„Green New Deal“ – ein Ausweg aus der Krise? Zwischen Illusion und Wirklichkeit
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- Veröffentlicht: Dienstag, 10. Juli 2012 19:04
- Geschrieben von Helmut Käss
Bei der Veranstaltung am 21.06.2012 im Haus der Wissenschaft hielten Sven Giegold (MdEP der Grünen) und Dr. Bernd Röttger (Politik- und Sozialwissenschaftler) Vorträge zum oben genannten Thema, anschließend gab es eine Diskussion. Die Moderation übernahm Annette Bartsch (Gruppe „Wissen und Kritik“).
Ankündigung und zu den Personen: "Green New Deal" - ein Ausweg aus der Krise? Zwischen Illusion und Wirklichkeit
Die Veranstaltung wurde auf vier Videos aufgezeichnet, die hier abrufbar sind:
(1) www.youtube.com/watch?v=AKARlSOQrYM&feature=relmfu
(2) www.youtube.com/watch?v=7bqPYPFf8cQ&feature=relmfu
(3) www.youtube.com/watch?v=bIcaE8mIR7c&feature=relmfu
(4) www.youtube.com/watch?v=SzFTj6h00gA&feature=relmfu
Annette Bartsch: Es droht ein Kollaps der internationalen Finanzen, es gibt Krisen der Gerechtigkeit und der Politik. Viele Fragen und Ratlosigkeit, wir stoßen an die Grenzen des Wachstums. Fragen wir dazu einen Anhänger und einen Kritiker des Konzeptes „Green New Deal“.
Sven Giegold (Anhänger des „Green New Deal“): Zur Zeit beobachten wir eine Zerstörung der natürlichen Schöpfung, ein Aufgehen der sozialen Schere, der Abstand zwischen Arm und Reich wird immer größer. Die Ungleichheit zwischen den Staaten in der Welt wächst, aber auch die Ungleichheit innerhalb der Staaten. Dies schadet dem Zusammenhalt der Gesellschaft. Wir sehen einen Verlust von Steuerungsfähigkeit und es besteht eine Instabilität des Wirtschaftssystems. Die Instrumente des Nationalstaates reichen zu einer Lösung der Probleme nicht mehr aus. Das Finanzsystem ist zunehmend parasitär. Die Eurokrise hat ihre eigenen Probleme, es gibt aber auch viele Interaktionen mit dem allgemeinen Finanzproblem. Der Vorrang der Ökonomie gegenüber der Politik und das globale Freisetzen der Finanzsysteme führte zu einer Dominanz der Finanzwirtschaft. Eine Kontrolle der Finanzsysteme ist national nicht mehr möglich.
Wir müssen fragen, welche Maßnahmen am erfolgversprechendsten sind? Keiner hat eine Antwort, die richtig ist. Sozialistische Wirtschaftspolitik ist nicht so erfolgreich, neoliberale schon gar nicht, welche Strategien sind nötig?
Meine Antwort ist das Konzept„ Green New Deal“, das die Grünen aktuell ebenfalls offiziell übernommen haben. Zur Zeit besteht eine enorme Akkumulation (Ansammlung, Konzentration) des Finanzkapitals, das anders als bisher eingesetzt werden muss. Wir müssen eine Serie von Maßnahmen ergreifen, um dies zu erreichen, z.B. müssen wir überlegen, was wir produzieren wollen. Außerdem brauchen wir eine höhere Energieeffizienz, ein neues Mobilitätsmodell, 100% Erneuerbare Energien und bessere soziale Dienstleistungen und wir müssen die ökologischen Grenzen beachten. Die Investitionen müssen nach ökologischen Regeln erfolgen und wir brauchen bestimmte Anreize, damit das ökonomisch rentabel geht, Sektor für Sektor.
Wer soll das bezahlen? Nach dem „Green New Deal“ sollen die sinnvollen Maßnahmen größtenteils aus öffentlichen Geldern bezahlt werden, was eine Steuererhöhung notwendig macht und wir brauchen Mindeststeuersätze. Zur Zeit werden für die EU Steuerausfälle in der Größenordnung von 1000 Mrd € pro Jahr beschrieben !
Zur Durchsetzung unseres Konzepts ist eine Änderung unseres Lebensstils notwendig, denn wir fliegen unökologischerweise weiter in Massen in den Urlaub, essen Fleisch, gebrauchen Atomstrom usw. Das erfordert viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit und es stellt sich die Frage, welche Änderungen in der Gesellschaft wann durchzusetzen sind. Wir können versuchen, die Dinge mit unserer Wahlentscheidung zu beeinflussen, indem wir die nach unserer Ansicht richtigen Parteien wählen und Wir können die Unternehmen, die Gewerkschaften, die Konsumenten, die Kirchen und die NGOs im Sinne des „Green New Deal“ beeinflussen und umorganisieren, am liebsten natürlich global, aber beginnen müssen wir lokal.
