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Rezension Braunschweig-Krimi "Jenseits der Asse"

Dirk Rühmanns Kriminalroman "Jenseits der  Asse" erschien Anfang Juni. Der B-S berichtete darüber. Zu diesem Roman, der im Schardt Verlag erschienen ist, gibt es nun eine erste Rezension. Sie ist von Heiner Waßmuß. (red)

Braunschweig-Krimi „Jenseits der Asse“ von Dirk Rühmann

Krimis haben Konjunktur bei Leserinnen und Lesern: inzwischen gibt es eine Vielzahl von Unterarten wie historische Krimis, gerichtsmedizinische Krimis, buddhistische Krimis und eben auch eine Flut von lokalen Krimis. Bei den „Braunschweig-Krimis“ ist Dirk Rühmann der fleißigste Autor und stellt uns mit dem im Juni 2013 erschienenen  Band „Jenseits der Asse“ sein nach eigener Zählung 152. Werk vor  (Kurzkrimis eingeschlossen). Das Buch ist im Schardt Verlag, Oldenburg veröffentlicht unter der ISBN 978-3-89841-696-2, im Braunschweiger Buchhandel erhältlich und kostet 12,80 €.


Das Thema ist hochaktuell: Eine in Braunschweig ansässige Firma will den Atommüll aus der Asse, der wegen Einsturzgefahr aus dem ehemaligen  Salzbergwerk geborgen werden muss, zwischenlagern und weiterverarbeiten, es gibt aktiven Widerstand dagegen. Da passiert ein Mord. Opfer ist eine junge Frau aus der Widerstandsbewegung, sie wird im Gartenhaus
eines Mannes gefunden, der ausgerechnet bei der besagten Atomfirma  arbeitet. Das verspricht Spannung!

Das vom Autor neu eingeführte Ermittlerteam Beate Winterkorn und Lukas Bernhard hat einen hochkomplexen Fall zu lösen, der dem Autor Raum gibt, die besagten Probleme sowie zusätzlich den Flughafenausbau, die  Fritz-Bauer-Debatte und andere Braunschweiger Themen und Örtlichkeiten  oberflächlich zu erwähnen. Ähnliche Muster verfolgte Rühmann schon in früheren Krimis und hierbei ist er sehr geschickt. Auch politische  Zusammenhänge kann er anschaulich darstellen. Da wird z.B. der  Ermittlerin vom Staatsanwalt auf Weisung „ von ganz oben“ untersagt,
eine bestimmte Spur, die sie gegen die Atomwirtschaft aufgenommen hat,  weiter zu verfolgen und sie muss das bisher gesammelte Material ausliefern.

Fast gerät wegen dieser Dinge der eigentliche Mordfall  aus dem Blick, er wird aber auf den letzten Seiten dennoch mit überraschendem Ergebnis gelöst.

So weit, so gut - es könnte ein guter Krimi sein.

Er könnte es sein, wenn nicht Dirk Rühmann auch hier wieder an seinen  aus früheren Werken sattsam bekannten sprachlichen Verdrehungen, oft  unpassenden Worthülsen und Klischeevorstellungen festhalten würde. Es ist trotz der guten Konstruktion des Falles kein Vergnügen, dieses Buch zu lesen, weil der Autor so oft über die Sprache stolpert. Unvergessen
seine genial daneben liegende Formulierung aus dem bereits 2000 erschienenen Krimi „Leihgabe“ auf Seite 29: „Seine Beamten lösten sich wieder in Wohlgefallen auf“, als er das Ende einer Lagebesprechung beschreiben will. Aber auch 13 Jahre später geht es in dieser Weise munter weiter.

Als die Frau, die nach einer geplanten, aber missglückten Sexaffäre, statt der sie eine Frauenleiche präsentiert bekommt, am Morgen danach ihre Wohnung durchlüftet, weil sie an den Ereignissen zu ersticken droht, beschreibt Rühmann das so: „damit frische Luft ihren Wohnbereich durchdringen konnte“,  wir wünschen gutes Durchdringen!

Die Kommissarin wird frühmorgens zu einem Einsatz gerufen, sie steht auf "und streift sich einen Pulli über ihren BH“. Was soll hier der BH?  Hatte sie ihn die ganze Nacht über an?  Entweder will der Autor auf die  Brüste der Kommissarin anspielen, dann sollte er sie auch erwähnen, oder
das  Anziehen soll sich ohne eine solche Andeutung abspielen, dann  braucht es aber auch keine Erwähnung des BHs!

