dietrich Genscher (FDP) und Norbert Röttgen (CDU), eher zu einer Desinformation als zu einer Dokumentation. Konkret erfährt man, dass die Samtgemeinde Asse in Pfeiffers kommunalpolitischer Amtszeit die kameralistische Buchführung eingeführt hat und dass Pfeiffer im Schacht daran beteiligt gewesen war, herauszufinden und zu begründen, wie das Steinsalz auf die Wärme reagiert, die durch strahlende Materie erzeugt wird.

An anderer Stelle werden weitere Politiker kurz erwähnt: Wilhelm Schmidt, ehemals SPD-MdL und MdB, der in Bonn versucht habe, die Atommülllagerung im Schacht "Asse" zu verhindern. Eine Information, die so bisher noch nicht publiziert worden ist. Ansonsten wird der ehemalige Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) (mehrfach erwähnt: Albrecht in den Schacht - und dann wird er zugemacht.

Über die führenden Politiker der SPD aus Bonn und Hannover (Volker Hauff, Horst Ehmke, Hans Matthöfer, Andreas von Bülow, Edelgard Buhlmann u.v.a.m, die alle die Atommülldeponie besucht haben) erfährt man leider nichts. (vgl: http://www.spurensuche-meinung-bilden.de/index.php?id=4&topic=1&key=24)

Dieser Beitrag ist eine Unfreundlichkeit gegenüber den Menschen, die sich seit vielen Jahren für eine gesundheitsfördernde Lösung des Asse-Problems - des größten Umweltproblems in Niedersachsen - engagieren, besonders aber für die "Aktivisten" und vor allem "Aktivistinnen", die dieses Thema unter Mühen vor ein paar Jahren im Bewusstsein der Menschen des "Wolfenbütteler Landes" verankert haben.

Die SPD hat sich mit diesem absurden Beitrag Schaden zugefügt. Zu hoffen ist, dass dieser Beitrag nicht die anderen gut recherchierten und gut geschriebenen Beiträge von Biegel und Fricke beschädigt. Man sollte das Buch dennoch kaufen - in der SPD Geschäftsstelle am Wolfenbütteler Bahnhof. Beunruhigend ist jedoch, dass der Asse-Artikel mit dem Buch langfristig Bestand haben wird und sich Menschen in zehn Jahren möglicherweise daran orientieren. Das Dauerthema Asse dokumentiert die geringe Bereitschaft einiger SPD-Kreise, Geschichte ernst und genau zu nehmen und vor allem auch selbstkritisch eigenes Handeln zu begleiten. Der SPD-Unterbezirk sollte hierzu Stellung beziehen.

Das Buch:

150 Jahre SPD im Wolfenbütteler Land, SPD-Unterbezirk Wolfenbüttel, Wolfenbüttel 2013, 180 Textseiten, 10 Euro

Das Buch wurde gefördert durch die Curt Mast-Jägermeister-Stiftung. Curt Mast gehörte 1933 zu den Kommunalpolitikern, die der ersten rein nationalsozialistischem Wolfenbütteler Stadtverordnetenversammlung für mehrere Jahre angehörte.