NS-Unrecht "Offene Entschädigungsfragen"

 „Offene Entschädigungsfragen“ von Ingolf Spickschen(unter Mitarbeit von Michael Plöse)

Vorbemerkung

Die AG „Offene Entschädigungsfragen“ wurde auf dem Offenen Treffen am 28. Januar 2017 als Arbeitsgruppe innerhalb des Forum Justizgeschichte e.V. ins Leben gerufen, um in Vorbereitung auf die Jahrestagung 2017 angesichts der umfangreichen Literatur, Rechtsprechung und Rechtsvorschriften zu Fragen der „Wiedergutmachung“, der Entschädigung und den deutschen Reparations-pflichten eine Systematisierung der aktuellen Problemlagen zu erarbeiten. Dabei sollte es darum gehen, die verschiedenen Betroffenengruppen zu identifizieren und den jeweiligen Umfang ihrer Entschädigung oder sonstiger ihnen gewährter Formen nachholender Kompensation von NS-Unrecht festzustellen. Neben der Frage, was es überhaupt für Anerkennungs-, Entschädigungs- und Wiedergutmachungsarten gibt und in welchen Rechtsgebieten sie wie in Erscheinung treten, selbst wenn sie als „Entschädigung“ i.e.S. keine Rolle spielen, und der Überlegung, ob Pensions- und Rentenzahlungen an NS-Täter eigentlich zurück verlangt werden können, war es unsere naive Ausgangsüberlegung, aufgrund unserer Recherchen die Betroffenen am Ende analytisch vier verschiedenen Entschädigungsrealitäten zuordnen zu können. Diese lauten stark vereinfacht:

•Entschädigung gewährt, Genugtuung erlangt
•Entschädigung gewährt, Auszahlung verschleppt
•Entschädigung verweigert
•ungesehene Betroffenengruppen (die „im Dunklen“)

Dieses Vorhaben kann weitgehend als gescheitert angesehen werden. Der Grund hierfür ist in den bisherigen Beiträgen bereits zum Ausdruck gekommen: Es gibt in keiner Betroffenengruppe die eine Realität der Kompensation erlittenen NS-Unrechts, vielmehr erweist sich die individuelle Entschädigungspraxis als ein Ensemble gesetzlicher Anspruchs-, Ausschluss- und Rückausnahmetatbestände die in der Verwaltungspraxis zu höchst verschiedenen Ergebnissen geführt haben. Darüber hinaus sind auch untereinander gut vergleichbare Antragsteller*innen je nach ihrem Auf-enthalts-, Wohn- und Einsatzort, ihrer Staatsan- oder Gruppenzugehörigkeit, nach Schädigungsart und -grad höchst unterschiedlich, nicht selten nach verschiedenen Gesetzen, Härtefallentscheidungen oder Gnadenakten erfasst, kategorisiert und entschieden worden, was ganz regelmäßig in keinem Fall zu einer Entschädigung geführt hat.
Die Entschädigungspraxis folgte dabei wie die gesamte Wiedergutmachungspolitik dem Ziel ihrer Selbsterledigung als reine Befriedungspolitik nach allen Seiten – mit einer deutlichen Tendenz zur Verschleppung, wo immer das Licht der Öffentlichkeit die Praxis nicht berührt. Sie ist zugleich Ausdruck der Systemkonfrontation des Kalten Krieges, welche die nach der Wiedervereinigung offenen Fragen verdrängte, anstatt sie zu klären. Dass die weit verbreitete Schlussstrichmentalität nicht schon viel früher zur Einstellung jeglicher materiellen Anerkennung und Entschädigung von NS-Verbrechen geführt hat, ist letztlich einer gelungenen und beharrlichen Skandalisierung der Versäumnisse durch Betroffenenverbände, Akademiker*innen, Journalist*innen sowie politische Aktivist*innen innerhalb und außerhalb der Parlamente zu verdanken.

Fortsetzung