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Guardian: "So wird Demokratie geschreddert"

Die Attac-Aktivistin Barbara Vollhard aus Freiburg steht in einem Mailbriefwechsel mit Thomas Hauser, den Chefredakteur der Badischen Zeitung, die in Südbaden (von Offenburg über Freiburg bis Lörrach) quasi das Monopol hat. Dieser Beitrag als Mail an Thomas Hauser geht stärker auf die Rolle der Medien ein, auf den drohenden Verlust der Pressefreiheit, und vor allem, wie viel gefährlicher CETA ist als TTIP. Sehen sie auch diese Webside, die sich aber nur auf TTIP bezieht: http://know-ttip.eu

Sehr geehrter Herr Hauser,

Ihr hervorragender Leitartikel zum Thema NASA/Überwachung am Jahresende ermutigt mich, Sie heute um Ihre verstärkte Aufmerksamkeit für ein Thema zu bitten, dass noch gefährlicher ist: die Freihandelsabkommen der EU mit Kanada einerseits (CETA) und den USA andererseits (TAFTA/TTIP). Das TTIP wurde dankenswerter Weise schon vor einigen Wochen einmal von der Badischen Zeitung angesprochen, mit einem Gastbeitrag von Wolfgang Kessler (Chlorgebadete Hühnchen …). Jedoch wurde dabei nur ein Teil der Gefahren erwähnt, die uns von diesen Abkommen her drohen, so vor allem der mögliche Import von genveränderten Organismen (Samen, Nahrungsmittel).


Tatsächlich aber ist durch beide Abkommen die Demokratie in Gefahr: Sie würden nämlich die legislativen Entscheidungsmöglichkeiten der Parlamente in Europa (sowohl des EP als auch der nationalen bis hin zu den kommunalen Parlamenten) massiv einschränken. Hier ein konkretes Beispiel:

Stellen Sie sich bitte das folgende Szenario vor: Ein US-Investor kauft ein größeres Gelände auf der Freiburger Gemarkung und errichtet darauf eine Giftmülldeponie. Großer Protest aus der BürgerInnenschaft, der Gemeinderat ist strikt dagegen, aber die Stadt kann leider nichts dagegen tun. Undenkbar?

Keineswegs! Nicht jedenfalls, wenn die zur Zeit im Geheimen (!) verhandelten Abkommen CETA und TTIP Wirklichkeit werden. Und zwar aus folgendem Grund: Bei solchen internationalen Wirtschaftsabkommen wird inzwischen immer häufiger ein einseitiges geheimes Investorklagerecht gegen Staaten vorgesehen, und das ist auch für diese beiden Abkommen geplant. Genaueres dazu weiter unten, aber jetzt erstmal zum obigen Szenario: Im Rahmen des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA (aus dem wir viel lernen können), bei dem dieses Investorklagerecht ebenfalls installiert ist,  hat das für solche Klagen zuständige Schiedsgericht die mexikanische Regierung zur Zahlung von 15,6 Millionen Dollar Strafe verurteilt, weil eine mexikanische Kommune einer US-Firma die Baugenehmigung für eine Giftmülldeponie aus Umweltschutzgründen verweigert hatte. Das Gericht befand, die Kommune habe nicht das Recht dazu.

Das und noch viel mehr kommt auf uns zu, wenn CETA und TTIP in Kraft treten sollten, und es sieht alles danach aus, dass das geschehen wird.  Ziel dieser Abkommen und des in beiden ebenfalls vorgesehenen Investorklagerechts ist, jeden innenpolitischen Spielraum für die Regulierung von Bereichen wie Finanzindustrie, Transportwesen, Umwelt, Gesundheit, Energie- und Wasserversorgung bis hin zu den regionalen oder lokalen Flächennutzungs- und Raumplanungsgesetzen abzuschaffen, und diesmal nicht (wie bei der EU) aus "Wettbewerbsgründen", sondern wegen tatsächlich oder auch nur potentiell (!) entgangener Gewinne von Konzernen durch staatliche Gesetze, Richtlinien, Sozial- und Umweltstandards. Damit wird natürlich die Legislative entmachtet (denn jedwede staatliche Regulierung wird dann nur noch unter dem Aspekt erfolgen, dass sie auf keinen Fall derartige Klagen nach sich ziehen darf) und es werden de facto die Reste von Demokratie, die wir noch haben, abgeschafft (sie ist ja auf EU-Ebene durchaus schon eingeschränkt).

