Mallorca und das "Dritte Reich"
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- Veröffentlicht: Sonntag, 09. August 2015 14:06
- Geschrieben von Friedrich Walz
Sehr geehrter Herr Schimpf, liebe Leserinnen und Leser
von "Tage auf Mallorca – lesen unterm Olivenbaum. Braunschweigisches aus Büchern gepickt. (BZ vom 1. August 2015)
Es geht dabei unter anderem um Thomas Mann, Ina Seidel und Ricarda Huch. Thomas Manns Tagebucheintragung vom 14. Juli 1947: „Liste der 88 Schriftsteller, die Hitler huldigten. Dummes, mittelmäßiges Gesindel." Die dem Kanzler Adolf Hitler im Oktober 1933 treueste Gefolgschaft gelobten, gehörten u. a. Ina Seidel, eine Freundin von Ricarda Huch, Agnes Miegel und Bruder Rudolf Huch, nach denen in Braunschweig und Bad Harzburg Straßen benannt sind. Die Ina- Seidel -Schule wurde in den 90er Jahren wegen Schülerrückgängen aufgelöst. Das Gebäude wird heute von der Otto-Bennemann-Schule genutzt.
Ricarda Huch stand nicht auf der Liste. Sie unterschrieb auch die ihr im März 1933 vom Akademiepräsidenten vorgelegte Erklärung nicht: „Sind Sie bereit, unter Anerkennung der geschichtlichen Lage weiter Ihre Person der Preußischen Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen? Eine Bejahung dieser Frage schließt die öffentliche politische Betätigung gegen die Reichsregierung aus und verpflichtet Sie zu einer loyalen Mitarbeit" in der Akademie.
Ricarda Huch erklärte nach einem längeren Briefwechsel mit dem Präsidenten von Schilling im April 1933 ihren Austritt aus der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie. Ihr Brief vom 24.03.1933 an von Schilling macht ihre damalige Einstellung deutlich: „Aus Ihrem Schreiben vom 22. März schließe ich, daß Sie meine Ablehnung, die mir vorgelegte Frage zu unterzeichnen, so aufzufassen gedenken, als hätte ich sie mit Ja beantwortet; dies Ja kann ich aber um so weniger aussprechen, als ich verschiedene der inzwischen von der neuen Regierung vorgenommenen Handlungen auf das schärfste mißbillige. Sie zweifeln nicht, davon überzeugt mich Ihr Brief, daß ich an dem nationalen Aufschwung von Herzen teilnehme; aber auf das Recht der freien Meinungsäußerung will ich nicht verzichten, und das täte ich durch die Erklärung wie die ist, die zu unterzeichnen ich aufgefordert wurde. Ich nehme an, daß ich durch diese Feststellung automatisch aus der Akademie ausgeschieden bin. Außerdem müßte ich darauf gefasst sein (erlauben Sie, daß ich den ernsten Gegenstand durch einen Scherz würze), wenn ich in dieser Form in der Akademie bleibe, mein Leben im Zuchthaus zu beschließen als ‚in einen nationalen Verband eingeschlichen.'" (zit. nach Inge Jens, 1979, S. 209f.)
Schon Ende Februar 1933 schrieb Thomas Mann aus Arosa, nicht mehr nach Deutschland zurückkehrend, an Ida Herz: „Alle, die noch einen Funken geistiger Ehre im Leibe haben, müssen eine entschlossene Front bilden, damit diesen Kriegslümmeln, diesen Henkern deutscher Freiheit und Geistigkeit das Handwerk gelegt werde. – Wer das nicht begreift, der fahre dahin."
Am 29.12.1933 schreibt sie an Elisabeth Wölfflin: „Wissen Sie, daß Baumgartens wieder nach Basel gehen, resp. daß Prof. Baumgarten schon da ist?....Man muß diesen Mann (und die Frau natürlich mit) bewundern; er hatte in Frankfurt eine sehr hohe Einnahme und in Basel so wenig; daß sie nur eben davon existieren können. Es denken doch nur wenig Männer [und Frauen] so großartig."
Thomas Mann war auch in die Schweiz geflüchtet. Er hätte „der Huch" in seinem Chalet in ihrer geliebten Schweiz bestimmt „Asyl" gewährt und ihr Schweizer Verleger hätte der 70jährigen Schriftstellerin weiter die Gelegenheit gegeben, zu publizieren.
