Krähwinkel in Wolfenbüttel – eine Kleinstadtidylle
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- Veröffentlicht: Donnerstag, 14. August 2014 11:32
- Geschrieben von Helmut Kramer
Die Stadt Wolfenbüttel gehört zu den Orten mit erfreulich vielen kulturellen und historischen Institutionen. Während in vielen anderen Städten dieser Art sich engagierte Bürgerinitiativen der Aufarbeitung der NS-Zeit widmen, ist es in Wolfenbüttel nur eine Handvoll engagierter Bürger, die sich um die jüngere Lokalgeschichte kümmern. Die Zeitgeschichte, jene Geschichte, die „noch knistert“, passt wohl nicht in das in vielen Köpfen gepflegte Bild der Geschichtsidylle der „lieben kleinen Herzogstadt“.
Von ihrer Aufgabe her lassen einige der kulturellen Institutionen Wolfenbüttels nicht gerade ein Interesse und Kompetenzen für die Aufgabe einer Gedenkstätte vermuten, die es mit einer absolut noch nicht abgeklärten Vergangenheit zu tun hat: der nationalsozialistischen Justiz. So etwa das mit der Geschichte aus früheren Jahrhunderten beschäftigte Schloss-Museum.
Die international renommierte Herzog-August-Bibliothek hat ihren Arbeitsschwerpunkt zwar auch in früherer Zeit. Wissenschaftlich interdisziplinär aufgebaut, gibt es aber auch hier immer wieder Bezüge zur Gegenwart. Deshalb könnte es durchaus einen thematischen Brückenschlag zwischen der HAB und einer mit dem himmelschreienden Unrecht der NS-Justiz befassten Einrichtung – der Wolfenbütteler Gedenkstätte zur nationalsozialistischen Justiz – geben. Schon ein einziger Name würde eine Zusammenarbeit nahelegen: Im Unterschied zu seinem Weimarer Kollegen Goethe und auch manchen heutigen Wolfenbütteler Bürgern war Gotthold Ephraim Lessing jemand, der sich mit Leidenschaft und kritischem Verstand über krasses Unrecht so empören konnte, dass er angesichts eines verbrecherischen Intrigenspiels dem Vater der Emilia Galotti den Aufschrei in den Mund legte: „Wer über gewisse Dinge seinen Verstand nicht verlieret, hat keinen zu verlieren“. Im Wolfenbütteler Krähwinkel gibt es nur noch Aufregung, wenn jemand die kleinbürgerliche Selbstgenügsamkeit stört.
Auch zwei anderen bedeutenden Wolfenbütteler Institutionen kann man nicht jedes Interesse an der Zeitgeschichte absprechen. Beide Einrichtungen haben sogar sehr viel mit der nationalsozialistischen Justiz – dem Thema der Wolfenbütteler Gedenkstätte, der bundesweit zentrale Erinnerungsort zur nationalsozialistischen Justiz – zu tun: Und beide waren vor noch gar nicht langer Zeit sehr eng miteinander verbunden, geradezu solidarisch:
– das in Wolfenbüttel residierende Landeskirchenamt, das nach 1945 mit der Einstellung vieler belasteter Juristen einen recht ordentlichen Beitrag zu der personellen Kontinuität der Funktionseliten geleistet hat
– und das in dem Wolfenbütteler Krähwinkel vom Landeskirchenamt nicht viel mehr als einen Steinwurf entfernte niedersächsische Staatsarchiv Wolfenbüttel
Wie es nicht anders sein kann, kommt das Staatsarchiv mit großer Sorgfalt seiner Aufgabe nach, Dokumente auch zu der Zeit des Nationalsozialismus zu sammeln. Was für die Mitarbeiter des Staatsarchivs heute selbstverständlich ist – die Akten des Sondergerichts Braunschweig gegenüber Forschern zu öffnen – war aber nicht immer so. Noch im Jahre 1987 verschloss man die bis dahin ohne Zensur zugänglichen Akten plötzlich meinen Blicken. Die Frage nach den Gründen führt wiederum zurück zu dem Landeskirchenamt. Dort war ich in Ungnade gefallen, weil ich mit dem Fall der im Jahre 1944 vom Sondergericht Braunschweig als „Volksschädling“ zum Tode verurteilten 19-jährigen Erna Wazinski mich kritisch beschäftigt und die juristischen Schreibtischmörder beim Namen genannt hatte, darunter den Landgerichtsdirektor Dr. Walter Lerche, inzwischen mächtiger Oberlandeskirchenrat in Wolfenbüttel. Da war unter den Wolfenbütteler Honoratioren ein Schulterschluss geboten. Mit viel Aufwand und erst nach Klageandrohung erhielt ich die Akteneinsicht. Zu einer unheiligen Allianz gehörte noch im Jahre 1991 auch die Justiz. Da gab es eine merkwürdige Personalunion: Der Vorsitzende der mit der Rehabilitierung der Erna Wazinski befassten Braunschweiger Strafkammer Gerhard Eckels war zugleich Präses, also Vorsitzender der Synode der Landeskirche. Und so rehabilitierte die Strafkammer Erna mit einer solchen Begründung, dass kein Schatten auf den hohen Kirchenbeamten Lerche fiel. Für befangen erklärt und als Verteidigerin der Erna Wazinski abgelehnt wurde von ihm allein eine Braunschweiger Rechtsanwältin, die eine Feststellung des Justizmordes an Erna Wazinski erreichen wollte.