Das gefährlichste der beiden Abkommen ist nicht einmal TTIP, dessen Verhandlung gerade ins Stocken geraten ist, angeblich, weil man sich mit den vielen Protesten dagegen auseinandersetzen will. Nein, es ist CETA, das bereits kurz vor dem Abschluss steht, wie Sie aus dem folgenden Artikel der Deutsche Wirtschafts-Nachrichten entnehmen können:
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/11/19/eu-freihandel-mit-kanada-schafft-den-rechtsstaat-fuer-konzerne-ab/
Hier wird deutlich, dass auf TTIP zur Not auch verzichtet werden kann, wenn CETA beschlossen ist. In dem Artikel wird auch erläutert, wie es zur Einrichtung dieser Investorklage bei manchen internationalen Abkommen kam und warum sie ursprünglich einmal sinnvoll war, allerdings zwischen rechtsstaatlich begründeten Staaten nicht mehr sinnvoll ist.

Ich bin der Meinung (und hoffe, die teilen Sie), dass die Zerstörung der Demokratie unter allen Umständen verhindert werden muss und dass dafür alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenstehen müssen – von den demokratischen Parteien über die Gewerkschaften bis hin zu den Kirchen sowie politischen und sozialen Initiativen jedweder Couleur und nicht zuletzt den Medien.

Denn selbstverständlich ist auch die Pressefreiheit durch dieses Investorklagerecht bedroht: Jeder kritische Artikel, jede Monitor- oder Panorama-Sendung etc. zu den Praktiken eines Konzerns (z.B. Brände in Bangladeschs Fabriken) oder zu schädlichen Produkten könnte zu einer Klage und einer kostspieligen Verurteilung führen, vor allem wenn – wie schon häufiger geschehen – der Konsum der jeweiligen Produkte nach einem solchen Bericht eingebrochen ist oder – weil es ja auch um potentiell entgangene Gewinne gehen kann – einbrechen könnte. Hier sind die Medien wirklich gefordert, ihrer Funktion als "vierte Macht im Staat" gerecht zu werden, d.h. Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die Demokratie erhalten bleibt. Dafür müssten sie die Themen CETA und TTIP ständig in der Öffentlichkeit präsent halten. Das könnten sie ja immer wieder unter den unterschiedlichsten Aspekten tun, wobei die Gefährdung der Demokratie natürlich Hautptthema sein sollte. Vor allem sollten sie immer wieder Transparenz fordern und den Resolutionen von den diversen Organisationen (Gewerkschaften, Kulturrat, NGOs usw.) gegen CETA bzw. TTIP prominenten Raum geben.

Einige überregionale Medien haben TTIP bereits aufgegriffen (taz, Zeit, sz, Freitag, Report), aber eigenartiger Weise gibt es über CETA, dessen Abschluss ja kurz bevorsteht, fast nichts. Und nichts gibt es auch zum Thema Pressefreiheit, was mich dann doch sehr wundert. Es wäre sehr verdienstvoll, wenn die Badische Zeitung beide Themen aufgreifen würde.

Übrigens: "Verhandlungsmasse" dieser Abkommen könnten auch Verfassungsartikel (!) werden. Beim nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexico war das der Fall:  In der Verhandlung des Abkommens wurde der zentrale Artikel 27 der mexikanischen Verfassung gestrichen, der das Land der indigenen Bevölkerung vor Privatisierung und Verkauf schützte (Diese Leute hatten ja keine Grundbucheinträge!). Deshalb erklärten die Zapatisten am Tage nach dem Inkrafttreten des Abkommens 1994 dem mexikanischen Staat den Krieg.