Sie verhielt sich im Zuchthaus „Drittes Reich" trotz der weiter verschlechterten Zustände loyal, verzichtete auf öffentliche politische Betätigung gegen die „Regierung der nationalen Konzentration" und beteiligte sich an den nationalen kulturellen Aufgaben im Sinne der veränderten Lage, indem sie sich dann doch „in einen nationalen Verband einschlich": Am 31.10.1934 beantwortet sie einen Fragebogen für arische Mitglieder des Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller e. V. Seit dem 1. Dezember 1934 wird sie dort als Mitglied in der Gruppe Schriftsteller geführt. Dieser nationalsozialistische Verband und Standesvertretung des Deutschen Schrifttums „nahm nur politisch ganz einwandfreie Personen" als Mitglieder auf. Dieser von Goebbels angeordnete Zwangsverband wurde von dem kulturpolitischen Redakteur der Berliner Ausgabe des "Völkischer Beobachter" Götz Otto Stoffregen geleitet. Neben dem Vorstand wurden u. a. folgende Ehrensenatoren ernannt: Ricarda Huch, Agnes Miegel und Ina Seidel. Dieser Verband wurde neben anderen gemäßigten 1935 aufgelöst. Seine Überwachungsarbeit übernahm die Reichsschriftumskammer.
„1936 hatte sich Professor Heinrich Wölfflin zusammen mit den Professoren Edgar Bonjour und Fritz Strich, dem Präsidenten des Hottinger Lesezirkels Dr. Hans Bodmer und Regierungsrat Br. Leo Merz an einer Initiative beteiligt, Ricarda Huch, „die erste Dichterin Deutschlands" (Wölfflin 1915), erneut für den Literatur-Nobelpreis vorzuschlagen." Man hoffte, dass der im Exil lebende Thomas Mann sich auch für sie einsetzen würde. Was Thomas Mann auf Wölfflins Brief an ihn antwortete, ist nicht bekannt.
Thomas Mann, „der bedeutendste deutsche Schriftsteller" (Schimpf) erhielt 1929 den Literaturnobelpreis verliehen. „Die Huch" (Thomas Mann) fand es schade, „daß einer ihn bekommen hat, der ohnehin reich ist, und obwohl ich ihn vorzüglich hätte verwenden können." (Brief an Elsbeth Merz vom 30.12.1929) Spricht hier dummes, mittelmäßiges Gesindel? „Das Verhältnis zwischen Thomas Mann und Ricarda Huch war eher kühl."
1937/38 lief ein Verfahren nach dem Heimtückegesetz gegen Ihren Schwiegersohn Franz Böhm und sie, was durch eine Amnestie eingestellt wurde.
Während des Verfahrens lief ein Film „Der Fall Deruga" in den deutschen Theatern. Diesen Kriminalroman, der sehr persönliche Anspielungen an ihren geschiedenen Ehemann Ceconi enthielt, hatte sie 1917 ohne Happyend geschrieben. Die Goebbels Filmemacher ließen ihn entgegen ihren Willen happy enden. Goebbels vermerkte in seinem Tagebuch am 6. Juli 1938: „Ein spannender Gerichtsfilm."
„Das Verbleiben in Deutschland sah sie nach wie vor als das für sie einzig Richtige und Sinngemäße [sic!] an." (Bäumer) Wobei ihr Verbleiben ihr Mitmachen einschloss. Einen erbetenen Beitrag in einem Brief v.
06.08.1947 von Gerhard Szczesny dazu lehnte sie am 29.08.1947 brüsk ab. „Die Frage: Gibt es eine Entschuldigung dafür, das deutsche Schriftsteller während der vergangenen 12 Jahre in Deutschland geblieben sind? empört mich. Für mich heisst die Frage: Gibt es eine Entschuldigung für die Deutschen, die
Deutschland während der vergangenen 12 Jahre verlassen haben? [...] Auf die Frage, wie sie in ihrer Zeitschrift [ Der Schriftsteller ] gestellt ist, besonders nicht, wenn gleichzeitig Emigranten [zugesagt hatten schon Thomas Mann und Alfred Döblin] an der Antwort sich beteiligen, würde ich niemals öffentlich
antworten.
Thomas Mann nannte sie 1947 eine „eine stolze und aufrechte Frau", ohne ihre Vernetzung mit „diesen Kriegslümmeln, diesen Henkern deutscher Freiheit," ihre abgefassten Publikationen und Briefe während des „Dritten Reichs" und ihre Ehrungen („nur das Nazigrößen vorbehaltene Führertelegramm," so Hürlimann, Belohnung eines steuerfreien Ehrensolds von 30.000 RM durch Hitler). Goebbels und Lauterbacher (Wilhelm-Raabe-Preis der Stadt Braunschweig in Höhe von 10.000 RM, Umbenennung einer Mädchen Oberschule nach ihr, alles 1944) zu kennen.
Der immer wieder von den Huch-Biographen und Huchverehrern zitierte Thomas Mann bekannte sich 1945 öffentlich in Warum ich nicht nach Deutschland zurückkehre u. a. wie folgt: „Es mag Aberglaube sein, aber in meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut in die Hand zu nehmen. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an; sie sollten alle eingestampft werden." Die meisten Bücher wurden dann auch bald auf Anweisung der Alliierten Militärverwaltungen aus den Schulbibliotheken entfernt.
Weiteres können Sie in meiner Dokumentation Ricarda Huch - die erste Frau im „Dritten Reich" nachlesen.