Nun, das ist Schnee aus vergangenen Jahren. Das Landeskirchenamt hat sich glaubhaft von seiner düsteren Vergangenheit verabschiedet und sich sogar in einer Kommission mit seinen personellen Kontinuitäten beschäftigt. Doch wird es Zeit, dass auch das Staatsarchiv und der personell eng mit den Archivaren verbundene Braunschweigische Geschichtsverein sich mehr als bisher mit der Braunschweiger Zeitgeschichte und der zugehörigen personellen Geschichte beschäftigen. Da sollte man nicht zuletzt an das langjährige Ehrenmitglied des Geschichtsvereins und seinen langjährigen Vorsitzenden Dr. jur. Friedrich A. Knost denken. Friedrich A. Knost, der nach dem Krieg zum Präsidenten des Niedersächsischen Verwaltungsbezirks Braunschweig aufsteigen sollte, war im Dritten Reich u. a. Vizepräsident des Reichssippenamtes und hatte einen Kommentar zu den antisemitischen Nürnberger Gesetzen verfasst. Dem Braunschweigischen Geschichtsverein kann man nicht nachsagen, er habe später sein Ehrenmitglied vergessen. Im Gegenteil, man hatte sich geradezu liebevoll mit seiner Vita beschäftigt: in ehrenvollen Nachrufen, sogar mit einem im Jahrbuch des Geschichtsvereins im Jahr 1979 herausgegebenen Aufsatz, in dem die in den Jahren 1931 bis 1944 von Knost gezeichneten Beiträge in der Zeitschrift „Das Standesamt“ lobend erwähnt, über das wenig segenvolle Wirken Knosts in der NS-Zeit aber geschwiegen wurde.
Nun, auch diese Dinge sind so lange her, dass man darüber den Mantel der Nächstenliebe ausbreiten könnte. Geblieben ist nur ein Kleinbürgergeist mit einer gewissen Vorliebe für Kleinkriege und das Gefallen an intriganten Spielen, in die sich sogar die Leitung des sonst so weltabgeschiedenen Staatsarchivs hineinziehen läßt. Gern in Geheimsitzungen auch hinter dem Rücken der davon betroffenen Kritiker der schlampigen Arbeit der Wolfenbütteler Gedenkstätte. Und umso mehr in einem unkritischen Schulterschluss mit den Wolfenbütteler Gedenkstättenbeamten.
Auch diese schon nicht mehr ganz lustige Krähwinkel-Geschichte könnte man vergessen, wenn es dabei nicht um den Versuch ginge, mit der Diffamierung fachkundiger Wolfenbütteler Lokalhistoriker zugleich die ernsthafte Aufarbeitung der NS-Justiz zu behindern. Zu einer erfolgreichen Intrige gehört die Selbstdarstellung des Intriganten. Die Literaturgeschichte bietet eine Fülle von Beispielen (vgl. Peter von Matt, Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist, München 2006). Je mehr von einem Selbstdarsteller ein helles Licht ausstrahlt, umso besser kann er Kritik an sich abperlen lassen.
Um die großen Defizite in seiner Arbeit an der Erinnerung zu kompensieren, ließ der frühere Gedenkstättenleiter sich von der Lokalzeitung auf dem „Grab“ eines in Wolfenbüttel hingerichteten polnischen Mädchens beim Niederlegen eines Blumenstraußes fotografieren. Dass das unglückliche Opfer eines Justizmordes nie ein Grab erhalten hat, und dass er das wußte, konnte ja die Außenwirkung nicht beeinträchtigen. Von solcher Selbstlosigkeit sind echte Krähwinkler ebenso tief beeindruckt, wie eine im Archivberuf arbeitende Wolfenbüttelerin, die den Gedenkstättenleiter schon deshalb über jede wissenschaftliche Kritik erhaben glaubt, weil sie ihn vor einigen Jahren in einer von tiefer „Empathie“ erfüllten Führung durch die Gedenkstätte erlebt hatte.