Für Deutschland steht daher zu befürchten, dass eine Große Koalition mit ihrer Mehrheit fast ohne Opposition derartige Änderungen des Grundgesetzes ohne Probleme herbeiführen könnte, falls sie in den TTIP-Verhandlungen gefordert würden. Und leider ist denkbar, dass die Abgeordneten so etwas durchwinken würden, ohne möglicherweise zu merken, dass sie sich dabei selbst entmachten. Daher müssen insbesondere die Mitglieder aller Parlamente über das, was ihnen droht, aufgeklärt werden. Ich bin Mitglied von Attac und wir machen immer wieder die Erfahrung, dass MandatsträgerInnen, die wir auf diese Gefahr ansprechen, bestürzt zugeben müssen, dass sie darüber nicht informiert gewesen seien. Zu Recht hat ja Bundestagspräsident Lammert kritisiert, dass die Mitglieder des Parlaments nie genug Zeit haben, die Vorlagen, über die sie abstimmen sollen, zu lesen, geschweige denn, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Wichtig wäre auch, über diese Abkommen im Kontext weiterer internationaler Abkommen ähnlicher Couleur zu berichten. So verhandeln die USA gleichzeitig mit den Pazifik-Anrainer-Staaten (TPP). Es sieht so aus, als ob eine neue Blockbildung bevorsteht, im einen Zentrum die USA, im anderen China und Russland samt beiderseitiger "Feindbildpflege". Und es gibt Vorschläge für Alternativen, die öffentlich diskutiert werden sollten (s.u.)

Ich würde mich über eine Rückmeldung von Ihnen sehr freuen! Bitte lesen Sie noch die weiteren Informationen bzw. Quellen, die ich hier unten angebe. Dort finden Sie auch Resolutionen zivilgesellschaftlicher Organisationen, über die die BZ berichten könnte und sollte.

Mit freundlichen Grüßen
Barbara Volhard

Ein Artikel des britischen Guardian, im "Freitag" auf deutsch erschienen, der die Sache mit dem Investorklagerecht an bereits existierenden Beispielen erläutert. Der Titel "So wird Demokratie geschreddert" ist bezeichnend und sehr zutreffend: http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/so-wird-demokratie-geschreddert

Ein zusätzliches Beispiel: Der Vattenfall-Konzern fordert von der Bundesregierung eine Milliarden-Entschädigung für das Abschalten der AKWs (das Investorklagerecht gegen Staaten ist in der EU auf dem Energiesektor bereits eingeführt). Die Öffentlichkeit erfährt davon fast nichts:
http://www.freitag.de/autoren/felix-werdermann/der-verklagte-atomausstieg

Wichtige Quelle, die 19 Jahre Erfahrungen mit NAFTA aufzeigt. Hier wird deutlich, dass die Versprechungen, die uns für CETA und TTIP gemacht werden, offensichtlich Schall und Rauch sind. Insbesondere hat NAFTA nicht, wie versprochen, zu einer Steigerung , sondern zu massiven Verlusten von Arbeitsplätzen geführt: http://www.citizen.org/documents/NAFTAs-Broken-Promises.pdf

Der Artikel von Professor Michael Krätke zu TTIP weist auf, wie bei diesem größten Handelsdeal aller Zeiten sämtliche Standards unseres Sozial- und Wirtschaftslebens zur Verhandlungsmasse werden: FREITAG "Nichts bleibt wie es ist"

Auf der englischen Wikipedia-Seite zu TTIP
http://en.wikipedia.org/wiki/North_American_Free_Trade_Agreement#Canadian_disputes steht u.a.:
A book written by Mel Hurtig published in 2002 called The Vanishing Country charged that since NAFTA's ratification more than 10,000 Canadian companies had been taken over by foreigners, and that 98% of all foreign direct investments in Canada were for foreign takeovers.
In 2000, U.S. government subsidies to the corn sector totalled $10.1 billion. These subsidies have led to charges of dumping, which jeopardizes Mexican farms and the country's food self-sufficiency.

