FILMFEST: Nina in Schokolade und zuckersüß

Im Film „Jerichow“ spricht sie nach ziemlich genau 29 Minuten ihren ersten grammatikalisch vollständigen Satz. Und dennoch ist sie seit Beginn des Films gegenwärtig. Sowas schaffen nur SchauspielerInnen, die eine Art „Aura“ umgibt – die eine tiefe Sehnsucht nach Verstehen, Identifikation, Seelengleichheit bei den Zuschauern wecken.

Nina Hoss erhält die “Europa” von Dr. Frank Westhoff (VW Financial Service) und Festivaldirektor Michael P. Aust. Foto: Klaus Knodt

Das Mädchen Rosemarie. Die spröde Schöne mit den langen Beinen. Diese dünne Blondine mit dem Funkeln in den Augen. Ein Mädchen, das man beschützen will, bis es sich selbst als die Quelle des Übels enttarnt.

Nina Hoss ist erstaunt, dass der Zug der Wimpern über ihren gar nicht blauen Augen am Hagenring an jedem Baum hängt. „Und das auch noch auf einer Schokolade zu sehen, hat mich umgehauen.“ Im Gespräch mit Interviewer Daniel Kothenschulte auf ihre Schönheit angesprochen, gibt sich die 42-Jährige ein bisschen zu unreflektiert naiv: „Was ist denn schon Schönheit. Das hat ja auch mit Ausstrahlung zu tun. Siehe die Helena in Faust II. Da wird die Schönheit zum Fluch. Selbst wenn Helena runtergerockt ist, werden Kriege um sie angefangen. Für mich ist Schönheit keine Kategorie.“ Dennoch, und da blitzt die Verführerin Nina, „bekomme ich gern Komplimente“. Sie bekommt das Kompliment in Form eines zuckersüßen Schokoladentäfelchens mit ihrem stilisierten Konterfei.

Ohne Berührungsängste: Nina Hoss schreibt im Kino fleissig Autogramme. Foto: Klaus Knodt

Trotz linksbürgerlich-gutsituiertem Elternhaus (Mutter Intendantin, Vater Politiker) hat Hoss sich mal für Ü-18-Fotos entkleidet, die selbst der „Playboy“ nicht drucken würde. Das brachte ihr bei einem Besuch der Harald-Schmidt-Show „Ausziehen, Ausziehen“-Rufe ein. Im Jogging-Outfit in den Sessel auf die Bühne gefläzt, sagt sie heute: „Ich habe das damals als junges Mädchen nicht begriffen. Meine Mutter hat mir gesagt, dass mir Sexismus begegnen kann. Aber daran haben ja auch die Männer Schuld.“

 Man möge ihnen sagen, „dass Sexismus nicht geht“. Über das Ausziehen vor der Kamera für Kohle schweigt Nina Hoss leider. Ihre Bilder wurden ja nun nicht als Küchendeko für Frauenhäuser, sondern eher als Wandschmuck für Seemannskabinen gemacht. Da agiert die Hoss privatim wie in ihren Filmen: Still bleiben und soviel „in sich hineinprojizieren lassen“, bis die umseitigen Protagonisten genau das tun, was Nina Hoss will: Über das Thema schweigen. Sonst gibt’s Kulleraugen-Entzug.

 Als Schauspielschülerin und Hauptdarstellerin in Eichingers kitschiger 50-th Klamotte um das liederliche Sein und den Tod der Nitribitt kam Hoss erstmals in Kontakt mit dem, was man „die Branche“ nennt: „Ich bin wieder in der ‚Bunten’ war wichtiger, als der Drehtag. Die Welt war mir völlig unbekannt.“ Ihre Karriere danach umso steiler.

 

Festivaldirektor Michael P. Aust und seine Preisträgerin Nina Hoss genießen den Abend im Staatstheater. Foto: Klaus Knodt

Über 20 Filme, über 20 Filmpreise, 7 Fernsehproduktionen, 32 Theaterstücke weist die Palmares von Nina Hoss bis heute auf. Sie sitzt in europäischen Filmjurys (Berlin, Venedig) und spielte mit der britischen Band Manic Street Preachers einen Song ein. „Die zur Zeit wohl

beliebteste Schauspielerin Deutschlands“, sagte Festivaldirektor Michael P. Aust bei der Verleihung der „Europa“ im Braunschweigischen Staatstheater. In ziegelrotem Kostüm und mit riesigen Goldperlen besetzten Riemchenschuhen nahm Nina Hoss die „Europa“ von Dr. Frank Westhoff (VW Financial Service) entgegen.

 

Eine strahlend schöne Preisträgerin im Staatstheater. Foto: Klaus Knodt

Der „Heinrich“ ging an den irischen Film „A Date for Mad Mary“, dessen wunderbar fröhliches Produktionsteam die Feier zunächst auf den Balkon des Staatstheaters und dann in das Gewandhaus verlegte, wo die Filmnacht-Party stattfand. Dort auch gesehen die europäisch gemischte Truppe, die sich über den Preis „KINEMA“ freute: Unter Autorin und Regisseurin Nathalie Teirlinck entstand das feinfühlig inszenierte Werk über den Konflikt zwischen Mutter und Sohn.

Mit sehr vielen „leisen“ Filmen war das Filmfest in diesem Jahr nicht immer ein Zuschauermagnet. Zum Kintopp gehört auch PENG, KRACH, BUMM.

In der Anlage haben wir weitere Bilder vom Filmfest als .pdf eingestellt. Alle Fotos Klaus Knodt