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"Die den Sturm ernten" - Michael Lüders über Syrien und den Westen

BR – 7.3.2017

Ein Diktator im Kampf gegen sein Volk - und der Westen, der auf die Eskalation nur reagieren kann: Dieses Bild vom Syrienkrieg ist falsch, so Nahost-Experte Michael Lüders. Die USA und Europa sind Akteure in der Vorgeschichte dieses Krieges.

Wenn "der Westen" auf den Krieg in Syrien blickt, dann sehr oft mit Blick auf die Wirkungen, die dieser Krieg auf eben diesen Westen hat. Er hat Millionen aus ihrer Heimat vertrieben, die als Flüchtlinge auch in Europa und Nordamerika eine sichere Bleibe suchen. Und er hat als Eskalation in der Region auch den islamistischen Terror eskaliert - der durch Attentate in Brüssel oder Paris Gewalt und Verunsicherung in europäische Städte getragen hat. Aus dieser Perspektive "importiert" sich also ein ferner Konflikt in unsere Gesellschaften. Aber hat nicht auch umgekehrt der Westen eine wesentliche Rolle in der Vorgeschichte des Syrienkriegs gespielt?

Die Komplexität eines Konflikts

Hat er, so lautet die These des neuen Buchs von Michael Lüders. Die USA und ihre Verbündeten belieferten zu Beginn der Revolte ausgerechnet Dschihadisten mit Waffen, so Lüders, denn ihr Ziel war schon lange, das Assad-Regime zu stürzen. Diese durchaus problematische Zusammenarbeit hat offenbar keine "Auswirkungen auf die westliche Rahmenerzählung der Ereignisse in Syrien", schreibt Lüders.

Diese Erzählung hat den Diktator Assad auf der einen und das um seine Freiheit kämpfende Volk, unterstützt vom Westen, auf der anderen Seite. Wie komplex dagegen die Realität ist und wie wenig die starken Bilder des Bürgerkriegs diese Komplexität erklären können, wird am Fall des Fotografen Mahmud Raslan deutlich. Er machte das Foto eines kleinen verletzten Jungen namens Omran, der staubbedeckt und blutverschmiert nach einem Angriff auf Aleppo in einer Ambulanz sitzt. Das Bild ging um die Welt als Ikone des Widerstands gegen die syrische Regierung und Sinnbild ihrer Verbrechen an der eigenen Bevölkerung. Doch Raslan gehört nicht nur in diese Geschichte: Er posierte für Fotos mit genau jenen Milizionären der islamistischen "Harakat Nur ad-Din as-Sanki", die einen Monat zuvor einen Zwölfjährigen als "Kriegsgefangenen" und Assad-Unterstützer für ein Propagandavideo enthauptet hatten.

Die Strategie des Regimewechsels von außen

Das Erstarken dschihadistischer Milizen ist nicht nur in Syrien die Folge einer Politik des Regimewechsels von außen, die der Westen und vor allem die USA schon seit Längerem betreiben. Diesen Zusammenhang zu untersuchen und zu benennen, bedeutet nicht, die syrische Regierung zu entlasten. "Die Verbrechen Assads sind offenkundig", schreibt Michael Lüders im Vorwort zu seinem Buch, "doch ersetzt die moralische Anklage nicht die politische Analyse". Und die Syrienpolitik der USA gehört für Lüders in eine Reihe mit vergleichbaren Fällen.

 "In Syrien haben die USA ihre Politik des regime change fortgesetzt, die in den letzten Jahren auch im Irak, in Libyen und, verdeckt, im Jemen betrieben wurde und wird. Nicht zu vergessen Afghanistan, wo nach den Attentaten vom 11. September 2001 der 'Startschuss' fiel. [...] Regime change ist das moderne Gesicht des klassischen Staatsstreiches. Auf dem Gebiet macht den USA niemand etwas vor. Insbesondere in Lateinamerika, Afrika, West- und Ostasien, aber auch in Europa - also weltweit - haben sie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit Hilfe direkter und indirekter Interventionen (militärischen, paramilitärischen, Attentaten, Putschen oder Putschversuchen, Propaganda) stets dafür Sorge getragen, dass ihnen unliebsame Politiker und Regime unter Druck geraten und beseitigt werden. Eine wesentliche Rolle kommt dabei den Geheimdiensten zu, vor allem der CIA."

Verfehlte Interventionspolitik

In seinem neuen Buch untersucht Michael Lüders auch die weiter ausgreifende Vorgeschichte der gegenwärtigen Situation. Dazu gehören amerikanische Putschversuche in Syrien aus den Jahren 1940er- und 1950er-Jahren, die fehlschlugen und dazu beitrugen, dass sich Damaskus der Sowjetunion zuwandte. Fernwirkungen dieser Konstellation sind bis heute spürbar.

Michael Lüders, Islamwissenschaftler, Politologe und langjähriger Nahost-Korrespondent der ZEIT, lebt als Publizist und Politikberater in Berlin. Den Titel seines neuen Bandes entlehnt er dem Alten Testament: "Wer Wind sät, wird Sturm ernten", heißt es im Buch Hosea. Mit dem ersten Teil des Zitats überschrieb Lüders bereits vor zwei Jahren ein Buch über westliche Interventionen im Nahen und Mittleren Osten, nun untersucht er unter dem Titel des zweiten Teils des Bibelverses spezieller den westlichen Beitrag zum Konflikt in Syrien. In dieser Titelwahl könnte eine starke Behauptung liegen, die "den Westen" zum alleinigen Akteur machen wollte. Das ist natürlich nicht gemeint: Es geht nicht darum, die Kriegsführung Assads oder seiner russischen Verbündeten zu verharmlosen - doch eine solche Verharmlosung wäre auch kein starkes Vorurteil, gegen das man im Westen anschreiben müsste. Umgekehrt ist der große Anteil des Westens an der Internationalisierung und damit auch der Eskalation des Konflikts kein prominentes Thema in der medialen und politischen Beschreibung des Krieges. Dabei hat sich bereits im Irak mehr als deutlich gezeigt, dass ein von außen unterstützter Regimewechsel zum Staatszerfall und damit zum Erstarken des radikalen Dschihadismus etwa des "Islamischen Staats" geführt hat. Die verfehlte Interventionspolitik im Namen eigener geostrategischer Interessen kann die Geister, die sie gerufen hat, längst nicht mehr bändigen.

 

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