WÄHLEN GEHEN mit Wolfgang Lieb

Von Wolfgang Lieb (NachDenkSeiten.de)

Bedenken Sie bitte, es wird nie eine Partei geben, mit deren Politikern, deren Handeln und mit deren Programm Sie zu hundert Prozent übereinstimmen (können und sollten).

Die entscheidende Frage wird sein, wer die Chance hat, Kanzlerin oder Kanzler zu werden. Sie sollten dabei auf Wahlumfragen nicht allzu sehr vertrauen. Mit Umfragen wird nämlich gleichfalls Politik gemacht. So etwa, wenn für eine Partei ein knappes Wahlergebnis vorausgesagt oder wenn – wie derzeit allenthalben behauptet wird – ein knappes Wahlergebnis erwartet wird. Damit soll nur Spannung erzeugt werden und es sollen Wählerinnen und Wähler zur Urne gelockt werden, um für „ihre" Partei zu stimmen.

 

Bedenken Sie, dass Schwarz-Gelb angesichts eines beachtlichen Stimmenanteils sog. „anderer Parteien", die die Fünf-Prozent-Hürde nicht schaffen dürften, vielleicht zusammen nur 46 oder 47 Prozent der Stimmen benötigen, um eine Mandatsmehrheit zu erringen. Und gehen Sie davon aus, dass die FDP, dank der Unterstützung ihrer reichen Klientel und der Propaganda in den Medien in dieser Woche ohnehin wieder in den Reichstag einziehen wird.

Bei Schwarz-Gelb würde jedenfalls der bisherige Kurs auf allen wichtigen Feldern weitergefahren, bis er an die Wand fährt. Und wer dann die Opfer sein werden, lässt sich an Hand der bisherigen Politik etwa bei der Bankenkrise relativ gut voraussagen: Nämlich Sie als Steuerzahler oder Transferempfänger, Rentner oder Patient.

So wie die Stimmungslage derzeit zu sein scheint und wenn man darüber hinaus die bisherigen Aussagen der Parteien ernst nimmt, wird Frau Merkel wohl Kanzlerin bleiben. Die Frage ist eigentlich nur noch, ob mit einer schwarz-gelben, einer schwarz-roten oder einer schwarz-grünen Koalition. Zwischen einer CDU/CSU/FDP-Koalition und den anderen Koalitionsoptionen für eine Kanzlerin Merkel gäbe es sicherlich graduelle politische Unterschiede. Aber würde es unter Merkel mit einer (gar nicht mehr so) Großen Koalition oder mit Schwarz-Grün wesentlich anders werden?

Wer also auf einen anderen oder wenigsten veränderten Regierungskurs setzt, müsste seine Hoffnungen auf eine starke Opposition setzen, die zwar nichts entscheiden, aber immerhin eine Regierung mit Alternativen konfrontieren und vor sich her treiben kann. Denn wenn die alternativen Konzepte richtig sind, dann werden sie auch von der Wirklichkeit untermauert. Und deshalb ist Opposition in einer Demokratie auch nicht „Mist" – bestenfalls „Mist" für diejenigen, die auf Posten schielen.

Auf die Grünen setze ich als Oppositionspartei nach der Wahl nicht (mehr), denn diese Partei wird bei einem unbefriedigenden Wahlausgang sehr schnell ihren „sozialen" Flügel kappen und auf ihre bürgerlichen Wähler einschwenken. Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellt dann die Macht des Faktischen dar.

Bei der SPD dürfte der 66-jährige Steinbrück nach dem Scheitern am Kanzleramt wieder in seine Rolle als Vortragsreisender zurückkehren. Auf dem vom Parteivorsitzenden Gabriel angekündigten Parteikonvent wenige Tage nach der Wahl, wird es vor allem darauf ankommen, ob die Parteirechte sich für eine Große Koalition anbiedert, falls Schwarz-Gelb keine oder nur eine instabile knappe Mehrheit schafft. Merkel kann eigentlich eine Koalition mit der SPD nur Recht sein, denn dann könnte sie – wie schon einmal z.B. bei der Rente mit 67 – die zu erwartenden unangenehmen Folgen ihrer erkennbar gescheiterten Euro-Rettungspolitik auf die Sozialdemokraten abladen. Die SPD meint ja nicht nur seit der „Agenda 2010", sondern schon seit der Novemberrevolution 1918 (Gustav Noske: „Einer muss den Bluthund machen") immer noch darin ihre staatstragende Pflicht nachweisen müssen, dass sie brutale Entscheidungen verantwortet, zu denen sich Konservative nicht trauen.

Ob sich die Sozialdemokraten – wenn sie erwartungsgemäß ihr Wahlziel einer Mehrheit für Rot-Grün verpassen – erneuern können, ist fraglich. Die Aussichten für eine solche Erneuerung sehe ich derzeit nicht optimistisch. Denn einerseits könnten, wie es nach der letzten katastrophalen Wahlschlappe damals Steinmeier vorgeführt hat, schon am Wahlabend die Pfründen gesichert werden, sei es, dass für eine Große Koalition oder sei es, dass auch nur für den Machterhalt der alten „Agenda-Garde" die Pflöcke eingeschlagen werden. Der Parteikonvent könnte solche Vorentscheidungen dann – wie üblich – nur noch absegnen. Wenn, ja wenn die Basis nicht – was in der disziplinierten SPD nur einmal, bei dem Sturz Rudolf Scharpings durch Oskar Lafontaine passiert ist – den Aufstand wagt.

Doch danach sieht es nicht aus, denn seit der Abwahl Helmut Schmidts, über die Niederlage Gerhard Schröders bis hin zum Scheitern von Steinmeier, ist es dem übermächtigen rechten Flügel der SPD noch immer gelungen, die Schuld für einen unbefriedigenden Wahlausgang den nur noch versprengt vorhandenen „linken" Sozialdemokraten in die Schuhe zu schieben. Wie wenig jedoch die Politik des „Agenda-Flügels" der SPD als Alternative zum „Merkelismus" wahrgenommen wird, konnte man die vergangenen vier Jahre erfahren und nicht zuletzt wird man dies am Wahlausgang am kommenden Sonntag erkennen können.

Denn zu dem Wahlergebnis hat dann keineswegs nur der Kanzlerkandidat Steinbrück, sondern vor allem das vorausgegangene politische Handeln der SPD seit 1998 im Bundestag beigetragen. Man kann jetzt schon darauf wetten, dass – egal wie das Wahlergebnis aussehen wird – wieder einmal diese Politik als Begründung für das als „Erfolg" gefeierte Scheitern herhalten muss.

Ich bin kein Parteigänger der Linkspartei, aber schon aus Gründen einer tatsächlichen inhaltlichen Opposition und vor allem, um des Erhalts der politischen Vielfalt willen, sollte diese Partei mit all ihren Querelen unter den unterschiedlichen Flügeln im neuen Parlament vertreten sein.

Ich kann mich dabei nur dem Urteil des gewiss wirtschaftsliberalen Mitbegründers der inzwischen eingestellten Financial Times Deutschland, Wolfgang Münchau, anschließen, der unlängst im Spiegel schrieb: „Rot-Rot-Grün ist die beste Lösung für Europa". Die Linken hätten als Einzige wenigstens verstanden, dass die uns alle bedrohende Euro-Krise eine Krise von Ungleichgewichten ist. Wenn allein dieser Gedanke in Deutschland politisch am Leben gehalten werden könnte, so wäre das ein kleiner Hoffnungsschimmer für eine bessere Zukunft.