Zusammenfassend:
Investitionspush in ökonomisch ökologische Produkte und in den sozialen Bereich:
- mit ordnungspolitischen Richtlinien
- mit privaten und öffentlichen Mitteln
- Refinanzierung durch eine effektive Besteuerung, Vermögenssteuer, Transaktionssteuer, Erbschaftssteuer, Austrocknung der „Steueroasen“.
- Voraussetzung: politische Mehrheiten für einen veränderten Lebensstil - fairer Handel
Eine Koalition des Wandels organisieren!
Es ist leicht, „Green New Deal“ zu kritisieren, Bernd Röttger, hast Du ein „stärkeres Pferd“ ?
Dr. Bernd Röttger (Kritiker des „Great New Deal“): Ich glaube, ich habe kein Pferd, ich sehe das gesamtwirtschaftlich und habe einen historischen Ansatz. Die „multiplen Krisen“ überlagern sich, alte werden nicht gelöst. Nehmen wir den Start mit der Immobilienmarktkrise: 2009 ist sie bei den Banken angekommen, wurde zur Staatsschuldenkrise, damit Krise des Euro. Es gibt eine ökologische Krise, eine Krise der Welternährung, die Einzelkrisen verschärfen sich gegenseitig. („multiple Krise“ ist Begriffsmüll.) Es gab die großen Krisen der 30er Jahre, da wurden alle Keynesianer, und der 70er, die als Folge den Neoliberalismus hatte.
Wir unterscheiden eine ökonomische, eine soziale und eine politische Krise. Die Lösung einer Krise verschärft die anderen Krisen. Wir haben eine Krise des Kapitalismus.
Die Krise der 70er Jahre war eine Krise der Profitabilität des Kapitalismus (der Gewinn sank zu stark). Lösung war eine Konversion(Umwandlung), ein Umbau zu einem exportorientierten Modell. Heute haben wir eine Krise der Kapitalakkumulation(Ansammlung und Konzentration von Kapital) und es wird eine restaurative Politik betrieben(die Politik versucht, den Zustand vor der Krise wiederherzustellen). Damit gibt es keine Möglichkeit einer Erneuerung. Die herrschende Macht ist an keiner systemüberwindenden Lösung interessiert. Sie führt nur korrigierende Maßnahmen durch. Dies führt wiederum zu einer Verlängerung der Krise. Zur Lösung der Probleme muss die Kontroll- und Handlungsfähigkeit wiedergewonnen werden.
Während der Krise wurde von Seiten der Politik versucht, die Profitabilität wiederherzustellen, damit ging eine Schwächung der Gewerkschaften einher und eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Es findet sich aber kein neuer „Weltstaubsauger“ nach dem Beispiel der Verschuldungsökonomie der USA, die so lange funktionierte. Es geht darum, erstens die Umverteilung umzudrehen und zweitens eine Binnenzentrierung vom Globalen zum Lokalen zurück zu erreichen. Es besteht eine Tendenz zur Restauration(Wiederherstellung des alten Zustands). Frau Merkel sagte, der Zustand vor der Krise müsse wiederhergestellt werden. Dazu sagte Gramsci „die einfachen Bevölkerungsschichten sind träge, sie haben keinen Apparat, der sie bei der Durchsetzung ihrer Interessen unterstützt, die führenden Klassen reagieren wegen bezahlter Spezialisten schneller. Eine Krise birgt Elemente der Lösung, aber wer herrscht, hat die Macht, die Lösung zu stoppen und damit die Krise zu verlängern, aber nicht, sie zu überwinden.“
„Green New Deal“ ist ein altes Konzept, in dem versucht wurde, bündnispolitisch die „neuen Mittelschichten“ mit der Linken zu verbinden. Dazu wurden pragmatische „Cross over“- Kongresse abgehalten Heute gibt es ein UN-Programm mit einer abgespeckten Variante, in der eine Verschiebung weg vom Konzept eines Bündnisses, stattdessen mit einem Clustermanagement mit Unternehmen an der Spitze favorisiert wird. Es besteht die Gefahr, wieder das Exportmodell Deutschland zu beschwören und damit weiter das strukturelle Problem der Asymmetrie der Weltwirtschaft zu behalten.
Diskussion:
Giegold stellt fest, dass beide nicht sehr weit auseinander liegen.
Beide konstatieren eine systemische Krise des Kapitalismus.
Giegold setzt auf Investitionslenkungen durch Förderprogramme. Er will keine Vergesellschaftung, weil es schneller gehen muss, setzt auf Ökonomie, braucht Partner für den Umbau. „Wir können nicht warten, bis die Menschen ein anderes Bewusstsein haben.“
Röttger sieht die Gefahr einer technokratischen Lösung. Es geht um die Frage der Kontrollrechte. Demokratie am Arbeitsplatz bedeutet nicht nur, Einfluss zu nehmen, was produziert wird, sondern auch, wie wir produzieren wollen.