„Bevor sie sich anzog, setzte sie einen Kaffee auf, von dem sie die  Hälfte in ihre Thermoskanne füllte“ - sie sollte den Kaffee aber besser in die Kanne abfüllen, nachdem er durchgelaufen ist, und  nicht schon, während sie ihn aufsetzt!

Später im Buch versucht sie, die Puzzleteile des Falles zu ergründen und hängt sie an eine Pinwand, um Abstand zu gewinnen. Und was stellt sie fest? Sie kann die weit entfernten Teile nicht erkennen und diagnostiziert falsch „sie würde wohl eine Lesebrille brauchen“. Nein, die braucht sie nicht, eine Fernbrille würde in diesem Fall besser helfen!

Als am Ende der Attentäter vom SEK erschossen wird und  aus der Straßenbahn „ auf die Straße klatschte“, „beobachten die Fahrgäste die seltsame Szene mit Argwohn“. Was argwöhnen sie denn angesichts einer solchen nicht gerade alltäglichen, schrecklichen  Szenerie? Völlig falsche Ausdrucksweise! So geht es mit hergesuchten oder stümperhaften Formulierungen immer weiter.

Stimmen die inhaltlichen Aussagen wenigstens?  - Leider nein.

Als der Inhaber der Atomfirma dem Prokuristen ein geheimes unterirdisches Lager mit vielen Fässern zeigt, brüstet er sich damit, dass diese „reines Plutonium“ enthielten.

Tonnen voll mit reinem Plutonium sind allerdings physikalisch völlig unmöglich und wären bereits im Kilogramm- Bereich tödlich für die gesamte Menschheit. Eine absurde Formulierung.

Da ist dann ein alter Mann scharf auf eine junge Frau und legt sich auf sie. Sie sitzt dabei jedoch auf einem Stuhl. Es ist mir nicht gelungen, eine solche Szene  mit meiner Frau nachzustellen!

Ein Spaziergänger mit Hund hat morgens um 5Uhr per Handy nach dem Fund einer Leiche seine Freunde benachrichtigt und die sind bereits vor dem Eintreffen der Polizei allesamt vor Ort.

Eine Leiche, der der Hinterkopf eingeschlagen wurde, wird von zwei Personen fortgeschafft, „unter den Achseln und an den Füßen gefasst“, ohne dass einer der Beteiligten Blutflecke abbekommt.

Eine Blutlache, die die Tote auf dem Fußboden der Gartenlaube hinterlässt, in der sie umgebracht wurde, ist plötzlich nicht mehr vorhanden. Der Tatort wird auch polizeilich nicht weiter untersucht.

Der Widerstand gegen den Braunschweiger Flughafenausbau sei zwar gescheitert, sagt Rühmann, aber nur große Forschungsmaschinen dürften dort starten. Das ist purer Unsinn angesichts der Tatsache, dass noch  nicht eine einzige  die verlängerte Startbahn benötigende Forschungsmaschine auf dem Flughafen abgehoben hat, jedoch etliche Flieger im Dienste von VW.

Ist die polizeiliche Ermittlungsarbeit authentisch geschildert?

Eine Demonstration gegen die Atomwirtschaft, die in gewaltsame Auseinandersetzungen mit etlichen Verletzten eskaliert, wird von der hinzueilenden Kommissarin mit einigen Pistolenschüssen kurzerhand beendet.

Die Leiche wird aufgrund eines Fotos von ihrem ehemaligen Lehrer erkannt. Das reicht der Ermittlerin ohne weitere Nachforschung aus, den Eltern der Ermordeten die Todesnachricht zu überbringen und erst nachträglich den Zeugen zu befragen.

Ein Selbstmörder wird nur aufgrund der bei ihm gefundenen Personalpapiere ohne Identifizierung und weitere Untersuchungen beerdigt, obwohl seine Identität nicht eindeutig feststeht.

Ein geplantes Attentat gegen einen Bundesminister sowie einen Wirtschaftsführer wird der Polizei bekannt und durch weiträumige Absperrungen zu verhindern versucht. Die Straßenbahn wird dabei jedoch vergessen und prompt benutzt sie der Attentäter, um dicht an seine Zielpersonen  heran zu kommen.

