Neue Mehrheit im Rat der Stadt – aufbauen oder verspielen?

Etwa 40 Prozent wählten am 11. September in Braunschweig schwarzgelb, fast 60 Prozent wählten die Opposition – deutlicher kann eine Niederlage kaum sein. Aber wer ist der Sieger? Und vor allem: ist damit nun schon eine neue Politik für unsere Stadt auf den Weg gebracht?

Das Wahlergebnis zeigt:  die SPD ist mit 29,5 Prozent sicher nicht der Sieger. Sie war schon 2006 auf 29,2 Prozent abgestürzt (ihr weitaus schlechtestes Ergebnis seit 1946). Wenn sie nun auch fünf Jahre später in diesem tiefen Tal verharrt, so wird klar, dass sie überhaupt nicht von der wachsenden Unzufriedenheit mit der schwarzgelben Politik profitieren konnte. Die vier anderen oppositionellen Gruppen dagegen – Grüne, BiBS, Piraten und Linke – haben inzwischen ziemlich genau so viele Stimmen wie die SPD bekommen (29,6 Prozent). Die wachsende Unzufriedenheit und Ablehnung der Hoffmann-Politik hat hier in der Summe zu einem deutlichen Zuwachs geführt, wenn auch recht unterschiedlich verteilt: die Grünen steuern mit 17,4 Prozent deutlich mehr als die Hälfte der Stimmen bei, BiBS und Linke müssen Einbußen hinnehmen, während die Piraten aus dem Stand auf 4 Prozent kommen.

Szenario  „schlechtester Fall“: leider gut möglich

Die SPD hat es auch in den letzten fünf Jahren nicht geschafft, ein eigenes Profil zu entwickeln. Nicht selten hat sie sich in entscheidenden Abstimmungen sogar auf die Seite der CDU geschlagen, sie schreckt nicht einmal vor für sie selbst unvorteilhaften Kungeleien zurück (Bürgerparkgrundstück); gelegentliche oppositionelle Aufwallungen ersetzen einfach nicht ein Konzept, das der sogenannten „Erfolgspolitik von Dr. Hoffmann“ durchgängig etwas Überzeugendes, gut Durchdachtes gegenüber stellt. Sicher ist die SPD gebeutelt von Agenda 2010 und Hartz IV, ebenso sicher leidet sie aber auch darunter, dass sie es in Braunschweig nicht geschafft hat, die Glogowski – Ära zu verarbeiten; als Außenstehender wird man den Eindruck nicht los, dass sie es noch nicht einmal versucht hat und deshalb unter einer inneren Blockade leidet.

In dieser Verfassung gibt es für die SPD nichts zu gewinnen, schon gar nicht die Wahl des Oberbürgermeisters in drei Jahren. Sie bliebe anfällig für irgendwelche Deals mit der CDU und würde sich immer wieder für irgendein billiges Linsengericht als Mehrheitsbeschaffer für Dr. Hoffmann instrumentalisieren lassen. In dieser Verfassung könnte die SPD schon gar nicht Wähler der vier anderen Oppositionsgruppen für ihren OB-Kandidaten mobilisieren. Selbst wenn sie die Grünen dann kurz vor der Wahl zu ködern versuchten, wären die Aussichten eher unsicher, schon weil der Höhenflug der Grünen natürlich nicht ewig anhalten wird.

Wenn dann noch die vier anderen Oppositionsgruppen weiter in übertriebener Konkurrenz verharren, ihre gegenseitigen Animositäten weiter pflegen und sich ihre wechselseitigen Kränkungen, Fehlentscheidungen usw. vorhalten, dann wird erneut die Stunde der CDU kommen: ein unverbrauchter, „dynamischer“ Kandidat hätte dann durchaus die Chance, die Stadt weitere acht Jahre unter Kontrolle zu bekommen; jedenfalls wird die CDU ihren Gegnern sicher nicht den Gefallen tun, Frau Heister-Neumann aufzustellen.

Szenario „neue Politik für Braunschweig“:  schwierig, aber nicht unmöglich

Es gibt allerdings einen oft übersehenen und bisher wenig genutzten Aktivposten in der Stadt: die vier anderen Oppositionsgruppen haben beachtlich große Schnittmengen, was ihre politischen Vorstellungen für die Stadt betrifft. Sie alle stehen der Privatisierungspolitik kritisch gegenüber, sie alle sind gegen das Wegschenken städtischen Eigentums, sie alle haben eine ähnliche Haltung in Fragen der Atomenergie und des Atommülls, sie alle beklagen zu Recht den Mangel an Transparenz und demokratischer Mitwirkung – um nur einige Punkte zu nennen. Jede von ihnen hat ungeachtet der Gemeinsamkeiten besondere Schwerpunkte und auch besondere Vorzüge (und sicher auch besondere Schwächen). Und keine Gruppe kann davon ausgehen, dass sie auf Dauer die anderen schluckt oder verdrängt; das heißt, ob sie es gut finden oder nicht, sie müssen die Existenz der anderen akzeptieren. Und sie könnten lernen, produktiv miteinander umzugehen.

Der erste Schritt: Absprachen und gemeinsames Auftreten im Rat

Je öfter es gelänge, vor wichtigen Entscheidungen im Rat die jeweiligen Positionen aufeinander abzustimmen und zu gemeinsamen Anträgen zu kommen, desto mehr Einfluss würden die vier anderen Oppositionsgruppen im Rat gewinnen. Nicht zuletzt könnten sie so die SPD dazu bringen,  Farbe zu bekennen. Sie stände dann vor der Alternative, entweder ihr Profil zu schärfen oder immer  weiter an Zustimmung zu verlieren.

Der zweite Schritt: Entwicklung eines Programms „neue Politik für Braunschweig“

Über das Tagesgeschäft hinaus könnte in den nächsten zwei Jahren ein Programm entwickelt werden, das die Grundlinien für eine dauerhafte neue Politik enthält. Das gäbe eine gute Orientierung, um 2014 vor der Wahl des Oberbürgermeisters zu überprüfen, ob etwa ein SPD-Kandidat wählbar wäre oder ob es notwendig wäre, mit einem eigenen Kandidaten ins Rennen zu gehen.

Natürlich wäre das ein beschwerlicher Weg, auf dem alle Beteiligten viel Geduld und gute Nerven bräuchten. Wahrscheinlich gäbe es auch einzelne Fragen, in denen man nach langen Bemühungen sich doch nicht einigen kann. Und sicher gäbe es auch hin und wieder Rückschläge. Aber was wäre die Alternative?

Die Frage ist einfach: schaffen es Grüne, BiBS, Linke und Piraten in Braunschweig ihre Kräfte zu bündeln oder machen sie weiter wie bisher  Politik à la Bumsdorf (die Piraten natürlich erst einmal ausgenommen), wo jeder nur an sich selbst denkt und die andern als lästige, teilweise sogar verachtete Konkurrenten abtut, ohne die doch offensichtlichen Gemeinsamkeiten ernst zu nehmen.

Die fast 30 Prozent der Wähler dieser vier Gruppen jedenfalls würden sich in ihrer großen Mehrheit aufrichtig freuen, wenn eine gemeinsame Position aufgebaut würde. Jede Wette!