Paranoides Denken in der Politik
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- Veröffentlicht: Sonntag, 02. September 2018 12:14
- Geschrieben von Joachim Kleppe
Bei mir und in meinem Bekanntenkreis wachsen seit längerem Unverständnis und Unbehagen über die Berichterstattung in den Medien, insbesondere über deutsche Außenpolitik. Während Umfragen wieder und wieder belegen, dass über 60% der Deutschen keine Waffenexporte und Auslandseinsätze der Bundeswehr wollen, unterstützen parteiübergreifend fast alle Parteien im Bundestag genau das Gegenteil und erhalten in den Leitmedien statt kritischer Nachfragen dafür wohlwollende Berichte. Zugleich gerieren sich die etablierten Medien als Vertreter der reinen Wahrheit und behaupten „Fake News“ hätten ihren Ursprung in den neuen Medien im Internet.
So wachsen bei vielen Menschen die Zweifel an Medienberichten, weil Behauptungen über Monate und Jahre ohne Beweise bleiben. „Lügen- oder Lückenpresse“ sind heute jedem Bürger bekannte Begriffe. Grund dafür ist nicht eine Boshaftigkeit der Bürger, sondern u.a. ihre Erfahrung, dass viele Kriege der vergangenen Jahrzehnte von den großen Medien durch Unwahrheiten gerechtfertigt wurden und möglicherweise die Gefahr weiterer Kriege droht denen weder Politiker noch Medien entgegentreten.
Kriege beginnen immer mit „Fake News“ in den Leitmedien
Die westliche „Wertegemeinschaft“ bombardierte den Kosovo wegen eines angeblichen „Hufeisenplans“ der sich im Nachhinein als Lüge herausstellte. Der Irak wurde überfallen und seine Bevölkerung und Infrastruktur von amerikanischen, britischen und französischen Militärmächten vollständig zerbombt, weil seine Regierung laut falscher Behauptung von Politikern und Leitmedien der angreifenden Länder angeblich Massenvernichtungswaffen besaß, mit denen westliche Länder angegriffen werden sollten.
Lybien wurde von denselben Ländern in Schutt und Asche gelegt, weil dessen Staatschef sein eigenes Volk unterdrückt haben soll. Syrien wurde mehrfach mit Raketen angegriffen, weil seine Regierung angeblich Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hätte. Bis heute gibt es dazu keine Beweise. In England wurden im direkten Umfeld eines staatlichen englischen Chemie-Waffenlabors vier Bürger vergiftet. Trotz aller Behauptungen, dass nur Russland die Täterschaft zugerechnet werden muss, fehlen dafür bis heute Beweise. 150 russische Diplomaten wurden ohne Beweise aus westlichen Ländern ausgewiesen. Seit Monaten wird behauptet, Russland manipuliere Wahlen in den USA, in Frankreich und in Deutschland. Beweise gibt es dafür keine. Journalisten setzen offenbar darauf, dass ständige Wiederholung unbewiesene Behauptungen zu „Tatsachen“ machen können, die von der Bevölkerung irgendwann geglaubt werden. Für die Außenpolitik ist das brandgefährlich. Die deutsche Bundeswehr wird schon in 19 Ländern eingesetzt und übt seit kurzem sogar Angriffe auf Dörfer in Georgien (siehe www.bundesheer.de).
Paranoides Denken in der Außenpolitik
Diese Politik der Kriege gegen andere Ländern mit Unterstützung durch Meinungsmanipulation willfähriger Medien ist nicht unbekannt. Sie wurde schon Anfang der sechziger Jahre sehr gut vom bekannten deutsch-amerikanischen Psychoanalytiker Erich Fromm (1900 - 1980) beschrieben. Er spricht von einer Form paranoiden Denkens, in dem eine der Logik nach mögliche Behauptung erhoben wird und die Überprüfung der Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit unterbleibt. Z.B. liegt es im Bereich des Möglichen, dass Russland durch Wahlmanipulationen Trump zur Macht verholfen hat. Die Möglichkeit ist nach der Logik nicht auszuschließen, aber ohne Beweise ist der Wahrheitsgehalt der Behauptung außerordentlich unwahrscheinlich. Behaupten nun alle führenden Medien trotz fehlender Beweise wieder und wieder diese These, so wird sie dadurch nicht wahr, kann aber von einer Mehrheit der Gesellschaft als „Wahrheit“ angenommen werden. In der Geschichte, insbesondere der deutschen, wurden solche Phänomene oft erst von der folgenden
Generation erkannt. Greift solch ein Denken, insbesondere in der Außenpolitik um sich, dann entsteht nach Erich Fromm höchste Gefahr für kriegerische Konflikte zwischen den Atommächten. Obwohl schon 1961 erschienen, sind seine Gedanken zu diesem Thema hochaktuell. Ich halte sie für so erhellend für das Verständnis aktueller Geschehnisse, dass ich einige Ausführungen hier im Wortlaut wiedergeben will.
