Zur Sensibilität der Stadt Braunschweig in der Finanzkrise

Sie sind zur Zeit in aller Munde: die Finanzkrise und die Zocker, die die Krise entfacht und mit ihrer Geldgier über Jahre genährt haben. Ist die Stadt Braunschweig davon betroffen? Hat sie vielleicht mitgezockt?

Aus einem Bericht der Nds. Kommunalprüfungsanstalt vom 13.8.2008 geht hervor: "Durch den Einsatz eines Zinsaustauschgeschäftes entstanden der Stadt im Zeitraum 2000 - 2005 Zahlungsverpflichtungen in Höhe von insgesamt 3,22 Mio. Euro. Es erscheint daher dringend angeraten, sehr sorgfältig mit Zinssicherungsinstrumenten umzugehen und für den Einsatz derivativer Finanzierungsinstrumente den Erlass des MI vom 08.01.1999 strikt zu beachten".

Klingt kompliziert? Ist es aber nicht. Man wettet mit seinem guten Namen und mit einen hohen Geldbetrag, den man jedoch nicht einzahlen, sondern nur garantieren muss, mit einer Bank auf die zukünftige Zinsentwicklung. Gewinnt man, ist man mit einem geringen Prozentsatz (z.B. 1%) des gezeichneten Betrages im Plus. Verliert man jedoch die Wette, ist man als Verlierer verpflichtet, einen mehrfach höheren Prozentsatz des garantierten Betrages an die Bank zu zahlen. Im vorstehend genannten Fall hatte man angesichts der Entwicklung auf den Finanzmärkten offensichtlich eine derartige Wette verloren und sich um 3,22 Mio. Euro verzockt. "Riskante Spekulationsgeschäfte" meint der Spiegel und berichtet im Dezember 2007 in einem ähnlichen Fall: "Stadt Hagen will Deutsche Bank verklagen".

In Braunschweig haben sich die Verantwortlichen jedoch bisher nicht zu dem eingefahrenen Verlust geäußert oder erkennbare Aktionen wie die Stadt Hagen in Gang gesetzt. Auch die Bankmanager scheinen verschwunden zu sein - oder haben Sie in letzter Zeit den Chef einer x-beliebigen Bank gesehen? Es herrscht eine schon gespenstisch anmutende Ruhe.

Auch sonst wird offenbar in Braunschweig mit allen Mitteln versucht, jeden öffentlichen Hinweis der Bürgerinnen und Bürger auf eventuelle Schieflagen oder mögliche finanzielle Krisensituationen bei der Stadt Braunschweig zu unterdrücken.

So wurde bereits anlässlich der Ratssitzung am 8.7.2008 im Rahmen der Einwohnerfragestunde eine diesbezügliche Frage eingereicht und auch von der Stadt Braunschweig angenommen:

  • "Der Aktienkurs der Veolia Environnement S.A. hat sich innerhalb von nur 6 Monaten halbiert. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte daher bereits am 7. März 2008 "Veolia-Aktien purzeln in den Müll" und meinte, so stark sei der Kurs von Veolia seit mehr als fünf Jahren nicht mehr gefallen. Tatsächlich hat sich der Aktienkurs der Veolia Environnement S.A. seit Dezember 2007 bis zum heutigen Tage halbiert. Der Konzern hat selbst seine Gewinnerwartungen für das laufende Fiskaljahr nach unten revidiert und erwartet negative Auswirkungen in Höhe von 80 bis 100 Mio. Euro. Vor diesem Hintergrund frage ich: Wie beurteilt die Verwaltung der Stadt Braunschweig die angeführte Situation im Hinblick auf Rekommunalisierungsoptionen und Krisenszenarien für den Fall, dass die Veolia Environnement S.A. als Privatisierungspartner ausfallen könnte?"

In der betreffenden Ratssitzung ging es dann aber laut Tonaufzeichnung regelrecht abenteuerlich zu, bei der der Ratsvorsitzende Grziwa (CDU) eine als unrühmlich empfundene Rolle spielte:

Fragesteller: Jeder rational handelnde Haushaltsvorstand und jeder Unternehmensführer macht sich natürlich auch Gedanken über seine Partner und ob es denen gut geht oder nicht so gut geht. Partner der Stadt Braunschweig ist die Veolia Environment SA kurz Veolia genannt und hierzu hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung im März ...
Grziwa: Herr ...
Fragesteller: Ja, bitte?
Grziwa: Ich muss Sie unterbrechen, weil, ich hab Ihre Anfrage hier auch schriftlich liegen und ich kann das nicht mehr zulassen ... Wertungen, wie sie anlässlich ... Ratsleute oder Ratsfrauen machen können, wenn sie Anfragen stellen, stehen leider den Einwohnern nicht zu.
Fragesteller: Ich kann in meiner Frage keine Wertung entdecken, ich habe nur Tatsachen referiert und ich referiere die Tatsache, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung ...
Grziwa: Herr ...
Fragesteller: Ja?
Grziwa: Ich habe Sie darauf hingewiesen, dass Sie Ihre Frage stellen sollen und mehr nicht.
Ratsfrau: Er darf sie aber begründen ...
Grziwa: Nein, eben nicht!
Fragesteller: Herr Ratspräsident, ich habe die Frage so gestellt, wie sie eingereicht wurde. Hier ist sie vorhanden, Sie haben die ja auch. Zu jeder Frage gehört eine Begründung. Ich stelle jetzt die Frage ohne Begründung, und zwar frage ich: Wie beurteilt die Verwaltung der Stadt Braunschweig die Situation bei Veolia, und welche Rekommunalisierungsoptionen und Krisensituationen hat sie einkalkuliert, wenn Veolia als Privatisierungspartner einmal wegbricht?
Verwaltung: Die Frage wird von uns wie folgt beantwortet. Die Verwaltung sieht für diese Spekulationen keine sachliche Grundlage.

Es bleibt für die zukünftige Entwicklung festzuhalten: Die Verwaltung der Stadt Braunschweig sieht 2008 trotz der sich über Jahre entwickelnden Finanzkrise, nach dem Absturz der Dexia-Bank (50% Gläubiger-Bank des 250 Mio. Abwasser-Privatsierungsgeschäfts der Stadt Braunschweig) und trotz des Absturzes der Aktie ihres Privatisierungspartners Veolia "keine sachliche Grundlage",

  • die Situation bei Veolia zeitnah zu bewerten,
  • Rekommunalisierungsoptionen im Falle eines eventuellen Wegbrechens ihrer Privatisierungspartner zu erwägen oder
  • Krisensituationen einzukalkulieren.

Zu diesem doch recht sorglos anmutenden Verwaltungsverhalten paart sich ein als überheblich empfundenes Gebaren der noch im Amt befindlichen: Beispielsweise wurde in anderem Zusammenhang eine Anfrage der Grünen mit "Wir sind doch hier nicht in der DDR" (Ratsmitglied Manlik, CDU) beschieden oder eine Darstellung der BIBS wurde mit "Sie haben vorhin schon genug Wahnsinn geredet" (OB Dr. Hoffmann, CDU) kommentiert.

Es ist der Tanz auf einem Vulkan mit der Befürchtung, dass eine selbstverschuldete Eruption folgen könnte.