Resolutionen und Alternativ-Vorschläge, über die die BZ berichten könnte:

Der Deutsche Kulturrat zu TTIP:
http://www.kulturrat.de/detail.php?detail=2594&rubrik=142

Verdi zu TTIP: siehe Anhang, konnte ich nicht als Webseite laden.

Consumers international:
http://www.consumersinternational.org/media/1398522/tacd-ttip-resolution-on-investor-state-dispute-resolution.pdf

Die Grünen im Europ. Parlament:
http://www.greens-efa.eu/fileadmin/dam/Documents/Events/09_11_13_TTIP/131106%20Greens%20Group%20TTIP%20resolution%20for%20EGP.pdf

Grünen-Stadtrat Grundl in Straubing:
http://www.regio-aktuell24.de/ttip-gruenen-stadtrat-grundl-stellt-resolutionsantrag-25793/

Alternativ-Vorschlag aus amerikanischer Sicht:
http://www.aflcio.org/About/Exec-Council/Conventions/2013/Resolutions-and-Amendments/Resolution-12-America-and-the-World-Need-a-New-Approach-to-Trade-and-Globalization

Alternativ-Vorschlag aus europäischer Sicht:
Alternative Trade Mandate - Alternatives Handelsmandat, der Vorschlag für eine EU Handelspolitik im Dienste von Mensch und Umwelt, der in den letzten 4-5 Jahren von einem breiten EU-weiten Bündnis ausgearbeitet wurde:
alternativetrademandate.org

Pressemitteilung Attac Deutschland:
Frankfurt am Main, den 19. Dezember 2013

* Regierungskoalition muss sich Kritik der Zivilgesellschaft an Freihandelsabkommen stellen
* TTIP: Attac veröffentlicht Antworten von Bundestagsabgeordneten auf offenen Brief

Das globalisierungskritische Netzwerk fordert die neue Regierungskoalition auf, sich endlich der massiven Kritik der
Zivilgesellschaft an den Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen EU und den USA zu stellen.

Auch die aktuelle Verhandlungsrunde über das geplante Handels- und Investitionsabkommen mit den USA findet hinter verschlossenen Türen statt. "Die Stellungnahmen zu den Verhandlungen seitens der EU-Kommission sind nur allgemeine nichtssagende Floskeln. Wirkliche Informationen enthalten sie nicht", stellte Roland Süß vom Attac-Koordinierungskreis fest.

Konkretere Informationen bahnen sich über andere Kanäle ihren Weg in die Öffentlichkeit. So hatte am Montag die Brüsseler
Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) einen geleakten Vorschlag der EU-Kommission zu "regulatorischer Kooperation" veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass die EU einen Regulierungsrat mit den USA forciert. Parlamente würden geschwächt, Lobbyisten gestärkt werden.

Attac gehört zu den schärfsten Kritikern des geplanten Abkommens und hatte bereits am 8. November die Abgeordneten des neuen Bundestages in einem Brief auf die Gefahren für soziale Rechte und Umweltstandards hingewiesen. Bisher liegen 16 Antworten von Mitgliedern des Bundestags vor.

"Während aus der Opposition zahlreiche kritische Stimmen laut werden, sind die Parlamentarier der neuen Regierungskoalition milde gesagt sparsam mit ihren Reaktionen. Die künftige Regierung will den Deal mit den USA ungeachtet aller Kritik unbedingt durchboxen. Offenbar glauben die Fraktionen von CDU/CSU und SPD nun so mächtig zu sein, dass sie auf
den Dialog mit der Zivilgesellschaft verzichten können. Von den 504 Regierungsabgeordneten haben lediglich drei auf unseren Brief geantwortet?, kommentierte Steffen Stierle von der bundesweiten Attac-Kampagnengruppe "TTIP stoppen!" den Rücklauf.

Für Fragen und Interviews:
*Roland Süß, Attac-Koordinierungskreis, Tel: 0175-272 58 93
*Steffen Stierle, Attac-Kampagnengruppe "TTIP stoppen!", Tel: 0170-445 17 55

Antworten der Bundestagsabgeordneten:
http://www.attac.de/kampagnen/freihandelsfalle-ttip/aktionen/mdb-brief/

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