Fromm beginnt seine Überlegungen mit dem Fall eines an paranoidem Verfolgungswahn leidenden Menschen. „ ...jemand, der zu uns sagt, dass jeder ‚hinter ihm her‘ sei, dass seine Kollegen, Freunde, ja selbst seine Frau sich verschworen hätten, ihn umzubringen, wird von den meisten als wahnsinnig erkannt. Aus welchem Grund? Offensichtlich nicht deshalb, weil die Beschuldigungen, die er äußert, unmöglich wären. Es könnte ja sein, dass seine Feinde, seine Bekannten und sogar seine Familie sich zusammen getan hätten ihn umzubringen; so etwas kommt tatsächlich vor. Wir können dem unglücklichen Patienten, wenn wir bei der Wahrheit bleiben wollen, nicht sagen, was er da vermute, sei unmöglich. Wir können nur argumentieren, es sei höchst unwahrscheinlich, und dies deshalb, weil solche Dinge sich im Allgemeinen nur selten ereignen und weil der Charakter seiner Frau und der seiner Freunde es besonders unwahrscheinlich mache. Trotzdem werden wir den Patienten nicht überzeugen. Seine Realität gründet sich auf die logische Möglichkeit und nicht auf die Wahrscheinlichkeit. Eben diese Einstellung liegt seiner Krankheit zu Grunde. Sein Zugang zur Realität ruht auf der schmalen Basis ihrer Vereinbarkeit mit den Gesetzen des logischen Denkens und bedarf keiner Untersuchung der realistischen Wahrscheinlichkeit. [...] Realität ist für ihn hauptsächlich das, was in seinem eigenen Inneren existiert, seine eigenen Emotionen, Ängste und Wünsche. Die Außenwelt ist der Spiegel oder die symbolische Repräsentation der inneren Welt.[...] wenn etwas nur möglich zu sein braucht, um wahr zu sein, ist Gewissheit leicht zu erlangen. Muss aber etwas wahrscheinlich sein, so gibt es nur weniges, dessen man unbedingt gewiss sein kann. Das ist es, was das paranoides Denken so ‚attraktiv‘ macht trotz der Leiden, die es verursacht. Es erspart uns den Zweifel und garantiert uns ein Gefühl der Gewissheit [...] Es fällt nicht schwer, paranoides Denken im individuellen Fall eines paranoischen Psychotikers zu erkennen. Aber paranoides Denken dann zu erkennen, wenn es von Millionen geteilt und von den Autoritäten, die sie führen, gebilligt wird, ist schwieriger. [...] Wenn wir nur an Möglichkeiten denken, haben wir in der Tat keine Chance für ein realistisches und vernünftiges politisches Handeln. [...] Was ist das Resultat? Der Feind erscheint als die Verkörperung alles Bösen, weil ich alles Böse, dass ich in mir selbst verspüre, auf ihn projiziere. Logischerweise halte ich mich, nachdem das geschehen ist, für die Verkörperung alles Guten, weil ich das Böse auf die andere Seite übertragen habe. [...] es ist dies jedoch eine pathologische Einstellung, die gefährlich ist, wenn sie zum Krieg führt, und die tödlich ist, weil dieser Krieg Vernichtung bedeutet.“ Erich Fromm: Es geht um den Menschen, Tatsachen und Illusionen in der Außenpolitik, New York 1961, S. 25 ff