So läuft das in der Realität alles nicht!

Haben wir es mit interessanten und ausgeprägten Charakteren zu tun?  - Auch hier leider Fehlanzeige!

Ilona, Freundin von Rebecca, „hatte gegen den Flughafenausbau demonstriert und jeden Baum vor den Kettensägen zu retten versucht“. Sie wird im Weiteren als beziehungsunfähig geschildert und sucht sexuelle Befriedigung in ständig wechselnden Kontakten aus dem Internet, gern
auch zu jüngeren Männern, „um die Rolle der Lehrerin übernehmen zu können“. Sie taucht im Roman überhaupt nur auf, um Rebecca das Dating per Internet erst schmackhaft zu machen, was dann furchtbar daneben geht.

Meike, 20 Jahre alt, Abiturientin, in der verdrehten Sprache Rühmanns „eine verhältnismäßig junge Frau“, Atomkraftgegnerin, schwanger von  einem rothaarigen Schweden auf Urlaub, notorisch barfuß laufend,  wohnt in der Jasperallee, ist politisch engagiert, weiß nicht, wo sich der Lünischteich in Braunschweig befindet, will ein Attentat verhindern,  setzt sich deswegen in das Gartenhaus einer ihr unbekannten Kontaktperson und legt nach deren vermeintlichem Eintreffen erstmal ihre Füße auf den Tisch.

Dann ist da noch Meikes Freundin Pamela, ebenso Atomkraftgegnerin, knallrote Haare, Abiturientin, gerade von zuhause ausgezogen, hat eine chaotisch unaufgeräumte Wohnung, nichts im Kühlschrank außer Bier, wovon sie der sie aufsuchenden  Kommissarin morgens dann auch anbietet.

Döblitz, Manager in der Atomindustrie, bekommt Zweifel an seinem Handeln, wird zum Widerständler, engagiert dennoch aus dem  Rotlichtmilieu Schläger, die eine Demonstration platzen lassen sollen,  vögelt in seinem Gartenhaus mit Internet-Bekanntschaften, soviel er nur haben kann. Er kennt zwar seinen Trauspruch nicht, bricht aber in Tränen aus, als er ihn plötzlich in einer Kirche hört.

Der fiese Atomheini sprüht sein Haus heimlich selbst mit Parolen an  und will die Politiker in Braunschweig durch Diffamierung der Atomgegner umstimmen, weil es für ihn um richtig viel Gewinn geht.

Und die tadellose Kommissarin, deren Weltbild zusammenbricht, als sie erkennen muss, dass sie nur Spielball ist, sie den Fall zusammen mit ihrem Kollegen aber doch noch abschließend klärt...

Völlig klischeebehaftete, blutleere Figuren erzeugt Rühmann mit seinem aus Religion, Politik, Gesellschaft und Kriminalität bunt zusammengewürfelten schrägen Weltbild!

Angesichts der bereits 152 veröffentlichten Krimis muss man Dirk Rühmann zurufen: „ Lieber weniger, aber besser“!

Ein Lektorat des Manuskriptes vor der Veröffentlichung würde seinen Büchern gut tun und die Leser schonen.

 


Kommentare

0 #1 Leunig 2013-07-05 16:17
Es stimmt, das Thema und Charaktere, hätten weit besser ausgearbeitet werden können.

Und auch das Nebensächliche, für mich fast Hauptthema, die Atommüll-Volume n-Verkleinernde Firma Eckert und Ziegler/ Nuclitec, die sich in „real live“ zum Atommüll Zwischenlagerst andort aufschwingen möchte, hätte um einiges genauer betrachtet werden können, weil Stoff zum Krimi liegt dort schon jetzt vor!

By the way: die Umweltschützer dort vor Ort in Braunschweig Thune, fangen gerade an, eine bundesweite Großkampagne zu organisieren!
(Seite etwas runter fahren, dann kommt man zum Kommentar):
http://braunschweig-online.com/bibs-forum/22-termine--veranstaltungen/9205-14sept-menschenkette-und-sternmarsch-um-zu-ezn.html

Jetzt wieder „back to“: „Jenseits der ASSE“: ich fand es witzig zu lesen, weil ich die Orte kenne von den Dirk Rühmann schreibt und ich würde es allen empfehlen zu lesen!

Man darf halt nicht zu viel erwarten.
 
 

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