BZ-Leser-Forum: Der Guttenberg-Skandal

Überraschend viele Bürger sind gestern Abend der Einladung der Braunschweiger Zeitung ins Haus der Wissenschaft gefolgt, um sich über den Stellenwert und die Konsequenzen der von Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg am Tag zuvor selbst eingestandenen wissenschaftlichen Verfehlungen bei seiner Promotion auszutauschen. Als Experten waren zugegen: Professor Nils Bandelow, Politikwissenschaftler der TU Braunschweig, Joachim Hempel, Domprediger am Braunschweiger Dom, Armin Maus, Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung, und Angelika Jahns, Landtagsabgeordnete und Kreisvorsitzende der CDU Wolfsburg.

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Foto © Alexander Hauk / PIXELIO.de

Zum Glück drehte sich die Diskussion nicht nur um die scheinbar einzige Frage: Soll Guttenberg Verteidigungsminister bleiben oder gehen? Unausgesprochen bestand weitgehende Einigkeit, dass die Bundesregierung den Fall Guttenberg nicht angemessen behandelt. Für viele der Anwesenden hat es den Anschein, dass die Bundesregierung und zum Teil die betroffenen Parteien sowie Teile der Presse die Lüge und Hochstapelei (Worte der Teilnehmer) des Bundesministers gezielt mit seiner Beliebtheit vermischen.

 

Die CDU-Politikerin Jahn möchte zwar, dass Guttenberg aus Mangel an Alternativen sein Amt beibehält, ist aber von seinem atemlosen Krisenmanagement in eigener Sache „sehr enttäuscht, um nicht zu sagen erschüttert.“ Sie hätte mehr Besonnenheit erwartet. Prof. Bandelow plädierte für eine Auszeit von Guttenberg. Er sei noch jung und  habe die Chance für eine neue Karriere. Indem er weiter Verteidigungsminister bleibt, schade er sich nur. Chefredakteur Maus kennt Guttenberg persönlich gut. Der Minister, so Maus, habe einen hohen Anspruch an seine Arbeit. Er sei nicht gut beraten, wenn er nicht zurücktritt. Gerade sein Amt als militärischer Oberbefehlshaber habe sehr viel mit Ehre zu tun.

Dompfarrer Hempel mahnte: „Wir haben darauf zu achten, dass es zu keinen Vorverurteilungen kommt, bevor die Uni Bayreuth gesprochen hat!“ Prof. Bandelow setzte dagegen, die Doktorarbeit Guttenbergs sei veröffentlicht und jedermann zugänglich. Somit bestünde für wissenschaftlich interessierte Bürger schon jetzt die Möglichkeit sich ein Urteil zu bilden. Chefredakteur Maus berichtete über die Internetgemeinde http://de.guttenplag.wikia.com, die die Dissertation des Verteidigungsministers im Hinblick auf Art und Umfang von Plagiaten untersucht und bereits beachtliche Funde präsentiert.

Prof. Bandelow war verwundert, dass die Universität Bayreuth Guttenbergs Dissertation mit "summa cum laude" bewertet hat. Dieses Prädikat sei eigentlich Arbeiten mit einer innovativen und zugespitzt erörterten Fragesetellung vorbehalten. Bei eigenständig entwickelten und stringent dargelegten Gedankengängen wäre es unmöglich, eine derart große Anzahl von Textstellen anderer Autoren einzubinden. Die Auszeichnung "summa cum laude" sei auch eine Wette der Prüfungskommission auf die Zukunft, dass die so bewertete Arbeit in der Fachwelt Beachtung finden wird. Guttenbergs Promotion habe keinen nenneswerten Widerhall gefunden.

Unausgesprochen blieb: Im Grunde hat Minister Guttenberg die wissenschaftliche Gemeinschaft und die deutschen Universitäten in ein Desaster geführt. Denn wie kann es sein, dass eine Uni-Fakultät erst eine Doktorarbeit mit "summa cum laude" auszeichnet und nachträglich gegenteilig bewertet? Hier haben sich Universitätsprofessoren selbst diskreditiert und der Verlässlichkeit wissenschaftlicher Beurteilungen den Boden entzogen! Mit der Affäre um Guttenbergs Doktorarbeit ist eine Entwertung von wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit und eine Entwertung des Systems der Hochschuldbildung verbunden. Warum schweigen bisher die Bundeswissenschaftsministerin, Annette Schavan, und die Wissenschaftsminister der Länder? Der Schaden der Plagiatsaffäre für die deutschen Universitäten ist immens.

Domprediger Hempel griff den Verweis eines Teilnehmers auf die Bibelstelle „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“ auf. Biblische Vergebung, so Hempel, sei immer möglich, das gelte auch für Guttenberg; aber ehrliche Reue sei Bedingung.

Aus dem Publikum kam die Bemerkung, Guttenberg bestehe bis jetzt darauf, dass die Kennzeichnung fremder Textpassagen unabsichtlich unterblieben ist. Auf die Frage, ob diese Einlassung glaubhaft sei, antwortete Prof. Bandelow: Er halte es für naheliegend, dass der Minister die Arbeit als Ganzes nicht selbst geschrieben hat. Guttenberg sei zu intelligent, um auf so angreifbare Weise zu plagiieren. Joachim Hempel und Armin Maus tendierten, jeweils mit eigenen Argumenten, in die gleiche Richtung. Die CDU-Landtagsabgeordente, Angelika Jahns, glaubte eher an ein Versehen Guttenbergs.

Die Bundesregierung steht - darin waren sich an diesem Abend alle einig - vor einem Dilemma. Sie kann sich in einem Jahr, in dem mehrere Wahlen anstehen, den Abgang eines so wichtigen Ministers, der sich zudem in der Bevölkerung einer hohen Beliebtheit erfreut, nicht erlauben.

 

Nachtrag: Angela Merkel kommentierte heute die Entscheidung der Universität Bayreuth, Karl Theodor zu Guttenberg die Doktor-Würde abzuerkennen, wie folgt: "Die Entscheidung der Uni Bayreuth liegt auf der Linie dessen, was der Verteidigungsminister vorgegeben hat. Sie macht daher Sinn."

Man kann diesen Satz eigentlich nur so deuten: Der Verteidigungsminister Guttenberg hat vorgegeben, wie Bayreuth auf die Verfehlungen des Prüflings Guttenberg reagieren möge. Die Universität folgte der Vorgabe ihres Minister-Prüflings. Weil die Universität folgte, ist ihre Entscheidung sinnvoll.

Was schockiert, ist nicht nur, dass offensichtlich wider alle Regeln der Zuständigkeit und Logik gedacht und gehandelt wird, sondern auch, dass die Bundeskanzlerin dies so schamlos ausspricht.